„Märchen im Michel“, die Benefizveranstaltung für den Abendblatt-Verein „Kinder helfen Kindern“, verzauberte 4000 kleine und große Besucher

Hamburg. Sandra Keck geht ein wenig in die Knie. Dann hält die Ohnsorg-Schauspielerin der kleinen Emmy das Mikrofon hin. Es ist mucksmäuschenstill im Michel. 2000 große und kleine Besucher lauschen gebannt dem Gesang des Mädchens, das dort vorne im Altarraum neben dem himmelhohen Tannenbaum steht. Er ist von oben bis unten mit goldenem Lametta bedeckt. Wie ein riesengroßes funkelndes Kleid sieht das aus. „Emmy ist sechs Jahre alt“, sagt Sandra Keck. Neben ihr stehen Manuel, 7, und Fabian, 9. Auch sie singen ein paar Zeilen ganz alleine zu den wunderschönen Gitarrenklängen, die Rolf Zuckowskis Sohn Andreas dem Instrument entlockt.

Es sind Momente wie diese, die den „Märchen im Michel" ihre besondere Magie verleihen.

Eine Veranstaltung, mit der für viele Menschen die besinnliche Zeit beginnt. „Vorher rast man noch durch die Tage, aber mit „Märchen im Miche“l fängt für mich Weihnachten an“, sagt Isabella Vértes-Schütter. Die Intendantin des Ernst Deutsch Theaters feiert an diesem dritten Advent ein kleines persönliches Jubiläum. Zum 20. Mal stellt sie sich als Vorleserin in den Dienst der guten Sache. Sie trägt, oder vielmehr spielt die herrliche Weihnachtsgeschichte von Siegfried Lenz über das „Wunder von Striegeldorf“ vor, in der Heinrich Matuschitz, ein Besenbinder, und der Forstgehilfe Otto Mulz einen Ausweg ersinnen, um den Heiligen Abend nicht im Gefängnis verbringen zu müssen.

Heiligabend ist schließlich auch in Masuren unter allen Terminen sozusagen der Obertermin. „Und wenn ich mich nicht irre“, sagt Heinrich Matuschitz, „geschehen zu diesem Termin Wunder auf der ganzen Welt.“ Warum, bitte sehr, sollte Striegeldorf verschont bleiben von solchen Wundern?

Auch Karoline Ihlenfeldt, 14, kann etwas Wunderbares. Die Schülerin des Gymnasiums Marienthal ist Landessiegerin des Lesewettbewerbs des deutschen Buchhandels. „Ja“, sagt sie, sie sei ein wenig aufgeregt. Nein, man merkt es der Achtklässlerin dann überhaupt nicht an, als sie mit klarer Stimme die Geschichte von dem kleinen Elf, dem Eisbären und dem tief verschneiten Zauberwald vorliest. Geschrieben hat sie Joshua Schiller. Der Schüler der 6a des Gymnasiums Ohlstedt hat damit den dritten Platz beim Schreibwettbewerb der Märchentage belegt.

Zum dritten Mal beginnt die mittlerweile 23. Benefiz-Veranstaltung für den Abendblatt-Verein „Kinder helfen Kindern“ im Michel mit einer Nachmittagsveranstaltung vor allem für die Kleinen. Schon um 14 Uhr strömen die Familien in die kerzengeschmückte Kirche. Von der Decke hängt ein gewaltiger Adventskranz, an dem 13 Kerzen brennen. Es ist noch ein wenig hin bis Weihnachten. Gut, dass Sandra Keck die Zeit so fröhlich verkürzt.

Sandra Keck kann flüstern und lachen, erzählen und staunen. Und sie kann vor allem singen. Dabei bekommt die Moderatorin auch noch jede Menge Unterstützung. 37 junge Sängerinnen des lettischen Cantus-Chorus stehen ihr stimmgewaltig zur Seite. Mal verteilen sich die zehn bis 18 Jahre alten Mädchen oben auf der Empore, dann schreiten sie singend mit Kerzen aus unterschiedlichen Richtungen durch die Kirche und treffen in der Mitte zusammen. Und schließlich stehen sie in drei Reihen hintereinander auf den Stufen zum Altarraum und sorgen mit ihren hellen Stimmen für die richtigen Töne. „Macht euch bereit“, singen sie. „Es schneit, es schneit“ – da kann man die Schneeflocken mit etwas Fantasie fast greifen. Und natürlich wird es sehr laut im Michel, als es darum geht, wo das Rezept geblieben ist? Und die Plätzchen, die wir lieben? Wer hat das Rezept – verschleppt? Natürlich geht es hoch her in der Weihnachtsbäckerei. Zwischen Mehl und Milch, wo so mancher Knilch eine riesengroße Kleckerei veranstaltet.

Zum Glück hat Hauptpastor Alexander Röder gleich zu Anfang allen Besuchern gesagt, dass heute in der Kirche auch ordentlich geklatscht werden darf. „Und stoßt eure Eltern immer wieder an, damit die auch ihren Mund aufmachen und laut mitsingen.“

Dann liest der Michel-Pastor die lustige Landstraßengeschichte von Margret Rettich von dem verunglückten Weihnachtsfest vor. Es verläuft etwas anders als geplant, weil sich der Papa und die Oma darüber streiten, ob der Weihnachtsbaum hinter die Tür, wie es Papa will, oder lieber links vor dem Fenster, wo er immer bei der Oma zu stehen pflegte, hinkommt. Dass am Ende mit etwas Verspätung doch noch die ganze Familie zusammen Weihnachten feiert, ist eine von vielen frohen Botschaften, die an diesem Nachmittag und am frühen Abend bei der zweiten Vorstellung die Besucher fesseln. Wunderbare Geschichten, vorgetragen auch von „Urgestein“ Eberhard Möbius oder der Schauspielerin Pheline Roggan.

Die Lesungen wechseln sich ab mit dem Gesang. Die Lucia-Sängerinnen aus Lettland verzaubern mit ihren kerzengeschmückten Kränzen im Haar, ihren langen weißen Kleidern und ihrem perfekten mehrstimmigen Gesang. Ihre Version von Leonard Cohens „Hallelujah“ – wieder solch ein magischer Moment. Er sorgt wohl auch bei Olaf Scholz, der trotz starker Erkältung den Weg in den Michel gefunden hat, für Gänsehaut. Der Bürgermeister erinnert in seiner Begrüßung daran, dass es der Hamburger Theologe Johann Heinrich Wichern war, der den Adventskranz erfunden hat. Er gründete 1833 in Horn das Rauhe Haus zur Rettung verwahrloster und schwer erziehbarer Kinder.

Auch darum geht es in der Weihnachtsbotschaft. Menschen, die in Not geraten sind, die Unterstützung nicht zu verweigern. Dafür zu sorgen, wie Scholz sagt, dass in dieser Stadt auch immer wieder der Gemeinschaftssinn zu spüren ist.

Die Künstler und die 4000 Besucher der beiden Veranstaltungen haben dazu am Sonnabend ganz viel beigetragen. Mit den Erlösen von rund 30.000 Euro wird unter anderem ein Spie-lplatz in Billstedt, der in einem ziemlich desolaten Zustand ist, wieder hergerichtet. „Dort leben 120 Flüchtlingskinder auf engstem Raum“, erzählt Alexander Röder den großen und kleinen Zuhörern in den Kirchenbänken. „Mit einem neuen Spielplatz können wir den Kindern nicht nur sagen, dass sie bei uns willkommen sind und wir an ihrer Seite stehen. Die Kinder sind hier, weil in ihrem Land Krieg ist. Und wir können ihre traumatischen Erlebnisse, die sie auf der Flucht erlebt haben, mit diesem Spielplatz vielleicht etwas mildern.“