Schulbehörde stuft Sechsjährigen als „behindert“ ein. Ärzte sehen das anders: Thien solle noch ein Jahr länger in die Kita gehen.

Jenfeld. Nach den Sommerferien soll der sechsjährige Thien (Name geändert) aus Jenfeld in eine Schule für geistig Behinderte eingeschult werden, obwohl Mediziner und auch die zuständige Schulärztin den Jungen nicht als „behindert“ eingestuft haben. Verzweifelt versucht Thiens Vater Dominik Dao nun, die Einschulung in die Sonderschule zu verhindern. Ein Widerspruch scheint erfolglos.

Thien kam im April 2008, zwei Monate zu früh, zur Welt – bis heute ist er zierlich und liegt in seiner Entwicklung Gleichaltrigen gegenüber zurück. Der Junge zeige „ausgeprägte grob- und feinmotorische Defizite“, heißt es in einem Bericht der zuständigen Schularztstelle. Thien dürfe noch nicht eingeschult werden. „Er muss in einer Kita intensiv gefördert werden. Er benötigt ein Jahr, um seine Entwicklungslücken auszufüllen. Ich bitte um die Rückstellung“, schreibt die Schulärztin weiter.

Zu diesem Schluss kam auch Thiens Kinderarzt: „Es ist ausdrücklich festgestellt, dass die Defizite aufzuholen sind, sodass das Kind nach einem Jahr in eine Regelschule eingeschult werden kann.“ Und auch die Experten des Werner-Otto-Instituts schreiben nach einer Untersuchung des Jungen in ihrer Beurteilung, dass ein sehr hoher, umfassender Förderbedarf vorliege, eine Rückstellung aber dazu führen könne, dass Thien sprachlich weiter aufholt, „was dann sicherlich die Voraussetzung für einen erfolgreichen Schulbesuch verbessern würde.“ Thien beherrscht die deutsche Sprache kaum, weil zu Hause Vietnamesisch gesprochen wird.

Eine Rückstellung bedeutet, dass der Junge noch nicht in diesem Jahr eingeschult werden muss – doch das hat die Schulbehörde abgelehnt. In dem Bescheid heißt es: „Rückstellungen sind nach dem Hamburgischen Schulgesetz nur für Kinder möglich, bei denen zu erwarten ist, dass sie binnen des Jahres durch entsprechende Förderung Defizite aufholen können.“

„Ich bin aber absolut nicht damit einverstanden, dass er auf eine Schule für geistig Behinderte geht“, sagt Thiens Vater Dominik Dao, der als Flüchtling vor 39 Jahren aus Vietnam nach Deutschland gekommen ist. Seit 25 Jahren schon arbeitet der 47-jährige Dominik Dao bei Olympus am Berliner Tor.

Die Eltern wollen die Anmeldung an der Sonderschule rückgängig machen

Noch immer ist sein Deutsch schlecht zu verstehen. In einem Gespräch mit dem Schulleiter der Schule Bekkamp, so berichtet der Vater, habe er die Anmeldung für seinen Sohn und den Antrag auf sonderpädagogischen Förderbedarf im Bereich geistige Behinderung unterschrieben – ohne dass ihm bewusst gewesen sei, was er da unterzeichne. „Ich dachte, das sei eine Beratung, aber es war eine Anmeldung.“

Ehefrau Thi-Suy Tran und er sorgen sich um die Zukunft ihres Sohnes und sehen ihn nicht unter den teilweise schwer geistig behinderten Kindern, die Dominik Dao bei seinem Besuch an der Sonderschule erlebt habe. „Wenn er erst einmal dort ist, gibt es keinen Weg zurück“, fürchtet er. Die Eltern möchten die Anmeldung rückgängig machen und ihren Sohn auf Anraten der Schulärztin in der Sprachheilschule Zitzewitzstraße anmelden.

Die Bewertung der Schulärzte werde von der Schulbehörde ernst genommen, sagt Peter Albrecht, Sprecher der Schulbehörde. „Trotzdem kann es sein, dass die Schulreife aus pädagogischer Sicht anders beurteilt wird.“ Schulärztliche Untersuchungen werden in Verantwortung der Bezirksämter durchgeführt und haben den Zweck, die Schulreife in Hinblick auf Ernährung, Wachstum und Krankheiten und die U-Untersuchungen zu prüfen. „Der Fall des betroffenen Schülers wurde von allen Seiten fachgerecht beleuchtet, mit den Eltern kommuniziert und unter Einbeziehung sämtlicher Facheinrichtungen und Instanzen entschieden“, sagt Albrecht. Eine Rückstellung sei nur sinnvoll, wenn zu erwarten sei, dass in dem einen Jahr Defizite aufgeholt werden können. Albrecht: „Dies ist hier nach unseren Prüfungen nicht der Fall, das Kind könnte optimal in der Schule Bekkamp gefördert werden.“

Die Schulaufsicht ist mit der abschließenden Bearbeitung der Frage des Schulplatzes befasst und hat Dominik Dao zum Gespräch geladen. Gefällt der Familie die Lösung nicht, kann sie widersprechen. Ein erfolgloses Verfahren ist aber kostenpflichtig.