Dobrindts Pläne einer allgemeinen Straßenabgabe kommen uns teuer zu stehen

Die Europäische Union ist ein fantastisches Friedens- und Einigungsprojekt. 100 Jahre nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges und ein knappes Menschenalter nach der Katastrophe des Zweiten sind aus Erbfeinden gute Nachbarn geworden. Handelsschranken sind gefallen, in den Mitgliedsstaaten des Schengener Abkommens auch die Schlagbäume an den Grenzen. Mitunter schießt die Bürokratie ins Kraut und vereinheitlicht von den zulässigen Wattzahlen für Handstaubsauger über Lebensmittelqualitäten bis zur Federung von Traktorensitzen beinahe alles, was unser tägliches Leben so ausmacht.

Nur im Straßenverkehr will die große Annäherung nicht vorankommen. Im Gegenteil – es blüht Kleinstaaterei wie weiland im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation. Wer eine Urlaubsrunde mit dem Auto durch Europa macht, kann schnell die Übersicht verlieren. Im wahrsten Sinne des Wortes: Tschechen, Slowaken, Österreicher und Schweizer verlangen eine Vignette für ihre Autobahnnetze; die Ungarn für jede ihrer Autobahnen eine separate. Zusammen mit deutschem Umweltaufkleber und vielleicht noch einer Plakette vom letzten Lichttest wird der Platz auf der Windschutzscheibe schnell rar. In Italien oder Frankreich wird gleich Bares verlangt.

Das fanden vor allem die Bayern ungerecht, die für einen Ausflug ins benachbarte Österreich zahlen müssen, umgekehrt die Österreicher aber nicht. Also setzte sich die CSU wie gewohnt an die Spitze des Volkszorns und sorgte dafür, dass eine Pkw-Maut Eingang in den Koalitionsvertrag gefunden hat. Doch wenn Politiker mit Gerechtigkeit argumentieren, ist höchste Vorsicht geboten. In Deutschland wurden Autobahnen immer mit Steuergeld bezahlt. Im benachbarten Ausland oft durch Privatunternehmen finanziert, die dafür natürlich extra kassieren. Es handelt sich also um ganz unterschiedliche Modelle und nicht um Gerechtigkeitsfragen. Wenn nun nach dem Plan des Bundesverkehrsministers Dobrindt (CSU) nur Ausländer zahlen sollen, deutsche Autofahrer aber über die Kfz-Steuer entsprechend entlastet werden sollen, werden auch unsere Nachbarn zum Gerechtigkeitsargument greifen und einen veritablen europäischen Rechtsstreit vom Zaun brechen.

Im Übrigen machen ausländische Pkw-Fahrer nur fünf Prozent des hiesigen Verkehrsaufkommens aus. Erwartete Einnahmen und bürokratischer Aufwand stehen da in keinem gesunden Verhältnis. Außerdem gibt es mit der Mineralölsteuer bereits eine verbrauchs- und streckenabhängige Abgabe, die ganz unbürokratisch vom Tankwart eingezogen wird. Und ist eine Maut erst einmal eingeführt und von Brüssel in der dobrindtschen Form für nicht EU-kompatibel befunden worden, werden auch die deutschen Autofahrer zahlen. Für alle Zeiten. Denn Steuern oder Abgaben, einmal eingeführt, gibt der Staat nicht wieder auf. Die berühmte Sektsteuer, eingeführt von Kaiser Wilhelm II. zur Finanzierung seines Flottenbauprogramms, zahlen wir noch heute, obwohl das Kaiserreich samt Flotte längst untergegangen ist.

Dabei mangelt es dem Staat keineswegs an Einnahmen. Die Steuerquellen sprudeln wie nie zuvor. Die Frage ist, welche Prioritäten bei den Ausgaben gesetzt werden. Und da hat die Infrastruktur in den vergangenen Jahrzehnten eben nicht den Stellenwert bekommen, der eines führenden Industriestaates angemessen gewesen wäre. Die CSU könnte sich um Deutschland und Europa verdient machen, wenn sie sich statt für neue Abgaben und Kassiermodelle für gemeinschaftsweiten Verkehr ohne Kassenhäuschen und lästige Aufkleber starkmachen würde. Das wäre wirklich gerecht. Und billiger obendrein. Allerdings auch wesentlich anspruchsvoller als Kassieren mit populistischer Begründung.