Ingrid Werner hilft einer äthiopischen Familie im Alltag.

Farmsen. Sie ist Freundin, Ersatzoma und Erziehungsberaterin, bietet die Begleitung zu Behörden, Fußballspielen und Lernentwicklungsgesprächen an und schlüpft auch mal in die Rolle einer Krankenschwester – Ingrid Werners Ehrenamt ist abwechslungsreich und verantwortungsvoll: Als Familienpatin des Kinderschutzbunds betreut die 72-Jährige aus Eimsbüttel die Äthiopierin Ajsha Bikile und ihren Sohn Yonas (alle Namen geändert).

Sie habe das Amt größtenteils aus Neugierde übernommen, sagt Ingrid Werner, die zum hellen Pagenschnitt eine Brille mit dunklem Rahmen trägt. „Ich habe selber keine Kinder und kenne Familienleben nur von meinen Geschwistern, Nichten und Neffen.“ Außerdem wolle sie über den Tellerrand ihres gutbürgerlichen Stadtteils hinausblicken. „Mich interessiert, wie andere Leute wohnen und zusammenleben.“ Sie selber hat früher als Cutterin gearbeitet und lange in London gewohnt. Die Familienpatenschaft ist nicht ihr erstes Ehrenamt: Seit viereinhalb Jahren unterstützt sie zweimal in der Woche die Lehrer und Sozialpädagogen einer Inklusionsklasse in Stellingen.

Für ihren Wunsch nach Familienanschluss schien das Projekt Familienpaten genau das richtige zu sein. Es will Eltern und Alleinerziehende in Belastungssituationen unbürokratisch und je nach Bedarf unterstützen – das kann Hilfe im Haushalt ebenso sein wie der Besuch bei Ärzten und Behörden, Anregungen bei Erziehungsfragen oder das Spielen mit Kindern. Nachdem sie die Hälfte der erforderlichen Schulungsstunden absolviert hatte, lernte sie Ajsha und Yonas kennen – und ist seitdem mindestens einmal pro Woche in der kleinen Wohnung anzutreffen, die im Erdgeschoss eines Farmsener Wohnbocks liegt und glücklicherweise einen kleinen Garten hat.

Ein niedriger Schemel, zwei auf ein Holzbrett gemalte Antilopen und ein paar andere Souvenirs sind alles, was Ajsha Bikile an ihre Heimat erinnert. 2008 ist sie nach Hamburg gekommen. „Der Liebe wegen“, sagt die 32-Jährige und lacht bitter. „Doch es hat nicht funktioniert.“ Sie hatten sich in Addis Abeba kennengelernt, der Hamburger hatte dort häufiger beruflich zu tun. Er überredete die hübsche Afrikanerin, ihn nach Deutschland zu begleiten, und sie ließ Eltern, Bruder und die große Verwandtschaft zurück und ging mit ihm. 2012 hat er sie verlassen. Unterhalt zahlt er unregelmäßig; sie lebt seitdem von Hartz IV. Yonas vermisst den Papa. Zuerst hat er ihn noch jedes zweite Wochenende gesehen. Dann ist sein Vater ausgewandert. Seitdem haben sich die beiden nur einmal getroffen – vor Kurzem, als der Papa auf Besuch in Hamburg war.

Er freut sich, dass Ingrid Werner in sein Leben getreten ist. Sie bastelt, spielt und gärtnert mit ihm, begleitet ihn zum Fußballtraining und hat hin und wieder auch schon im Garten mit ihm gekickt. Mit Ajsha ist die Familienpatin zum Lernentwicklungsgespräch in der Vorschule gegangen und zur Ausbildungsberatung – die Äthiopierin hatte in ihrer Heimat IT und Management studiert und will auch hier arbeiten, doch ihr Abschluss wird nicht anerkannt. „Ich genieße es, mit Ingrid auch mal jemanden für mich zu haben“, gesteht Ajsha und lächelt. Besonders dankbar ist sie Ingrid für deren Pflege, als Mutter und Kind krank waren.

Der Bedarf an Familienpatenschaften ist groß. „Momentan sind in Hamburg nur 22 Paten im Einsatz. Wir suchen dringend weitere Freiwillige“, sagt Beate Gartmann vom Deutschen Kinderschutzbund, der in Hamburg an der Fruchtallee 15 sitzt. In den dortigen Räumlichkeiten werden auch die Schulungen angeboten, in denen die Paten auf ihr Amt vorbereitet werden.

Die nächste Staffel startet im März. Informationen unter www.kinderschutzbund-hamburg.de