Bewerber geben auf Stimmzetteln zur Bürgerschaftswahl angesehene Jobs an, die sie aktuell gar nicht ausüben. Einer täuscht aus Protest.

Hamburg. Wenige Wochen vor der Bürgerschaftswahl gibt es erneut Streit über das Hamburger Wahlrecht. Grund sind die Berufsangaben, die auf den Stimmzetteln neben Namen und Geburtsjahr der Kandidaten stehen. Weil angesehene Berufe aller Wahrscheinlichkeit nach dazu führen, dass ein Kandidat mehr Stimmen erhält, haben viele Bewerber offenbar Berufe angegeben, die sie gar nicht, oder schon lange nicht mehr ausüben. Der frühere Hamburger Juso-Chef Hauke Wagner, der auf Platz 35 der SPD-Landesliste antritt, steht auf dem Stimmzettel mit der Berufsbezeichnung „Sanitäter“. Dabei war der studierte Volkswirt und gelernte Industriekaufmann für einige Jahre für Vattenfall tätig und arbeitet derzeit als Regionalleiter Nord für den Außenwerbungs-Vermarkter JCDecaux. Dennoch habe er sich für die Berufsbezeichnung Sanitäter entschieden, so Wagner – weil dies einer der angesehensten Berufe überhaupt sei.

„Als ich wusste, dass ich kandidieren werde, habe ich mich informiert, welche Berufe das höchste Ansehen genießen“, sagte Wagner dem Abendblatt. „Und nach Feuerwehrmann steht Sanitäter auf Platz 2.“ Also habe er einen 48-stündigen Sanitäterkurs plus dreistündiger Prüfung für rund 800 Euro gemacht, nur um dann auch mit dieser Berufsbezeichnung auf dem Stimmzettel stehen zu können, so Wagner. Natürlich arbeite er nicht als Sanitäter, das Wahlrecht aber lasse es zu, dass man jede Berufsbezeichnung angebe, für die man zertifiziert sei. Es gehe ihm auch gar nicht allein um seine persönlichen Wahlchancen, sondern auch darum zu zeigen, welche großen Schwächen das maßgeblich vom Verein „Mehr Demokratie“ durchgesetzte Wahlrecht habe.

Für Manfred Brandt von „Mehr Demokratie“ ist das Vorgehen des Sohnes von Ex-Bausenator Eugen Wagner eine „bewusste Wählertäuschung“. Dass die SPD selbst diese Berufsangabe von Hauke Wagner auf der Landesliste zugelassen habe, bedeute einen „gravierenden Mangel an Respekt vor dem Wähler“, so Brandt. „Für wie doof hält die SPD eigentlich die Bürger?“ Brandts Vereins-Mitstreiterin Angelika Gardiner sagte, sie erwarte von den Parteien, dass sie dafür sorgten, dass die aktuellen Tätigkeiten der Kandidaten angegeben würden und nichts anderes. „Was da jetzt passiert, das ist unglaublich unanständig“, so Gardiner. „Das ist ja wie die Geschichte vom Wolf im Nachthemd der Großmutter.“

Landeswahlleiter kann Angaben nicht überprüfen

Landeswahlleiter Willi Beiß erklärt sich in der Frage der Berufsangaben derweil für nur teilweise zuständig. „Die Landeswahlleitung kann die Angaben zum Beruf der Kandidatinnen und Kandidaten nicht auf inhaltliche Richtigkeit überprüfen“, so Beiß. „Die Berufsangabe wird daher nur unter formalen Aspekten überprüft. Die Angabe muss eindeutig und geeignet sein, den Wählerinnen und Wählern ein Bild der beruflichen Tätigkeit oder der beruflichen Qualifikation des Kandidaten zu vermitteln. Wir lassen dabei einen weiten Ermessensspielraum bei den Kandidaten zu.“ Manche Kandidaten würden daher ihren Ausbildungsabschluss angeben, manche ihre aktuelle Tätigkeit. Manche verbänden beides, insbesondere wenn die Ausbildung keine ausreichende Vorstellung von der aktuellen Tätigkeit vermittle, so Beiß. „Unzulässig sind aber Nennungen von Beschäftigungsunternehmen.“

Tatsächlich gibt es neben Wagner auch andere Fälle, in denen Kandidaten mit der Berufsbezeichnung versuchen, einen guten Eindruck bei den Wählern zu machen. So tritt etwa der nach dem Tod eines Kindes in einer Pflegefamilie als Bezirksamtsleiter Mitte zurückgetretene Markus Schreiber für die SPD auf Platz 27 der Landesliste mit der Berufsbezeichnung „Bezirksamtsleiter a.D, Prokurist“ an. Oder Dieter Biallas, Kandidat der Neuen Liberalen und in den 70er-Jahren einmal FDP-Senator, gibt als Beruf „Senator a.D.“ an, obwohl man mit dieser Nicht-Tätigkeit sicher nicht für Jahrzehnte seinen Lebensunterhalt bestreiten kann. Auch gibt es Kandidaten, die nur ihren Studienabschluss wie Mathematiker, Historiker etc. angeben, ohne dass der Wähler erfährt, als was sie wirklich tätig sind. Auch die wenig aussagekräftige Bezeichnung „Angestellter“ wurde zugelassen. Erlaubt sind laut Landeswahlleiter Beiß auch die Bezeichnungen Rentner, Studierender, Hausfrau oder Familienvater. Nach Erläuterungen der Kandidaten wurden auch die Berufe „Alltagsbegleiter“ und „Organizer in sozialen Bewegungen“ zugelassen. Nicht genehmigt habe das Amt Wünsche wie „Cyberveteran“ oder schlicht „Experte“. Auch reine Ehrenämter seien nicht zugelassen worden, ebenso wenig wie die Bezeichnung „arbeitssuchend“.

Ob die angegebenen Berufe von den Kandidaten tatsächlich ausgeübt würden, müssten die Parteien überprüfen, so Beiß. Bei der SPD findet man es offenbar nicht problematisch, dass der Kandidat Wagner bewusst einen beliebten Beruf im Schnellkurs erlernt und angibt, den er gar nicht ausübt. „Das Landeswahlrecht lässt den Kandidatinnen und Kandidaten zur Bürgerschaft die Wahl, ob ein ausgeübter und/oder erlernter Beruf auf dem Wahlzettel angegeben wird“, schreibt Landesgeschäftsführer Tim Petschulat. „Hauke Wagner hat dort einen seiner gelernten Berufe angegeben. Das Zertifikat, welches ihn als gelernten Sanitäter ausweist, wurde dem Landesgeschäftsführer vorgelegt. Damit wurde den gesetzlichen Vorgaben Folge geleistet.“

Offenbar hatte man die Berufsbezeichung „Sanitäter“ bei Wagner in der SPD-Zentrale zunächst auch nicht zulassen wollen. Daraufhin soll der Senatorensohn jedoch mit Klage gedroht haben – zumal die Angabe formal korrekt sei und auch die Angabe „Diplom-Volkswirt“ oder „Industrie-Kaufmann“ mit seiner tatsächlichen Tätigkeit auch nichts zu tun habe. Mit dieser Argumentation setzte er sich durch.

Bei „Mehr Demokratie“ hält man das Ganze gleichwohl für Trickserei. „Gegen solche Wählertäuschung hilft nur öffentlicher Druck“, sagt Vorstand Manfred Brandt. Der Verein prüfe jetzt, ob es zu diesem Thema relevante Gerichtsurteile gebe.

Wagner sieht sich das Ganze nun amüsiert an – und hofft offenbar darauf, dass der öffentliche Streit über seinen Beruf seine Wahlchancen erhöht. „Ich nutze lediglich die Möglichkeiten aus, die das Wahlrecht mir gibt“, so Wagner. „Da geht es eben auch um Wahlzettelpsychologie.“ Ähnliches gelte ja für die Angaben zum Wohnort, die auf den Wahlkreisstimmzetteln neben den Namen stehen. Dort habe ein Kandidat aus einem kleineren Stadtteil durchweg schlechtere Chancen, gewählt zu werden, als jemand aus einem Stadtteil mit vielen Wählern. „Auch das ist eine der eine Million Unschärfen, die dieses Wahlrecht mit sich bringt“, so Wagner. „Ich bin sehr gerne und jederzeit bereit, mit Manfred Brandt öffentlich über das von ihm gestaltete und durchgesetzte Wahlrecht zu diskutieren.“