Wohin zieht es uns in Hamburg? Teil 5: Linda Strauch über ihre Lebensreise durch die Stadt.

Hamburg . Bevor Linda Strauch morgens ihre Wohnung im ersten Stock eines Mehrfamilienhauses in Farmsen-Berne verlässt, geht sie ins Wohnzimmer oder tritt hinaus auf den Balkon. Dann schaut sie auf den großen Teich hinab. „An der Wasseroberfläche kann ich genau erkennen, wie das Wetter ist. Man sieht sehr gut, ob und wie stark es regnet. Und wie stark der Wind bläst.“

Es ist ein toller Blick in ein Natur- und Kinderparadies, der sich von Linda Strauchs Balkon nahe der Trabrennbahn bietet. Links zwischen Erlen und Weiden der Teich, über den Libellen surren und Enten paddeln. Manchmal, erzählt die 45-Jährige, schießt sogar ein Eisvogel über das Wasser. Rechts der Außenbereich eines Kindergartens, spielende Knirpse, die im Sand buddeln.

Linda Strauch wohnt seit 16 Jahren in dieser Dreizimmerwohnung. Mit ihrem Mann Peter, 58, und ihren beiden Söhnen Felix, 17, und Maxi, 14. Hier nahe der Trabrennbahn sieht Linda sie aufwachsen zwischen dem vielen Wasser und den großen Wiesen. Kein Wunder, dass ihre Jungs viel draußen unterwegs sind: Schlittschuh laufen im Winter, Drachen steigen lassen im Sommer. Linda lächelt. Natur, Tiere, ganz viel Grün inmitten der Großstadt – so ist auch sie aufgewachsen.

Damals in einer Art Mehrgenerationenhaus, bevor es diesen Begriff überhaupt gab. Eigentlich waren sie einfach eine große Familie: Linda, ihr drei Jahre älterer Bruder, die Eltern, Tante, Onkel, die Großeltern und der Urgroßvater. Auf zwei Etagen unter einem Dach am König-Heinrich-Weg in Niendorf. Und vor der Tür ein großer, wilder Garten – eine Menge Kröten inklusive.

Lindas Vater hält hier draußen Hühner und Fasane, Sittiche und Brieftauben. Linda hilft ihm beim Füttern der Tiere und liest beim Spaziergang durch die Käfige die schönsten Federn auf. Es ist eine gute Kindheit mit regelmäßigen Tierparkbesuchen bei Hagenbeck und Camping-Trips nach Fehmarn. Und trotz des innigen familiären Verhältnisses kommt nach Abschluss der Ausbildung zur Zahnarzthelferin mit 18 der Zeitpunkt, an dem für Linda Strauch klar ist: „Jetzt muss ich raus.“

Sie bleibt in Niendorf, zieht an die Paul-Sorge-Straße. In eine ganz spezielle WG: „Da lebte ein junger Mann um die 20, den ich nur noch Gitarre spielend in Erinnerung habe. Und eine 90-jährige Frau.“ An das Klappern ihrer Schreibmaschine, wenn sie Briefe verfasste, erinnert sich Linda Strauch bis heute. Und an die Mahlzeiten, die die alte Dame ungefragt für sie kocht und vor die Tür stellt. Trotz dieser Aufmerksamkeiten: Das ungewöhnliche Trio teilt nicht viel Alltag miteinander, „jeder hat sein Leben gelebt“, erzählt Linda Strauch rückblickend. Für Linda ist das erste Alleinleben außerhalb der Großfamilie ungewohnt. „Am Anfang habe ich mich ein bisschen einsam gefühlt. Aber es war auch schön.“

Der ersten WG, in der Linda Strauch ein Jahr bleibt, folgt ein weiteres in einer Wohnung am Itzehoer Weg in Hoheluft-Ost. Von hier hat sie es nicht mehr so weit zur Arbeit in der Innenstadt. Doch dann begegnet Linda Strauch der Liebe und lässt sich von ihr zu neuen Ufern tragen – im wahrsten Sinne des Wortes: Ihr neuer Freund wohnt am Neßdeich auf Finkenwerder. Linda lernt ihn bei einer Führerschein-Nachschulung kennen, nachdem sie mit 25 Kilometern pro Stunde zu viel auf einer Bundesstraße geblitzt wurde. Es läuft so gut zwischen den beiden, dass sie nach ein paar Monaten zu ihm zieht.

In Hannover hielt es die Familie nicht lange – es ging zurück nach Hamburg

Es geht in die obere Etage seines Elternhauses nahe dem südlichen Elbufer. Der Arbeitsweg in die Innenstadt verlängert sich für Linda wieder, wird dafür aber maritimer. „Ich bin jeden Morgen mit dem Bus zum Anleger und dann um halb acht mit dem Dampfer zu den Landungsbrücken.“

Nach knapp anderthalb Jahren zerbricht die Beziehung. Linda Strauch zieht aus. „Ich wusste nicht mehr, wohin. Dann bin ich zurück nach Niendorf.“ Doch in dem Haus, in dem sie aufwuchs, ist es jetzt fast leer. Ihre Eltern sind inzwischen getrennt und ausgezogen. Tante und Onkel auch. Lindas Urgroßvater und auch die Oma sind verstorben. Nur der Opa ist noch da. Mit ihm teilt sie sich nun das große Haus. Abends setzen sie sich zum Abendessen zusammen, gucken gemeinsam fern. „Es war am Anfang ein komisches Gefühl zurückzukehren. Aber dann war es eine sehr schöne Zeit“, sagt Linda rückblickend.

1990 gibt die Liebe ihr eine zweite Chance. Linda Strauch hat die Arbeit als Zahnarzthelferin inzwischen an den Nagel gehängt, sie arbeitet jetzt als Personalsachbearbeiterin. Und in diesem neuen Job lernt sie Peter kennen – ihren zukünftigen Mann. Nach vier Monaten ziehen sie zusammen. Nach Bergedorf, in eine 58 Quadratmeter große Dreizimmerwohnung an der Rektor-Ritter-Straße. Hier im Südosten Hamburgs fühlt sich Linda schnell wohl, lernt liebe Nachbarn kennen, mit denen sie sich schon bald zu Spieleabenden trifft. Mit ihrem Mann macht sie Ausflüge an die Elbe, sie haben einen Stammgriechen um die Ecke, den sie regelmäßig besuchen. 1996 heiraten die beiden im Schloss Bergedorf. Mit 29 wird Linda erstmals schwanger.

Nachdem Sohn Felix das Licht der Welt erblickt hat, werden schon wieder die Koffer gepackt. Eine Jobperspektive für Peter lockt die kleine Familie nach Hannover. Doch der Entschluss, Hamburg zu verlassen, wird schnell wieder revidiert, als die neue Lebenssituation in Hannover nicht das hält, was sie verspricht. Auf Wohnungssuche landen sie schließlich zu Hause. In Farmsen.