Von Poppenbüttel nach St. Pauli: Cornelia Schröder leitet Europas kleinstes Polizeirevier

St. Pauli. Herzlich im Umgang, in der Sache knallhart, dafür steht die neue „Herrin auf dem Kiez“, Cornelia Schröder. Die 49-Jährige hat seit November im Polizeikommissariat (PK) 15 – bekannt als Davidwache – das Sagen. Und ist die erste Frau auf dem Chefsessel, seit es die berühmte Wache gibt.

Am Mittwoch ist Cornelia Schröder der Öffentlichkeit vorgestellt worden. Der Anlass hätte feierlicher kaum sein können: Gestern vor 100 Jahren wurde das inzwischen denkmalgeschützte Backsteingebäude am Spielbudenplatz der Polizei übergeben. Offiziell hat die Polizeioberrätin schon vor vier Wochen die Leitung übernommen, ist aber seit Oktober durch eine komplizierte Beinverletzung außer Gefecht gesetzt. Mitte nächster Woche will die 49-Jährige dann endgültig ins Chefbüro im Dachgeschoss der Wache einziehen.

Zur Feierstunde am Mittwoch sind auch Innensenator Michael Neumann (SPD) und Polizeipräsident Ralf Martin Meyer gekommen. Doch die Bühne gehört allein Cornelia Schröder, die sich in Uniform am Spielbudenplatz den Fragen stellt. Hinter ihr leuchtet bläulich der weltberühmte Schriftzug „Polizei“. Die Davidwache ist nicht nur der letzte Vorposten der Polizei im Kampf gegen die Kriminalität auf dem Kiez, sie ist auch ein Hamburger Wahrzeichen, ein Postkartenmotiv – die Berufung der ersten Chefin bekommt da durchaus historischen Charakter.

Derzeit höre sie immer wieder die Frage: Wie fühlt sich das an, Boss in einem klassischen Männer-Revier zu sein? Eine Frage, der eine falsche Annahme zugrunde liege, sagt Schröder: „Es war nur eine Frage der Zeit, bis eine Frau hier Chefin wird“, sagt sie dem Abendblatt. „Für mich ist nicht ersichtlich, warum es eine Frau nicht werden sollte.“ Überdies ist die Davidwache gar keine Männerdomäne: 35 der 116 Beschäftigten sind Frauen. Und außer Schröder gibt es zwei weitere PK-Leiterinnen in Hamburg, jeweils in Bramfeld (PK 36) und in Neugraben (PK 47).

Männlich oder weiblich, das sind ohnehin keine Kategorien, in denen sie denkt, wenn sie über Führung und ihren Stil spricht. Sie verspüre keinen Druck, nun besonders taff oder hart aufzutreten, nur um allen zu beweisen, dass frau so etwas eben auch kann. Auf eine Alpha-Frauchen-Attitüde könne sie gut verzichten. „Ich muss nicht männlicher sein als der männlichste Chef“, sagt sie. Was sie auszeichnet? Sie sei „sehr offen und ehrlich“, scheue „keine unangenehmen Gespräche“. Bei ihr wisse eigentlich jeder schnell, woran er ist.

Cornelia Schröder ist seit 30 Jahren bei der Polizei, legte dort eine mustergültige Karriere mit zahlreichen Stationen hin. Vier Jahre führte sie etwa die Polizeieinsatzzentrale, die für die Koordinierung aller Polizeieinsätze in Hamburg verantwortlich ist. Zuletzt war sie Leiterin des Polizeikommissariats 35 in Poppenbüttel. „Der Kiez ist natürlich eine ganz andere Welt“, sagt sie.

Hier die verruchten Etablissements, die glitzernden Striplokale, die finsteren Spelunken – dort die Menschen, die von alldem magisch angezogen werden: Halbweltgestalten, betrunkene Partytouristen und Kleinkriminelle. Straftaten werden auf dem Kiez fortlaufend begangen, die Bandbreite reicht vom Taschendiebstahl bis zum Auftragsmord. In den Bereichen Raub und Körperverletzung ist St. Pauli nach wie vor Kriminalitätsschwerpunkt in Hamburg. Sie wolle und werde die Probleme angehen und dafür sorgen, „dass St. Pauli liebenswert und lebenswert bleibt“, sagt Schröder. Ihr früheres Revier ist zwar flächenmäßig deutlich größer als das mit nur 0,92 Quadratkilometer und 14.000 Einwohnern kleinste Polizeirevier in ganz Europa – doch im Gegensatz zum beschaulichen Poppenbüttel schläft der Kiez nie. Cornelia Schröder weiß schon jetzt, dass der Job sie an ihre körperlichen und mentalen Grenzen bringen könnte.

Dafür ist der Posten mit einem hohen Prestige verbunden, gilt als Traumjob. „Ich habe es mir im Traum nicht vorstellen können, den Job zu bekommen“, sagt sie. Dass ihr die Leitung der Davidwache anvertraut worden sei, erfülle sie mit „großem Stolz“. Ihre Berufung empfinde sie als Wertschätzung ihrer bisherigen Arbeit. Viel Respekt habe sie vor der neuen Aufgabe. „Aber vor allem bin ich neugierig“, sagt sie. Sie freue sich darauf, ihre Kollegen kennenzulernen, die sie freundlich aufgenommen hätten. In den nächsten Wochen werde sie sich viel Zeit dafür nehmen.

Bei der Vorstellung der „neuen Herrin auf dem Kiez“ am Mittwoch steht jener Mann, der das Rampenlicht gewohnt ist, etwas im Hintergrund. Polizeipräsident Ralf Martin Meyer – seit Mai im Amt – will sich als Modernisierer einen Namen machen. Als einer, der für eine fortschrittliche Polizei steht. Den Ausschlag für die Berufung von Cornelia Schröder hätten ihre hervorragenden Qualifikationen gegeben, nicht die Tatsache, dass sie eine Frau ist, sagt Meyer. Gleichwohl sei das „herausragende Revier“ ein „guter Ort“ für eine Frau in Chef-Position.