Trend: Familien bleiben in der Stadt, statt ins Umland zu ziehen. Das stellt Schulen vor Probleme

Eimsbüttel. Es ist eigentlich zu wenig Platz in der Wohnung, und der Altbau ist auch sehr hellhörig, Parkplätze gibt es kaum. Trotzdem möchte Familie Nolting nicht aus Hoheluft-West wegziehen. „Der Platz muss reichen“, sagt Carolin Gleitze-Nolting. Häufig ist es ja so, dass viele Familien nach dem zweiten oder dritten Kind am Leben in der Stadt zweifeln. Zu eng, zu laut, zu viel Verkehr. Es scheint, als legen sich diese Bedenken zunehmend: Im Kerngebiet Eimsbüttel bleiben die Familien wohnen statt ins Umland oder in grünere Stadtteile abzuwandern. In den vergangenen fünf Jahren ist die Anzahl der Haushalte mit Kindern im Bezirk um 3,5 Prozent gestiegen. Es sind inzwischen so viele Kinder, dass die Schulbehörde in diesem Sommer von der Anzahl der künftigen Erstklässler überrascht wurde und mehr Klassen als geplant einrichten musste.

„Das Leben hier ist sehr familienfreundlich und man ist weniger isoliert als auf dem Land“, sagt Carolin Gleitze-Nolting. Ob in der Eisdiele, auf dem Spielplatz oder im Park – irgendjemand, den man kennt, ist immer anzutreffen. Die 35-Jährige erwartet ihr drittes Kind, auch nach der Geburt wird sie mit Ehemann André und den Kindern Mia Sophie, 5, und Jari, 1, in der 100 Quadratmeter großen Altbauwohnung bleiben. Immer wieder ist es Gesprächsthema mit anderen Familien im Viertel: Wohnen am Stadtrand kommt für die Kinder- und Jugendpsychiaterin und ihren Mann nicht infrage.

Die Wege zum Supermarkt, zum Kinderarzt, zur Schule und Kita seien kurz und werden zu Fuß oder mit dem Rad erledigt. Die Kanzlei, in der André Nolting als Rechtsanwalt arbeitet, ist in der Innenstadt, Ehefrau Carolin kann mit dem Rad zu ihrer Arbeit. Der Spielplatz ist fast nebenan und Mia Sophie wird nach den Ferien in die 500Meter entfernte Grundschule gehen.

Familien wie die Noltings haben die Schulbehörde in diesem Jahr kalt erwischt. „Wir beobachten im Zentrum Eimsbüttels, dass Eltern, wenn sie Kinder bekommen, nicht mehr ins Grüne ziehen, sondern in der Stadt bleiben“, sagte Schulsenator Ties Rabe (SPD) kürzlich bei einem Richtfest. Dadurch erhöhe sich die Schülerzahl in diesem Stadtteil deutlich und es würden mehr Schulplätze benötigt. „Wenn der Trend anhält, kann das aufgrund der dichten Bebauung in Eimsbüttel perspektivisch noch eine Herausforderung für den Schulbau werden.“

Mia Sophie ist eines dieser 719 Kinder, die im kommenden Schuljahr im Bezirk eingeschult werden. Das sind 130 Erstklässler mehr als im vergangenen Schuljahr. Die Fünfjährige wird in die Schule an der Isebek eingeschult. Sie hat Glück, nah genug an der Grundschule zu wohnen. Denn viele Kinder wurden abgelehnt. 60 Kinder im Bezirk konnten nicht in ihren Wunschschulen aufgenommen werden. An den Grundschulen wurden fünf zusätzliche erste Klassen eingerichtet – dadurch wurde die Zügigkeit gemäß Schulentwicklungsplan an der Grundschule Turmweg, an der Lutterothstraße und Rellinger Straße sowie an der Schule Tornquiststraße überschritten.

Weil die Schulwege dem Alter entsprechend kurz sein sollen, versucht die Behörde, möglichst alle Kinder im Wohnstadtteil unterzubringen. Bestehende Schulen seien bereits ausgebaut worden und mit dem Gymnasium Hoheluft an der Christian-Förster-Straße wurde sogar ein neues Gymnasium gegründet. Reicht der Platz an den Schulen nicht, werden mobile Klassenräume aufgestellt. Eimsbüttel ist einer von drei Stadtteilen, in denen deutlich mehr Kinder angemeldet wurden als erwartet. „In Eimsbüttel ist dieser Effekt aber klar am stärksten“, sagt Peter Albrecht, Sprecher der Schulbehörde. In Bahrenfeld/Ottensen waren es 56 Kinder mehr (plus 19 Prozent), in Alsterdorf/Eppendorf 60 Kinder mehr (plus 14 Prozent). Von 2009 bis 2012 ist die Anzahl der Haushalte mit Kindern im Bezirk Eimsbüttel um 780 Haushalte gestiegen. In ganz Hamburg betrug dieser Anstieg dagegen nur um 1,8 Prozent (3.059 Haushalte mehr).

Ein Grund für den generellen Anstieg an Familien mit Kindern in Hamburg kann die Zunahme von Eigentumswohnungen sein – wer Eigentum besitzt, zieht auch mit mehr als einem Kind nicht an den Stadtrand. Ein anderer Grund dafür, dass Familien in ihren Wohnungen bleiben: Ein Umzug ins Umland bedeutet nicht unbedingt eine finanzielle Entlastung. Denn auch das Pendeln mit Auto oder Bahn zur Arbeit in die Stadt verursacht Kosten.

„Der Vorteil der geringeren Wohnkosten an der Peripherie wird durch die Mobilitätskosten aufgezehrt“, argumentiert Stadtplaner Thomas Krüger von der HafenCity. Er hat den WoMo-Rechner entwickelt, der individuell die Wohn- und Mobilitätskosten eines Haushalts für den derzeitigen oder für einen neuen Wohnstandort in Hamburg und seinen Randkreisen ermittelt (www.WoMo-rechner.de). Laut einer Studie des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ist auch zu beobachten, dass aufgrund der schwierigen Wohnsituation sich ein Umzug häufig einfach verzögert und dann womöglich ganz ausbleibt. „Dabei wachsen mit der Wohndauer ganz selbstverständlich die Bindungen an den Stadtteil. Dieser Vorgang wird bei Familien über zusätzliche soziale Bindungen der Kinder verstärkt“, heißt es.

Auch Familie Nolting schätzt das Miteinander in Eimsbüttel. Die Nachbarn im Haus haben gleichaltrige Kinder und sogar ehemalige WG-Mitbewohner aus der Studentenzeit in Bielefeld leben zufällig in derselben Straße. Der Freundes- und Bekanntenkreis ist recht groß. Carolin Gleitze-Nolting: „Viele hier sind in derselben Lebenssituation.“ Warum also umziehen?