Wird die Stadt am 9. Oktober vor Gericht zu Umweltzone oder City-Maut gezwungen?

Hamburg. Die Belastung der Luft mit giftigem Stickstoffdioxid NO2 geht in Hamburg nicht zurück – und liegt damit nach wie vor deutlich über den von der EU seit 2010 rechtsverbindlich festgelegten Grenzwerten. Das geht aus einer Auswertung der Messdaten des ersten Halbjahres 2014 durch den Bund für Umwelt- und Naturschutz Deutschland (BUND) hervor. Statt weniger als die erlaubten 40 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft werden an den großen Hamburger Messstationen Habichtstraße, Max-Brauer-Allee, Kieler Straße und Stresemannstraße im Jahresmittel immer noch Werte zwischen 45 und 65 Mikrogramm gemessen.

Zusammen mit Ozon und Feinstaub gehört das Reizgas NO2 zu den drei gefährlichsten Substanzen in der Luft, die nach Schätzungen der EU allein in Europa für mehr als 400.000 vorzeitige Todesfälle verantwortlich sind. Hauptquellen der Atemgifte, die Bronchitis, Asthma, Entzündungen und Lungenkrebs auslösen können, sind Straßenverkehr und Schiffsabgase.

Rasche Besserung scheint nicht in Sicht: Der Senat selbst hat der EU mitteilen müssen, dass er auch im kommenden Jahr nicht mit der Einhaltung der Grenzwerte in Hamburg rechne. Im Umweltbundesamt befürchtet man nach einer neueren Analyse sogar, dass es noch bis 2030 zu Überschreitungen der Grenzwerte kommt. Zwar steht Hamburg mit dem Problem nicht alleine da, in Deutschland und Europa kämpfen Dutzende Städte mit zu hoher Luftbelastung. Am 9. Oktober 2014 aber wird es in Sachen Luftbelastung ernst für den Senat. Dann verhandelt das Hamburger Verwaltungsgericht eine Klage des BUND und eines Hamburger Bürgers, mit der die Stadt gezwungen werden soll, schärfere Maßnahmen zur Luftreinhaltung einzuführen.

Die Folgen könnten gravierend sein: Die Richter könnten die Stadt indirekt zur Einführung einer Umweltzone, City-Maut oder neuen Tempolimits zwingen. Ältere Autos dürften dann womöglich gar nicht mehr in die Stadt fahren – oder alle müssten zusätzlich für jede Fahrt zum Jungfernstieg bezahlen. Offiziell sieht man sich im Senat zwar auf dem richtigen Weg: Mit der im Ende 2012 fortgeschriebenen Luftreinhalteplan festgelegten Stärkung von Radverkehr und öffentlichem Personennahverkehr und den Plänen zur Landstromanbindung von Kreuzfahrtschiffen seien wesentliche Maßnahmen zur Luftverbesserung eingeleitet worden, heißt es aus der Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt (BSU). Zudem seien in erster Linie Dieselfahrzeuge für die Stickstoffdioxid-Belastung verantwortlich. Und es sei Sache der EU selbst und nicht der Stadt Hamburg, die Abgasnormen für solche Fahrzeuge zu verschärfen.

Hinter vorgehaltener Hand aber ist aus dem Rathaus auch anderes zu hören. Es sei gut möglich, dass man sich in Sachen Luftreinhaltung eine Niederlage von den Verwaltungsrichtern einfange, heißt es da. Tatsächlich spricht einiges dafür – zum Beispiel andere Gerichtsurteile. So hat etwa das Verwaltungsgericht München aufgrund einer Klage der Deutschen Umwelthilfe (DUH) die bayerische Landeshauptstadt dazu verdonnert, „den für München geltenden Luftreinhalteplan so zu ändern, dass dieser die erforderlichen Maßnahmen zur schnellstmöglichen Einhaltung“ der Grenzwerte aufnimmt.

Bisher waren viele Städte davon ausgegangen, dass nur „verhältnismäßige“ Eingriffe in den Verkehr zwingend seien. Das Münchner Verwaltungsgericht aber forderte implizit die ganze Instrumenten-Palette zur Einhaltung der Grenzwerte bei der Luftbelastung. Zunächst legte das Land Bayern Widerspruch vor dem bayerischen Verwaltungsgerichtshof ein, zog diesen jedoch im April 2014 zurück, als das Gericht signalisierte, dass man aufgrund von Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts gar nicht anders könne als den Widerspruch abzuweisen.

Nun werkelt man in München an schärferen Vorschriften. In Hamburg dagegen tue sich so gut wie nichts, moniert BUND-Chef Manfred Braasch: „Der Senat versucht das Problem der Luftschadstoffbelastung weiterhin auszusitzen. Es ist bezeichnend für die Hamburger Umweltpolitik, dass Umweltverbände und Anwohner die Einhaltung geltender Grenzwerte, die zum Schutz der menschlichen Gesundheit gemacht wurden, mühsam einklagen müssen.“ Auch CDU-Umweltpolitikerin Birgit Stöver kritisiert, „dass der Senat seit Jahren keine effektiven Maßnahmen unternimmt, die geltenden Höchstwerte in Hamburg endlich einzuhalten“. Um den Stickoxidgehalt in der Luft zu reduzieren, sei es „die sinnvollste Maßnahme, das eigene Auto stehen zu lassen und stattdessen lieber den öffentlichen Nahverkehr zu nutzen“. Der Senat erreiche aber mit der Einführung der P+R-Gebühren das Gegenteil.

Der Senat hält die vom BUND vorgelegten Halbjahreszahlen für nicht seriös. Messe man ein ganzes Jahr, so sei die Belastung zumindest nicht gestiegen. Auch in Sachen Stadtbahn bleibt man beim Nein – und kassiert dafür Kritik aus München. „Gerade wenn Hamburgs Bürgermeister auf ingenieurgetriebenen Umweltschutz setzt, müsste der Bau einer Stadtbahn höchste Priorität haben“, sagt der Münchner Stadtrat und Umweltreferent Joachim Lorenz.