70 Quadratmeter großes Gemälde wird heute in Ottensen eingeweiht. Es würdigt die drei wesentlichen Gründer der Pro. Aus der wurde später die co op

Ottensen. Hildegund Schuster steht vor dem großen Wandbild an der Kleinen Rainstraße. Die 59 Jahre alte Hamburgerin zeigt auf ein überdimensionales Gemälde, das sie in nur 15 Tagen an die 70 Quadratmeter große Häuserwand gemalt hat. Es zeigt im Vordergrund drei riesige Porträts: Adolph von Elm, Raphael Ernst May und Helma Steinbach. „Viel zu viele wissen viel zu wenig über die Konsumgenossenschaft ‚Produktion‘ und ihre drei wesentlichen Gründer“, sagt sie. Das wird sich jetzt ändern. Heute wird das Wandbild über die Pro von Altonas Bezirksamtsleiterin Liane Melzer eingeweiht.

Es ist der 24. Januar 1899. Im Hamburger Ballhaus an der Neustädter Straße sind 700 Menschen zusammengekommen. Sie planen eine ziemliche gesellschaftliche Revolution. Gegenstand des Unternehmens ist laut Statut: die Produktion, der gemeinschaftliche Einkauf und der Verkauf von Lebensmitteln, Textilien und Artikeln für Hauswirtschaft und Gewerbe sowie die Errichtung und der Betrieb von preisgünstigen Wohnungen und einer Sparkasse.

Die Genossenschaft ist das Ergebnis der Industrialisierung, die überall in Europa zu heftigen Auseinandersetzungen geführt hat. Die Arbeiter kämpften um Löhne und Bedingungen, die ihnen ein Leben in Würde ermöglichten. Buchdrucker, Bäcker oder Hafenarbeiter waren auch in Hamburg von 1890 an in Scharen auf die Straße gegangen und in wochenlange Streiks getreten. Es gab Tote und Verletzte, und oft endeten die Kämpfe mit der Aussperrung und der Arbeitslosigkeit der Menschen.

In Hamburg hatte Adolph von Elm, von Haus aus Zigarrenmacher, schon acht Jahre zuvor die Tabakarbeiter-Genossenschaft gegründet. „In dem jüdischen Kaufmann und Wirtschaftspublizisten Raphael Ernst May fand er einen kongenialen Partner“, sagt Burchard Bösche von der Kunststiftung Heinrich Stegemann, die das Wandbild in Ottensen möglich gemacht hat.

Dazu kam als treibende Kraft die Schneiderin Helma Steinbach. Sie war auch als Vorleserin in vielen Betrieben tätig, um Arbeiter politisch zu bilden, und hatte bei dieser Gelegenheit Adolph von Elm kennengelernt. Bis zu ihrem Tod 1918 gehörte sie dem Aufsichtsrat der Pro an.

Bereits sechs Monate nach der Gründung, am 17. Juli 1899, eröffnete die erste Verkaufsstelle. Ein nur wenige Quadratmeter kleiner Laden am Großneumarkt, dahinter ein Zimmerchen, darunter ein schmaler Keller waren Verkaufsraum, Lager und Kontor. Als Fuhrpark diente eine gemietete Karre. Da die Waren laut Genossenschaftsgesetz nur an die anfangs sehr geringe Zahl eigener Mitglieder verkauft werden durften, die zudem weit zerstreut in Hamburg und den Vororten wohnten, wurde die neue Konkurrenz von Hamburgs Kaufleuten zunächst belächelt.

Die Entwicklung aber verlief rasant. Schon zehn Jahre später gab es in Hamburg rund 100 Verkaufsstellen, darunter Schlachter- und Brotläden, Frucht- und Gemüseläden und ein Kohlenlager in der Bergedorfer Friedrichstraße. Die „Produktion“ hatte inzwischen 40.000 Mitglieder und erreichte mit 134.679 Mitgliedern, die Geschäftsanteile in Höhe von 3,5 Millionen Mark hielten, 1931 ihren Höhepunkt. Die Idee, die von Elm einen „Zusammenschluss all derer, die unter den Auswirkungen des Kapitalismus leiden“, nannte, hatte sich durchgesetzt. Bis die Nazis die „Produktion“ 1941 verboten.

Am 20. Oktober 1910 konnte Adolph von Elm nach über einem Jahrzehnt Konsumgenossenschaft in einem Vortrag im Hamburger Gewerkschaftshaus ein äußerst erfolgreiches Fazit ziehen. „So hat die ‚Produktion‘ bisher die geforderte wertvolle soziale Arbeit geleistet. Sie hat die Kosten der Lebenshaltung vieler Volksgenossen herabgemindert, ihre Konsumkraft gesteigert und dadurch die Produktion von Waren vermehrt“, rief er den Mitgliedern zu. „Dem Hamburger Gemeinwesen hat sie genützt, indem sie ihre Mitglieder in die Lage versetzt, ihre Steuerpflicht erfüllen zu können. Sie hat dadurch, dass sie ihren Angestellten und Arbeitern höhere Löhne zahlte als in Privatbetrieben üblich, dem Hamburger Staate viele steuerkräftige Mitbürger geschaffen.“

Schon drei Jahre nach dem Krieg existierten 1948 in den drei Westzonen wieder 250 Konsumgenossenschaften mit 750.000 Mitgliedern und 5700 Verkaufsstätten. Aus Pro wurde später die co op AG, die Discounter aber machten den Konsumgenossenschaften ziemlich zu schaffen.

Am 18. September 1916 ist Adolph von Elm, der drei Jahre zuvor die Volksfürsorge Lebensversicherung gegründet hat, an seinem Schreibtisch gestorben. „Bei seiner Beerdigung“, sagt Burchard Bösche, „hieß es: Der König von Hamburg ist tot.“ Nun lebt er an der Häuserwand weiter.