Anwohner machen Hafenbecken zum Freizeitpark, Stadt plant längste Parkbank Hamburgs. Nur die Hafenverwaltung ist gegen „Zweckentfremdung“

Veddel. Im Januar 2013 schwang sich Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) für die Fotografen noch in einen Bagger, um die ersten Pfähle des alten Zollzauns einzureißen. Seit 1903 trennte der „Eiserne Vorhang“, wie die drei Meter hohe Metallkonstruktion auf der Veddel und in Wilhelmsburg genannt wurde, den Spreehafen von den Wohngebieten. Doch der umzäunte Freihafen ist in Hamburg Geschichte. Die Zöllner arbeiten nun direkt auf den Terminals – und das seeartige Hafenbecken wird offensichtlich immer mehr von Anwohnern als eine Art zweite Alster genutzt.

„Das ist plötzlich ein befreiendes Gefühl, dass der Zaun jetzt weg ist“, sagt der Stadtteilpolitiker Klaus Lübke (SPD). Tatsächlich hat sich dort das Bild innerhalb weniger Monate gewandelt: Auffallend viele jüngere Leute skaten dort, sonnen sich im hohen Gras des Deichs, grillen oder baden. Jogger und Radler nutzen den neuen Rundkurs, der noch von den Planern der Internationalen Bauausstellung (IBA) initiiert worden war. „Das ist hier wie der Schanzenpark am Wasser“, sagt etwa Kilian Spaarwader, ein 26 Jahre alter Illustrator, der wie viele seiner Freunde jetzt in Wilhelmsburg wohnt, weil es woanders in Hamburg zu teuer geworden sei.

„In die Schanze ziehen nur noch Yuppies“, meint er und legt sich wieder entspannt ins Deichgras, wo der Blick über Hausboote, Wasser und Hafenkräne bis zu der greifbar nah scheinenden Stadtsilhouette aus Elbphilharmonie und Michel fällt. Diese neue Ufernutzung ist vom Senat durchaus gewollt. Oberbaudirektor Jörn Walter spricht selbst von der „Alster des Südens“, die sich hier zwischen Veddel und Wilhelmsburg entwickeln könne. Aber anders als an der Alster liegt das breite Hafenbecken im direkten Einflussbereich der Elbe. Hochwasserschutz ist daher weiter ein Thema. Bei der verheerenden Sturmflut 1962 waren hier die Deiche gebrochen, Menschen ertrunken. Am Klütjenfelder Hauptdeich, an der westlichen Seite des Spreehafens soll daher 2016 das neue Hochwasserschutzprogramm Hamburgs starten.

Wegen des Klimawandels und neuer Flutstände wird dabei über viele Jahre die gesamte, alles in allem rund 100 Kilometer lange Deichlinie der Stadt noch einmal um etwa einen Meter erhöht. Am Spreehafen geschieht dies aber nicht mit einfachen Spundwänden oder höheren Deichen, sondern mit einem Konzept, das den klangvollen Namen „Deichpark“ trägt. Vor einigen Monaten hatte die Stadt dazu einen Gestaltungswettbewerb veranstaltet, kürzlich wurde der Auftrag für die technische Planung vergeben. Kernpunkt am Spreehafen wird dabei eine Stützmauer am Deichfuß sein, die als Parkbank gestaltet wird.

Beleuchtung, Lehnen, Sitzauflagen – es soll laut IBA die „längste Sitzbank Hamburgs“ werden, die dort in eineinhalb Jahren gebaut und zwei Kilometer lang wird. Zusätzlich sehen die Planer eine breite Uferpromenade, neue Plätze am Wasser, Schilfzonen und einen „Hochweg“ oben auf dem dann rund einen Meter höheren Deich vor. Man wolle mit dem Deichschutz das Wasser nicht von der Stadt trennen, sondern „erlebbar“ machen, heißt es in den Plänen.

Die Vision von Anwohnern und Oberbaudirektor geht aber noch weiter. Beim offiziellen Start des Zollzaun-Abrisses sprach Walter, der oberste Stadtplaner Hamburg, noch davon, dass im elf Hektar großen Spreehafen mehr Hausboote Platz finden könnten. Zum Vergleich: Die Binnenalster ist 18 Hektar groß. Gastronomie auf dem Wasser, ein Strand vielleicht und eine Bootsvermietung zählten ebenfalls zu den Visionen des Oberbaudirektors.

Doch der Spreehafen ist noch vor allem Hafengebiet, und die Hamburger Hafenverwaltung Hamburg Port Authority (HPA) achtet offensichtlich streng darauf, dass das auch so bleibt. Versuche, ein Restaurant auf einem der Hausboote zu eröffnen, scheiterten bereits am Widerspruch der HPA. Und auch gegen eine weitere Ausweitung der Freizeitmöglichkeiten sperrt sich die HPA massiv. „Perspektivisch“ spiele der Spreehafen eine große Rolle, heißt es auf Anfrage des Abendblatts. Er werde in Zukunft für die Binnenschifffahrt sowie für die kleineren Hafenverkehre an Bedeutung sogar noch zunehmen. Eine „Zweckentfremdung“ stünde dem entgegen. Uferplätze würden zudem als mögliche Verlagerungsort für Hafenbetriebe weiter benötigt, eine Herauslösung aus dem Hafengebiet sei daher nicht geplant.

Ein reines Freizeitgewässer dürfte der Spreehafen also nie werden. Muss er vielleicht auch gar nicht, Anwohner wie Kilian Spaarwader finden ihn schon jetzt fantastisch. „Nirgendwo kann man Sonnenuntergang, Hafen und Wasser so wunderbar erleben wie hier“, sagt er.