Kita-Studie der Wohlfahrtsverbände: Fachkräfte überlastet, Personalschlüssel für Betreuung der Kleinkinder schlecht

Hamburg. Die Rahmenbedingungen in Hamburgs Krippen sind inakzeptabel und führen zu einer Überlastung der Fachkräfte. Zu diesem Ergebnis kommt eine Kita-Studie, die am Freitag von den Hamburger Wohlfahrtsverbänden vorgestellt wurde. „Aus wissenschaftlicher Sicht ist der Personalschlüssel gerade für Kinder unter drei Jahren sehr schlecht“, sagt Bildungsforscherin Susanne Viernickel aus Berlin, die für die Untersuchung rund 300 Kitas befragt hatte.

In reinen Krippengruppen ist eine Erzieherin in Hamburg statistisch für durchschnittlich 5,7 Babys und Kleinstkinder zuständig. Weil Urlaub, Krankheit oder Fortbildung von Kolleginnen dabei aber nicht berücksichtigt sind, sind es im Alltag häufig viel mehr.

„Das hat Auswirkungen auf die Entwicklung und das Wohlbefinden der Kinder“, sagt Viernickel. Für die Fachkräfte bedeute es eine Überlastung; Leistungen wie Elterngespräche und Dokumentation müssten oft in die Freizeit verlegt werden.

Um dem Bildungsauftrag nachkommen zu können, seien auf Dauer 4000 weitere Fachkräfte nötig. „Es ist schockierend, dass gerade bei den Kleinsten, die ein großes Bindungsbedürfnis haben und von ihren Eltern voller Vertrauen in die Kita gegeben werden, Personal fehlt“, sagt Thorsten Peters, Vorsitzender des Landeselternausschusses.

„Das Personal ist am Limit, und die Rahmenbedingungen im Krippenbereich sind höchstens zweitklassig“, gibt Jens Stappenbeck von der Arbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege Hamburg e.V. (AGFW) zu, der mehr als die Hälfte der rund 1000 Hamburger Kitas gehören. „Doch wir haben uns mit der Studie auseinandergesetzt und verstanden, dass wir nachbessern müssen.“ Das allerdings werde teuer und ließe sich nicht aus dem Stand umsetzten. Stappenbeck rechnet mit rund 200 Millionen Euro Kosten und einem Zeitraum von bis zu zehn Jahren, bis der angestrebte Standard erreicht sei.

Der Studie zufolge sind die Hamburger Bildungsempfehlungen, die seit 2012 einen Schwerpunkt auf frühkindliche Bildung legen, in den Kitas zwar bekannt, können aber wegen fehlender Fortbildungsmöglichkeiten oder Personalmangel oft nicht umgesetzt werden. Die Kitas seien auf zusätzliches Personal wie Freiwillige und Praktikanten angewiesen, diese könnten aber keine Fachkräfte ersetzen. In der „offenen Arbeit“, in der Kinder ab zwei Jahren ihre Spielgruppen frei wählen dürfen, liege die Gruppenstärke oft bei 47 bis 50 Kindern. „Damit die Kleinen da nicht verloren gehen, müssen die Kitas personell besser aufgestellt werden“, sagt Viernickel. Generell bescheinigt sie den Fach- und Leitungskräften in den Einrichtungen aber gute Arbeit und hohe Qualifikation: 86 Prozent der Leitungskräfte besäßen die Fachhochschulreife oder einen akademischen Abschluss.

Der in Hamburg festgelegte Personalschlüssel von 1:7,6 (eine Fachkraft betreut durchschnittlich 7,6 Kinder) wird im Krippenbereich in allen Kitas erreicht und mit 1:5,7 sogar übertroffen. In den offenen Gruppen mit Kindern unter drei Jahren bleiben die meisten Kitas allerdings dahinter zurück: dort liegt der Schlüssel bei 1:8.

Aus wissenschaftlicher Sicht sind diese Verhältnisse zwar für eine Betreuung ausreichend, nicht aber, um einen Bildungsauftrag zu erfüllen. Dafür müsse die Personal-Kind-Relation bei Kindern unter drei Jahren 1:4 betragen, bei älteren Kindern 1:10. Für diese Altersstufe sehen die Hamburger Richtlinien jedoch einen Schlüssel von 1:12,5 vor. Auch der Übergang von Kita zur Grundschule funktioniert laut Studie in Hamburg nicht gut. „Hier benötigten die Fachkräfte mehr als doppelt so viel Zeit, wie ihnen tatsächlich zur Verfügung steht“, sagt Viernickel.

Ihr Fazit: „Hamburg fällt von dem Bildungsanspruch ab, den es sich selbst auf die Fahnen schreibt.“ Um ihm gerecht zu werden, müsse Fachpersonal ergänzt, der Betreuungsschlüssel für unter Dreijährige verbessert und die Bildungsempfehlungen überall umgesetzt werden. Außerdem müsse bei der Festlegung des Personalschlüssels auch die normalen Ausfallzeiten wie Urlaub oder Krankheit berücksichtigt werden; sie betragen 25 Prozent.

„Das ist ein ziemlicher Batzen, der da gestemmt werden muss“, sagt AGFW-Geschäftsführer Stappenbeck. Vorstellen könne er sich mehr Fortbildungsangebote, Supervisionen und drei Studientage im Jahr. Zu befürchten sei aber, dass vor dem Hintergrund der am 1.August eingeführten Beitragsfreiheit die Qualität noch mehr leiden könnte.

„Die beitragsfreie Grundbetreuung ist uns deshalb so wichtig, weil wir damit die Hoffnung verbinden, dass mehr Kinder aus sozial schwachen Familien und Einwandererfamilien in eine Kita kommen“, sagt Marcel Schweitzer, Sprecher der Sozialbehörde. Die Versorgungsrate im Krippenbereich liege nur bei 38 Prozent (im Elementarbereich bei 96 Prozent). Wie Rechtsanspruch und Sprachförderung ist auch die Beitragsfreiheit ein Grund für die Höhe des Etats für den Kita-Bereich: Er soll 2015 bei 662,6 Millionen Euro und 2016 bei 685 Millionen Euro liegen.

Insgesamt habe die Studie den Hamburger Kitas viele positive Aspekte bescheinigt, so die Sozialbehörde. Der Hinweis, die Bildungsempfehlungen systematisch umzusetzen, richte sich eher an Träger und Verbände. Die Ressourcenausstattung in Bezug auf die Fachkräfte-Kind-Relation für den Krippenbereich sowie für die mittelbar pädagogische Arbeit wie Elterngespräche oder Dokumentation biete allerdings Ansatzpunkte für Verbesserungen.