Familie und Freunde haben den Schuldspruch für Direns Mörder mit Erleichterung und Jubel aufgenommen

Missoula/St.Pauli. Es waren bewegende Szenen, die man nicht oft erlebt vor Gericht. Kaum war im Prozess gegen den Todesschützen von Diren das Urteil ergangen, brach im Gerichtssaal der US-Stadt Missoula unverhohlener Jubel aus. Direns Mutter Gülcin Dede dagegen brach in Tränen aus und schluchzte erleichtert: „Diren, wir haben es geschafft!“ Als Markus Kaarma, der den 17-jährigen Austauschschüler aus St.Pauli Ende April in seiner Garage erschossen hatte, in Handschellen abgeführt wurde, sagte Vater Celal aufgewühlt: „Jeder muss die Strafe bekommen, die er verdient.“

Die Stunden vor der Urteilsverkündung hatten die Eltern Dede in fast unerträglicher Anspannung verbracht. Nachdem die Jury ihre Beratungen abgebrochen und auf Mittwoch vertagt hatte, wurden sie von Direns Gasteltern Kate Walker und Randy Smith in ihr Haus eingeladen. So konnten sie sich ablenken und den Dienstagabend mit den engsten amerikanischen Freunden von Diren verbringen. „Die Jugendlichen haben viel über Diren erzählt“, sagt der Hamburger Anwalt Andreas Thiel, der den Eltern während des Prozesses zur Seite stand. Besonders für Gülcin Dede sei es ein ganz besonderer Abend gewesen. „Sie kannte die Freunde aus Direns Schilderungen und fand es schön, sie jetzt persönlich kennenzulernen.“ Mehrfach habe sie betont, durch die Erzählungen lebe Diren weiter, sie habe jetzt ein Bild von ihm aus der Zeit, in der er in Amerika war.

Auch die Schwestern Basak und Esra fieberten dem Urteil entgegen. „Mittwochabend waren wir zuerst bei einer Tante, haben uns dann aber im letzten Moment entschieden, dass wir das Urteil in Direns Zimmer erfahren wollten“, erzählt Basak. 15 Freunde und Verwandte versammelten sich in dem kleinen Raum, den die Familie zu einer Gedenkstätte gemacht hat: mit Trikots und Fotos von Diren, einem Plakat mit Beileidsbekundungen aus Missoula, der Auszeichnung als bester Abwehrspieler der Highschool-Fußballmannschaft, einem Ball mit den Unterschriften seiner amerikanischen Mitspieler, Kuscheltieren, Pokalen und Gedichten – und zwei beleuchteten Glaskästen, in denen seine Fußballschuhe sind, noch mit Schlamm und Gras daran, und sein Fußball.

In jedem Zimmer der Wohnung hängt mindestens ein Foto von Diren, vor dem Haus gibt es eine Gedenkstätte mit Blumen und Kerzen für den in der Nachbarschaft so beliebten Jungen. Mit Magenschmerzen und Herzklopfen hätten sie auf Twitter die fast sekündlich aufploppenden Nachrichten verfolgt, berichtet Basak. „Als es dann ‚Guilty!’ hieß, haben wir vor Freude geschrien und vor Erleichterung geweint.“ Kurz darauf habe ihr Vater aus dem Gerichtssaal angerufen. „Da haben wir alle gemeinsam gejubelt.“

Direns ehemalige Mitschüler, mittlerweile elfter Jahrgang am Gymnasium Allee, trugen am Tag nach der Urteilsverkündung alle unabgesprochen die T-Shirts, die sie nach Direns Tod mit seinem Konterfei hatten bedrucken lassen. Mit einigen von Direns früheren Mannschaftskameraden aus dem SC Teutonia 1910 versammelten sie sich am Donnerstag vor der Schule. Nach Direns Tod hatte dort ein Meer an Kerzen an den verstorbenen Mitschüler erinnert. „Das Urteil war natürlich sehr erleichternd. Aber leider bringt es ihn auch nicht zurück“, sagte Tahsin Özyasamis, 18. Noch immer sei Diren in den Gedanken aller, bei jeder Aktion sei sein Fehlen deutlich zu spüren. „Das Urteil ist ein Meilenstein für die amerikanischen Gesetze. Ich hoffe, das bringt die Menschen zum Nachdenken. Vielleicht werden die Waffen- und Verteidigungsgesetze ja irgendwann grundlegend geändert“, hofft Rasmus Börnsen, 18, der selbst Austauschschüler war und engen Kontakt zu Diren hatte.

Wie hoch die Strafe für den 30-jährigen Kaarma, einen ehemaligen Feuerwehrmann, ausfällt, wird erst am 11.Februar verkündet; ihm drohen zwischen zehn und 100 Jahren Haft. Am Donnerstag schilderten Direns Eltern dem Gericht ihr Leid und die große Lücke, die Direns Tod in der Familie hinterlassen hat. Ihre Ausführungen können zur Festsetzung des Strafmaßes beitragen.

Kaarma hatte erst einen Tag nach dem Schulspruch Reue gezeigt. „Ich hatte niemals die Absicht, jemanden zu töten“, sagte er bei der Anhörung zur Festsetzung des Strafmaßes. Und dann: „Es tut mir leid.“ Seine Anwälte hatten sich auf die „Castle Doctrin“ berufen, ein in Montana geltendes Selbstverteidigungsrecht. Demnach habe der Angeklagte um die Sicherheit seiner Familie gefürchtet und sich durch Diren bedroht gefühlt. „Die Beweisaufnahme ging klar in die Richtung, dass Kaarma Diren hingerichtet hat“, so Anwalt Thiel. Dennoch sei er während der Jury-Beratungen in Sorge geraten. „Lange Beratungen deuten immer auf unterschiedliche Meinungen hin.“ Doch sie entschied 12:0. „Dies hat die Eltern sehr gefreut“, so Andreas Thiel.