Hamburg will eine Bundesratsinitiative starten, um effektiver gegen Produktpiraterie vorgehen zu können.

Hamburg. Der mit Polstermöbeln beladene Container, der aus China in den Hamburger Hafen gelangt war, kam den Zollbeamten spanisch vor. Sie durchleuchteten die Box in der Containerprüfanlage. Einige der Sessel wiesen auf dem Röntgenbild Unregelmäßigkeiten auf. Die Beamten sahen sich das auf billigste Art zusammengenagelte Mobiliar genauer an – und entdeckten neben Styropor als „Füllstoff“ 102.000 gefälschte Viagra-Tabletten. Geschätzter Schwarzmarktwert: bis zu 500.000 Euro. Die auf dem Frachtschein angegebene Adresse in Wilhelmsburg erwies sich als leeres Gebäude mit Briefkasten. Von den Tätern fehlt bislang jede Spur.

Produktpiraterie und Industriespionage stellt für Kriminelle längst ein hochprofitables Betätigungsfeld dar und führt zu immensen wirtschaftlichen Schäden. Nach Schätzungen des Deutschen Industrie- und Handelskammertages gehen der deutschen Wirtschaft auf diesem Weg jährlich mehr als 50 Milliarden Euro verloren. In der Europäischen Union wurden 2013 rund 35 Millionen gefälschte Produkte mit einem Wiederverkaufswert von 760 Millionen Euro beschlagnahmt. Allein der deutsche Zoll stellte davon Waren im Wert von mehr als 130 Millionen Euro sicher.

Hamburg mit seinem Hafen und den Hinterlandanbindungen ist in besonderem Maße eine Drehscheibe für den Handel mit gefälschten Produkten. So ist es nicht überraschend, dass die Justizbehörde zusammen mit der Bucerius Law School jüngst zu einer Fachtagung unter dem Motto „Produktpiraterie und Industriespionage – Bedrohung für Wirtschaft und Gesellschaft“ eingeladen hat. Zu den Referenten zählte unter anderen Hans-Georg Maaßen, der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz.

„Die Schäden, die der deutschen Wirtschaft durch Produktpiraterie entstehen, sind beträchtlich“, sagte JustizStaatsrat Nikolas Hill in seinem Tagungsbeitrag. Besonders betroffen von Plagiaten seien Körperpflegeartikel, Spielzeug und Accessoires wie Uhren, Schmuck oder Sonnenbrillen. Aber auch Arznei- und Lebensmittel würden in hohen Stückzahlen gefälscht. Die häufig minderwertigen und bisweilen gesundheitsgefährdenden Produkte kommen laut Zollstatistik zu 60 Prozent aus der Volksrepublik China und zu 19 Prozent aus Hongkong.

Hill wies auf einen „beunruhigenden Befund“ hin: „Produktpiraterie dient längst dazu, die welt- und europaweit agierende organisierte Kriminalität zu finanzieren!“ Die europäische Polizeibehörde Europol hat die Herstellung und den Vertrieb von Plagiaten als ein wichtiges Betätigungsfeld der organisierten Kriminalität ausgemacht und empfiehlt Politik und Strafverfolgungsbehörden, sich des Themas sehr viel stärker anzunehmen.

„Produktpiraterie lohnt sich. Die Profite sind hoch“, sagte Hill. Entwicklungskosten trügen im Wesentlichen die Originalhersteller. Die Produktionskosten seien wegen der oftmals minderwertigen Ausgangsstoffe und der bisweilen prekären Produktionsverhältnisse niedrig. Die Preise, die für die Plagiate erzielt werden, reichten hingegen häufig an die Originalprodukte heran.

Hill wies darauf hin, dass eine abschreckende Wirkung der einschlägigen Straftatbestände bislang fehle. „Die Strafen, die verhängt werden, liegen fast durchweg am unteren Ende der vorgesehenen Strafrahmen“, so der Staatsrat. In nur zehn Prozent der Verfahren, die sich laut jüngster Strafverfolgungsstatistik auf vorsätzliche Verletzung geistigen Eigentums bezogen, wurden Freiheitsstrafen ausgesprochen. Und von diesen Strafen wurden 90 Prozent zur Bewährung ausgesetzt. Zudem sei das Entdeckungsrisiko für Straftäter deutlich geringer als in anderen Kriminalitätsfeldern.

Hamburg will nun eine Initiative zur Verschärfung des Strafrahmens starten. „In Fällen, in denen die Täter gewerbs- oder bandenmäßig handeln, sollte die Mindeststrafe auf Freiheitsstrafe nicht unter drei Monaten angehoben werden“, sagte Hill. Das entspräche dem unteren Ende des Strafrahmens bei gewerbsmäßigem Diebstahl.

Ausdrücklich sieht die rechtspolitische Initiative vor, den Bereich der Betriebsspionage und „Geheimnishehlerei“ in die Strafverschärfung einzubeziehen. Der Vorstoß aus der Justizbehörde zielt außerdem darauf, die Strafverfolgung effektiver zu gestalten. „In Fällen, in denen der Verdacht besteht, dass geistiges Eigentum gewerbs- oder bandenmäßig verletzt worden ist, soll auch die Anordnung einer Telekommunikationsüberwachung zulässig sein“, erläuterte Hill. Wo organisierte Kriminalität am Werk sei, müssten die Strafverfolgungsbehörden mit auf diese Form des Verbrechens zugeschnittenen Maßnahmen reagieren können.

Hamburg wird die Vorschläge zur besseren Bekämpfung der Produktpiraterie und Industriespionage auf der Herbstkonferenz der Justizminister am 6. November in Berlin vorstellen. Ziel ist eine Bundesratsinitiative, die die Bundesregierung auffordert, gesetzgeberisch tätig zu werden.