Anbaden 2015, Rituale und Dauerläufe: Die Hamburger begingen den Jahreswechsel auf unterschiedliche, manchmal fantasievolle und sportliche Art

St. Georg. Wenn andere noch schachmatt in Sauer liegen und ihrem Kater die Pest an den Hals wünschen, begrüßen andere das junge Jahr auf sportliche Art. Musterbeispiel für einen geglückten Start ist Karen Strecker: Am Neujahrsmorgen um kurz nach neun Uhr läuft sie am Alsterufer, konstant flott und konditionsstark, Schritt auf Tritt von Hündin Saphira begleitet. Viele Menschen gibt es zu dieser relativ frühen Stunde am Feiertag nicht zu begrüßen.

Den inneren Schweinehund besiegt Karen auch sonst. Tagtäglich joggt sie einmal rund um die Außenalster. Schlappe 7,5 Kilometer sind das. Wobei die 34-Jährige werktags viel früher loslegt. Um 4.30 Uhr pflegt sie ihre Wohnung auf der Uhlenhorst zu verlassen. So bleibt ausreichend Muße bis zum Arbeitsantritt in einer Werbeagentur in Bahrenfeld. Power auf Dauer eben.

„Gute Vorsätze sind nur dazu da, sie zu brechen“, sagt Frau Strecker während einer kurzen Atempause auf der Kennedybrücke. „Entweder man setzt Vorhaben während des Jahres in die Tat um – oder man macht es gar nicht.“ Den Silvesterabend hat sie gemeinsam mit einer Freundin und deren Tochter gemütlich und fröhlich verbracht. Folglich wurde das zeitige Aufstehen nicht zur Plage.

Auch Melanie Zabel aus St. Georg ist ein früher Vogel, der sich vom neuen Jahr wachgeküsst fühlt. „Als zweifache Mutter fällt das ganz große Feiern ohnehin flach“, meint die 35-jährige Hamburgerin. Entsprechend sei es gar nicht so besonders, auch am 1. Januar die türkisfarbenen Sportschuhe anzuziehen und loszulaufen. Dass überall an den Straßen Raketenschrott, Böllerpapier, abgefackelte Pappbatterien und leere Flaschen liegen, ist am Alsterufer kaum zu spüren.

Ein paar Meter backbords hechelt Stefan Schulz des Weges. Der Kaufmann aus Alsterdorf ist trotz dicken Schädels stolz auf sich selbst. Weil er nach intensiver Nacht mit reichlich Essen, guten Drinks und vielen Zigarillos den Sprung aus dem Bett geschafft hat. Seinen Willen für 2015 bringt er japsend so auf den Punkt: „Ein Leben mit Sport und in Askese.“ Ehefrau Tanja und die beiden Kinder haben Unterstützung gelobt.

Auch Claudia Hirsch ist früher auf den Beinen als das Gros der Hamburger. Die erfahrene Jogalehrerin organisiert gemeinsam mit Freunden seit acht Jahren am Elbufer eine Zeremonie mit symbolischem Charakter. Am späten Nachmittag des 31. Dezember versammelten sich in Blankenese 20 Bekannte, um den Jahreswechsel mit Sinn und Inspiration zu erfüllen. „Statt über schon wieder vergangene zwölf Monate zu nölen, wollen wir sinnvoll und positiv nach vorne gucken.“

Die intensive, durchdachte Zeremonie basiert im Kern auf vier Säulen. Jeder der Teilnehmer trägt vier Zettel mit unterschiedlichen Notizen bei sich. Ein Teil mit unangenehmen Erinnerungen wird verbrannt, um tatsächlich loslassen zu können. Der zweite Bereich wird zerrissen und dem Wind übergeben. Sehr persönliche Wünsche für 2015 werden – natürlich verborgen vor den anderen – in einen zuvor frankierten und an sich selbst adressierten Umschlag gesteckt und in den Postkasten am Strandweg geworfen.

Bis zum 31. Dezember 2015 bleibt der Brief verschlossen. Am Elbufer wird er dann geöffnet und auf Umsetzung der Ziele geprüft. In Teil vier des friedfertigen, harmonischen Rituals wird Belastendes in den Fluss geworfen – symbolisch.

„Unser Ritual bietet die wunderbare Möglichkeit, dem alten Jahr noch einmal Respekt zu zollen“, sagt Claudia Hirsch. „Das macht jeder für sich und doch alle zusammen.“ Auch der Filmproduzent Sebastian Wolff, der Musikkreative Wilbert Hirsch und die Lehrerin Claudia Britze sowie ihre 13-jährige Tochter Karlotta genossen im Schein von Fackeln und Windlichtern die versöhnliche Atmosphäre an der Elbe. In zwölf Monaten soll es ein Wiedersehen geben.

Das traditionelle Neujahrsanbaden entsprang 1973 einer Silvesterlaune

Andere standen nicht am Wasser, sondern sprangen mutig hinein. Beim traditionellen „Anbaden“ des DLRG-Bezirks Bergedorf trotzten 15 Hartgesottene den Wasser- und Lufttemperaturen von jeweils nur sechs Grad. Um 14 Uhr sprangen sie von der Kaimauer beherzt in das Bergedorfer Hafenbecken. 250 Zuschauer blieben lieber oben und unterstützten die spektakuläre Aktion durch den Kauf von Erbsensuppe, Kakao, Glühwein, Mützen und Schals zugunsten der Jugendarbeit der Lebensretter. Den Mutigen wurde durch reichlich Applaus ganz warm ums Herz.

Dieter Poew hüpft seit 1973 regelmäßig ins Wasser. Was von der Tauchgruppe der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft (DLRG) damals noch am Boberger See in Silvesterlaune erstmals praktiziert wurde, entwickelte sich binnen 42 Jahren zu einer festen Institution mit Volksfestcharakter.

Auch Jennifer Schneider und Lukas Frehse wagten den Sprung ins eiskalte Nass. Im Wasser nahmen die 24-Jährige und der 17-Jährige einen Scheck über 1000 Euro entgegen. Auszubildende vor Ort hatten das Geld gesammelt, um die Jugendarbeit der Lebensretter zu unterstützen.

„Gemeinsam wollen wir sinnvoll Gutes tun“, sagte die ehrenamtliche DLRG-Geschäftsführerin des Kreises Bergedorf, Kirsten Ohl, nach dem letzten Abwasch oben am Kai. Ihre beiden Söhne Henrik und Gunnar zählten sonst immer zu den unerschrockenen Springern, mussten diesmal allerdings wegen einer Erkältung passen. Ist besser so.

Jeden Donnerstag treffen sich die Aktivisten im Clubhaus am Ladenbeker Furtweg, um die nächsten Wochen zu planen. Ein bisschen familiärer Klönschnack rundet die ehrenamtliche Arbeit im Dienste der Allgemeinheit ab. Man kennt sich, man versteht sich.

Der eingetragene Verein umfasst 450 Mitglieder. Unter ihnen befinden sich 60 aktive Lebensretter und 120 Kinder, die Schwimmen lernen. Vielleicht wächst daraus Nachwuchs, der in Zukunft mit mächtig Mumm ins Hafenbecken springt. Damit das neue Jahr frisch beginnt. Es ist ein besseres Mittel als Knaller und Raketen, um böse Geister auf Dauer zu verscheuchen.