In Hamburg gibt es bald 24 „Business Improvement Districts“, in denen Grundeigentümer das Stadtbild verschönern. Doch in Bergedorf gibt es jetzt Rebellen gegen das System.

Hamburg. Das Dokument des Anstoßes ist ziemlich bunt. Elke Kurkowski breitet einen Plan der Bergedorfer Innenstadt auf dem Tisch aus, darauf sind eine Menge roter und grüner Kästchen zu sehen, einige blaue und wenige gelbe Kästchen und drumherum ist viel Grau und Rosa.

Entscheidend sind zwei Farben: Grün steht für Altbauten – deren Besitzer sind die Glücklichen. Rot steht für Neubauten – deren Eigentümer sind die Gelackmeierten in dieser Geschichte, die keineswegs auf Bergedorf beschränkt ist, sondern im Prinzip alle Shoppingquartiere in Hamburg betrifft. Blau und Gelb markiert die Zone zwischen Glück und Pech, Rosa und Grau steht für nicht betroffene Grundstücke.

Elke Kurkowski ist aber betroffen. Ihre zwei Grundstücke an der Fußgängerzone Sachsentor sind blau markiert, was für zwei modernisierte Altbauten steht und bedeutet, dass sie etwa 20.000 Euro BID-Beitrag innerhalb von fünf Jahren zahlen muss. Das sind umgerechnet rund zwei Euro pro Quadratmeter Nutzfläche und Jahr. Die Besitzer der grün markierten Immobilien zahlen dagegen trotz vergleichbarer Lage viel weniger, teilweise nur 80 Cent pro Quadratmeter. Wieder andere, vor allem die „Roten“, müssen bis zu 4,20 Euro berappen, hat Kurkowski erfahren und bringt es auf den Punkt: „Der BID-Beitrag differiert in Bergdorf um bis zu 500 Prozent. Das finde ich einfach ungerecht.“ Und nicht nur sie.

Ausgerechnet beim ältesten BID in ganz Deutschland gibt es jetzt Ärger

BID steht für Business Improvement District (Behörden sprechen von „Innovationsbereich“) und ist trotz des sperrigen Namens in Hamburg mittlerweile allgegenwärtig (siehe Infokasten). Sogar die Reeperbahn ist ein BID. Als Stadtentwicklungssenatorin Jutta Blankau (SPD) kürzlich das Nikolaiquartier vorstellte, das mit 9,3 Millionen Euro Investitionsvolumen ambitionierteste BID in ganz Deutschland, sprach sie daher voller Überzeugung von einer „Erfolgsgeschichte“.

Doch dessen Fortsetzung wackelt nun ausgerechnet bei den Trendsettern in Bergedorf, die vor zehn Jahren das erste BID Deutschlands gegründet hatten und seitdem besondere Beachtung genießen. Bis zum 3.Dezember, 24Uhr, können sich die Grundeigentümer dort erklären, ob sie gegen eine dritte Auflage des BID Sachsentor sind. Wie groß der Widerstand genau ist, verrät Elke Kurkowski derzeit nicht, aber sie deutet an, dass von den 760.000 Euro Abgaben, mit denen kalkuliert werde, mindestens 150.000 Euro auf BID-Kritiker entfallen, die Widerspruch eingelegt haben oder einlegen werden.

Nicht zustande kommt ein BID, wenn sich ein Drittel der Grundeigentümer dagegen ausspricht – davon sind Kurkowski und ihre Mitstreiter nach eigener Aussage so weit nicht entfernt. Doch mit diesem „Quorum“ fangen die Merkwürdigkeiten, gegen die sich die Grundbesitzer wehren, schon an.

Denn es genügen 15 Prozent der Eigentümer, um ein BID anzuschieben. Kommt diese kleine Minderheit zustande, rücken die Behörden erste Daten zur Zahl der Grundeigentümer, zu Flächen und Werten heraus, aus denen sich grob ableiten lässt, welche BID-Beiträge zu erzielen sind. Dann wird ein „Aufgabenträger“ eingesetzt, also ein Unternehmen, das zusammen mit den Grundbesitzern Maßnahmen entwickelt und sich später um die Umsetzung kümmert. Ob das BID dann zustande kommt, bedarf aber keiner aktiven Zustimmung mehr. Es folgt nur noch eine Auslegung der Pläne, gegen die man Widerspruch einlegen kann – der aber nur greift, wenn nicht mehr 15, sondern nun mindestens 33 Prozent widersprechen.

„Es kann doch nicht sein, dass 15 Prozent etwas anschieben können, aber 33 Prozent nötig sind, um es zu verhindern“, sagt der Rechtsanwalt Dirk Trieglaff von der renommierten Kanzlei Dr. Weiland und Partner, der die Bergedorfer Widerständler um Elke Kurkowski vertritt. „Das halte ich für nicht demokratisch.“ Immerhin wurde dieses „Negativquorum“ in Hamburg schon zweimal erreicht: 2009 scheiterte das BID Rissen, weil 87 Prozent der Grundeigentümer widersprachen. Und 2008 in Harburg legten zunächst 52 Prozent Widerspruch ein, bevor das BID Lüneburger Straße nach Überzeugungsarbeit der Befürworter im zweiten Versuch doch zustande kam.

Nicht minder fragwürdig ist die Ermittlung der BID-Beiträge. Sie richtet sich keinesfalls nach Grund- oder Verkaufsfläche, sondern nach dem Einheitswert der Immobilie. Der Haken daran: Dieser Wert wurde in Deutschland zuletzt 1964 flächendeckend ermittelt. „Eigentlich sollte alle sechs Jahre eine Hauptfeststellung der Einheitswerte erfolgen“, sagt Trieglaff. „Hierzu ist es aber aus praktischen Gründen nie gekommen.“ Altbauten, die nach 1964 nicht entscheidend umgebaut wurden, haben daher teilweise seit 50 Jahren den gleichen Einheitswert. Wurden hingegen Modernisierungen vorgenommen, die eine Baugenehmigung erforderten, wurde auch der Einheitswert angehoben – daher zahlt zum Beispiel Elke Kurkowski für ihre denkmalgeschützten, aber modernisierten Geschäftshäuser viel mehr BID-Beitrag als ein Nachbar mit einem unveränderten Altbau. Noch mehr zahlen nur die Eigentümer von Neubauten.

„Diese Bemessungsgrundlage ist unfair“, sagt Trieglaff und verweist auf besagten Plan der Bergedorfer Innenstadt, den der Ingenieur Raimund Kopton erstellt hat. Im Ergebnis trage ein kleiner Teil der Eigentümer von Neu- und Umbauten den Großteil des BID-Etats. In anderen Lagen in Hamburg gehe die Schere noch weiter auseinander. So sollen im BID Neuer Wall, in dem auch die Kanzlei Weiland als Mieter ihren Sitz hat, die Beiträge um bis zu 800 Prozent voneinander abweichen. Exakt weiß das allerdings kein Außenstehender, denn die Einheitswerte fallen unter das Steuergeheimnis. Kopton, Kurkowski & Co. haben ihre Erkenntnisse aus persönlichen Gesprächen mit Grundbesitzern gewonnen.

Dass der Einheitswert, der auch zur Ermittlung der Grundsteuer herangezogen wird, ein untaugliches Messinstrument ist, hatte der Bundesfinanzhof schon 2010 festgestellt. Mittlerweile liegt der Fall beim Bundesverfassungsgericht, und nicht wenige Fachleute wie Dirk Trieglaff rechnen für kommendes Jahr mit einem Urteil, das gegen den Einheitswert ausfällt. „Was ich nicht verstehe, ist, warum der Senat in Kenntnis des bevorstehenden Urteils noch neue BIDs genehmigt, anstatt erst mal abzuwarten“, sagt Trieglaff mit Blick auf große neue Gebiete wie Nikolaiquartier oder Gänsemarkt.

Trotz dieser aus ihrer Sicht fragwürdigen Rahmenbedingungen sind die Bergedorfer Kritiker aber nicht grundsätzlich gegen ein BID: „Wir sind sogar dafür“, sagt Elke Kurkowski, „aber nicht so.“ Denn abgesehen von Quoren und Einheitswerten sind sie auch mit der Wirksamkeit der Maßnahmen nicht zufrieden. Die Weihnachtsbeleuchtung habe sie trotz BID selbst organisieren müssen, für den Internetauftritt des Quartiers sei kaum etwas getan worden, und dann seien im BID Sachsentor III auch noch fast 30 Prozent der Ausgaben – 214.000 von 762.000 Euro – für Management vorgesehen. Viel zu viel, findet die resolute Immobilienbesitzerin und erhofft sich daher bis zum 3.Dezember ein starkes Votum der Kritiker, um die Pläne noch einmal zu ändern.

Allerdings ist den Kritikern auch bewusst, dass sie in der Minderheit sind. Sowohl die Mehrheit der Bergedorfer Geschäftsleute als auch Bezirksamt und Bezirkspolitik stehen hinter dem Projekt Sachsentor III. Wenn es damit nichts werde, fahre der Standort „gegen die Wand“, sagte jüngst ein ortsansässiger Geschäftsmann.

Unterstützung bekommen sie von der Stadtentwicklungsbehörde. Dort sitzt der Mann, der wohl wie kein Zweiter in Hamburg die andere Seite dieser Geschichte, die des großen Erfolges, erzählen kann: Frithjof Büttner ist seit zehn Jahren der BID-Beauftragte der Stadt, er hat alle 24 BIDs begleitet, er kennt alle Zahlen, und er ist Überzeugungstäter. „Schauen Sie“, sagt er und legt eine Statistik auf den Tisch. „Investitionen der eingerichteten BIDs“ steht oben drüber, dann folgen Zahlen wie 150.000 Euro für Sachsentor I bis 9,3 Millionen im Nikolaiquartier. Unterm Strich steht: 39,1 Millionen Euro. „Diese Summe an privaten Investitionen im öffentlichen Raum wäre ohne BIDs nie zustande gekommen“, sagt Büttner. Was im Umkehrschluss bedeutet: Die Stadt hätte die Verschönerungen am Neuen Wall, an den Hohen Bleichen oder im Passagenviertel, wo mit viel Aufwand ein einheitlich schickes Erscheinungsbild geschaffen wurde, nie selbst in die Hand genommen. Sie profitiert im Idealfall also ebenso von BIDs wie die Eigentümer und Geschäftsleute.

„Wenn ein BID gut läuft, steigen die Umsätze und damit der Wert der Immobilien, und ich kann höhere Mieten erzielen“, fasst es ein Geschäftsmann zusammen, der Grundstücke in Bergedorf und im Nikolaiquartier besitzt. „Und dann spielt auch der BID-Beitrag keine große Rolle mehr.“ Mit der Ermittlung nach Einheitswert sei er auch nicht glücklich, „aber es gibt nichts Besseres“.

Auf diese Formel bringt es auch Behördenvertreter Büttner. Für das BID-Gesetz seien alle möglichen Werte in Betracht gezogen worden. „Frontmeter, Grundstücksgröße, Bruttogeschossfläche, Verkaufsfläche oder Mieterträge sind nur einige der Parameter, die während des Gesetzgebungsverfahrens erwogen wurden“, sagt Büttner. Jeder habe Vor- und Nachteile. Der Einheitswert sei letztlich als der gerechteste eingestuft worden.

Als Beleg präsentiert er eine weitere Statistik: Von knapp 1000 Grundeigentümern, die von BIDs in Hamburg betroffen waren, hätten nur knapp zehn Prozent Widerspruch eingelegt, und davon nur eine sehr geringe Anzahl wegen des Einheitswerts. Am inhaltlichen Erfolg des BID-Modells gebe es auch kaum Zweifel, so Büttner. Sonst würden kaum immer neue gegründet und bestehende verlängert werden.

Büttner bezweifelt auch, dass die Ungerechtigkeit wirklich so groß ist wie von den Bergedorfer „Rebellen“ vorgebracht. Äußerlich identische Immobilien seien mitunter im Inneren technisch und baulich in sehr unterschiedlichem Zustand, sodass unterschiedliche Einheitswerte gerechtfertigt seien. Ein Immobilieneigentümer aus der Innenstadt bringt es so auf den Punkt: „Einen neuen Laden vermiete ich besser als einen alten Laden.“ Auch die seltsam anmutende Regelung mit den Quoren von 15 und 33 Prozent sei in der Praxis kein Thema, betont BID-Experte Büttner. Denn in der Regel spreche sich schon im ersten Schritt eine große Mehrheit für das Projekt aus.

Manchmal sind es aber auch nur 58 Prozent wie in Bergedorf – bei der dritten Auflage des BIDs spreche das nicht für den Erfolg der ersten beiden, sagt Elke Kurkowski. Daher wirbt sie weiter für ihre Position. Und die Geschäftswelt blickt gespannt nach Bergedorf.