Eine Glosse von Alexander Schuller

Wir hatten uns schon gewundert, dass Paul – Sie wissen schon, mein guter Bekannter – in den vergangenen Wochen vor allem durch Abwesenheit geglänzt hatte. Dabei hatten wir für die WM auf ihn gesetzt. Denn wir Jungs wollten ungestört Fußball gucken, mit Bierchen, Grillwürstchen und so. Und zwar in Pauls privater Fan-Arena: vor seinem neuen, hochauflösenden, gigantischen Flachbildschirmfernseher.

Dann erfuhren wir den Grund für Pauls auffälliges Nichterscheinen: Der Unglückswurm war kurz vor der WM in eine Ü30-Party hineingestolpert, hatte sich in eine gewisse Tina verknallt und saß nun offenbar im fußballlosen Liebesgefängnis.

Umso überraschter waren wir, als Paul vergangene Woche bei unserem Stammwirt Manni durchklingelte und uns in Mannschaftsstärke zum Ghana-Spiel einlud. „Kommt aber bitte pünktlich um sieben, Tina kocht!“, hatte er noch hinzugefügt. Na klar, wir würden unseren Kumpel niemals hängen lassen.

Die zweite Überraschung war, dass uns diese gewisse Tina in schwarz-rot-goldener Kriegsbemalung charmant lächelnd die Tür öffnete; die dritte, dass sie ein XXL-Deutschland-Trikot als Minikleidchen trug und die vierte, dass sie ihre Mädels ebenfalls eingeladen hatte, die für ein formidables Buffet gesorgt hatten. Paul war ein echter Glückspilz. Dachten wir jedenfalls.

Als das Spiel angepfiffen wurde, saßen wir erwartungsfroh vor dem Monsterfernseher und machten die La Ola. Bis Tina plötzlich sagte: „Jungs, seid mal bitte ein bisschen leiser – die Mädels und ich möchten gerne das Spiel sehen!“

Und als Paul dann etwa zur Mitte der ersten Halbzeit mit Biernachschub aus der Küche kam (wo er bis dahin abgewaschen hatte), sagte Tina: „Hatte ich dich nicht gebeten, damit bis zur Pause zu warten? Mein Gott, immer diese Unruhe!“

Tinas Freundinnen nickten empört. Paul versuchte, etwas zu sagen, doch Tina sprang entschlossen auf, verschwand im Bad, kam im nächsten Moment mit Pauls Rasierschaumdose zurück, sprühte in brasilianischer WM-Schiedsrichter-Manier eine Linie auf die Türschwelle zum Wohnzimmer und sagte: „So gibt es wenigstens keine Diskussion. Kümmerst du dich dann noch um den Nachtisch, Schatz?“