Eigentümer Klausmartin Kretschmer bezahlte Rechnungen nicht. Kim Ahrens und die Sparkasse Holstein erwirkten Zwangssicherungshypotheken

Altona-Nord. Cirstin und Kim Ahrens sitzen auf einer Bank am Schulterblatt in der Sonne. Vor ihnen die „Piazza“ mit den vielen Cafés, Kneipen und Restaurants, hinter ihnen die Rote Flora. Das Ehepaar aus Wulfsen im Landkreis Harburg gehört aber nicht zu den Tagesausflüglern, die mal einen Blick auf eines der berühmtesten Gebäude der Stadt werfen wollen – sie werfen gewissermaßen einen Blick auf ihr Eigentum. Ein bisschen jedenfalls. Denn der Tischlermeister Kim Ahrens steht im Grundbuch des „Flurstücks 2250, Blatt 5707“ – mit einer Zwangssicherungshypothek in Höhe von 10.000 Euro.

Der 42-Jährige hat das nach langem juristischen Gezerre erwirkt, weil Klausmartin Kretschmer, der Eigentümer der Immobilie, trotz eines Gerichtsurteils seine Schulden nicht gezahlt hat. „Dabei geht es nur um sechs Sprossenfenster, die ich 2011 in den Brandshof eingebaut hatte“, sagt Ahrens. Es gibt zwei weitere Zwangssicherungshypotheken im Grundbuch: die der Sparkasse Holstein (500.000 Euro) und eines Professors (3118,34 Euro).

Dieser Fall macht deutlich, wie groß die finanziellen Schwierigkeiten von Kretschmer sind, der sich selbst gerne als Kulturinvestor bezeichnet. Zwei weitere Immobilien von ihm sollten bereits zwangsversteigert werden; jetzt könnte die Rote Flora folgen. Doch seit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens gegen ihn in der vergangenen Woche hat er keinen Einfluss mehr auf das weitere Geschehen. Herr des Verfahrens ist Insolvenzverwalter Nils Weiland.

Damit beruhigt sich auch die Lage um das besetzte „Kulturzentrum“ deutlich. In den vergangenen Jahren hatte sich immer wieder ein Szenario der Eskalation abgezeichnet: auf der einen Seite die latent gewaltbereite Besetzerszene, die teils radikale Unterstützer in ganz Deutschland hat; auf der anderen Kretschmer, der immer wieder ankündigte, die Immobilie räumen lassen zu wollen, was unweigerlich zu gewaltsamen Auseinandersetzungen führen würde. Falls Kretschmer auf diese Weise erreichen wollte, dass die um Frieden bemühte Stadt die Rote Flora zu einem extrem hohen Preis zurückkauft, ist sein Plan gescheitert.

Aus den Unterlagen, die dem Hamburger Abendblatt vorliegen, lässt sich Kretschmers Weg in die Insolvenz gut nachvollziehen: Er beginnt in Wulfsen, einem idyllischen Dörfchen am Rande der Lüneburger Heide. Hier arbeitet Kim Ahrens mit seiner Frau Cirstin und mittlerweile acht Angestellten und Auszubildenden in der Tischlerei a+m.

2011 war das Unternehmen im Aufbau und besonders auf Aufträge angewiesen. Der Auftrag im denkmalgeschützten Brandshof in Rothenburgsort war reizvoll, das Unternehmen baute die Fenster ein. Auch für weitere Objekte lockten Aufträge. „Kretschmer stellte uns das auch in Aussicht“, sagt Kim Ahrens und ballt seine großen Fäuste. Das, was ihn und seine Frau besonders wütend machte, passierte am 25.Mai vergangenen Jahres im Energiebunker auf der Veddel: Klausmartin Kretschmer tauchte mit seiner Frau Julia Wachsmann-Kretschmer bei der Modenschau „Made auf Veddel“ auf und lässt sich fotografieren. Er ganz schlicht mit schwarzer Hose und Blazer; sie mit enger Lederjacke zum mintfarbenen Kurzrock.

„Wir haben das Foto der beiden im ,Wochenblatt‘ gesehen und uns mächtig geärgert“, sagt Cirstin Ahrens, „denn für uns war Kretschmer wie untergetaucht. Weder ein Inkassounternehmen noch der Gerichtsvollzieher haben ihn ausfindig machen können. Stattdessen macht er im Bunker in Kultur.“ Beide ärgern sich heute noch, dass sie von der Modenschau aktuell nichts mitbekamen. „Wir hätten im nächsten Polizeirevier melden sollen, dass Herr Kretschmer seit einem Jahr für uns unauffindbar ist, und die Zwangsvollstreckung nicht wirksam werden konnte.“ Bis heute sei eine Kommunikation mit demjenigen, der den 10.000-Euro-Auftrag zum Bau der sechs Fenster gab, nicht möglich gewesen. „Dabei hatten wir ihm auch Ratenzahlung angeboten“, sagt Kim Ahrens. Das blieb unbeantwortet.

Die leidige Geschichte beginnt am 25. Juli 2011, als Kim Ahrens seine Rechnung über die sechs Fenster an Klausmartin Kretschmer schickt, der sich gern „KMK“ nennen lässt. „Nichts passierte“, sagt der Tischler. Auch auf eine Zahlungserinnerung kam keine Reaktion. Am 20.September schickt das junge Unternehmen eine letzte Mahnung. „Von 10.000 Euro kann man sich im Aufbau einer Firma nicht so einfach verabschieden“, sagt Ahrens.

Die damalige Meldeanschrift des selbst ernannten Investors: Stockmeyerstraße 43. Das ist die Oberhafen-Kantine, ein schiefes Gebäude, dessen Mittagstisch bei den umliegenden Büros beliebt ist, in dem sich aber keine Wohnung befindet.

Die weitere Meldeanschrift ist Brandshofer Deich 66. Im historischen Brandshof liegt im dritten Stock eine großzügig ausgebaute Wohnung, die einen traumhaften Blick über den Hafen und die Innenstadt bietet. Hier baut die Firma Ahrens die Fenster ein. „Doch als ich später Kretschmer dort finden wollte, waren die Türschilder abgeschraubt“, sagt der Tischlermeister.

Am 18.November 2011 feiert Klausmartin Kretschmer aber im Brandshof die Hochzeit mit der Sopranistin Julia Wachsmann. Am 22.November 2011 wird ein Ermittlungsverfahren wegen Betrugs von der Staatsanwaltschaft Hamburg eingeleitet. Am 7.Mai 2012 ergeht das „Versäumnisurteil“ über 9853,20 Euro nebst Zinsen und Anwaltskosten gegen den Beklagten. Doch nichts passiert. Die Tischlerei bleibt vorerst auf den Anwaltskosten von knapp 1300 Euro sitzen. Und Cirstin Ahrens versucht, ihren Mann zu beruhigen, denn Kretschmer „ist immer noch wie untergetaucht“.

Am 22.Mai 2013 erscheint der Schuldner Kretschmer „trotz ordnungsgemäßer Ladung ohne ausreichende Entschuldigung“ nicht zur Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung. Am 3.Juli 2013 ergeht dann ein Haftbefehl des Vollstreckungsgerichts, „um die Abgabe einer Vermögensauskunft zu erzwingen“. Am 10.Juli 2013 schließlich folgt durch das Amtsgericht Harburg ein Strafbefehl gegen Kretschmer wegen Nichterscheinens. „Die Richterin legt 6000 Euro fest“, sagt Cirstin Ahrens.

Doch noch immer geschieht nichts. „Keiner rührte sich. Kretschmer wurde in der Öffentlichkeit wahrgenommen, war aber nicht greifbar“, sagt Kim Ahrens. Also erwirkt er im März 2014 die Eintragung ins Grundbuch. „Jetzt meldete sich auf einmal doch der Schuldner“, sagt Cirstin Ahrens. Jedenfalls über einen Anwalt, der schreibt, seinem Mandanten sei „das Gerichtsverfahren bisher nicht bekannt“. Als Begründung führt der Anwalt auf, dass „vermutlich einige Postsendungen... nicht... zugestellt wurden“. Gezahlt wurde aber immer noch nicht.

Zu diesem Zeitpunkt wird längst geprüft, ob ein Insolvenzverfahren eröffnet werden muss. Das geschieht am 22.Mai unter dem Aktenzeichen 67c IM 133/14 „wegen Zahlungsunfähigkeit“.

Wie es jetzt weitergeht, ist noch unklar. Vermutlich wird die Rote Flora zwangsversteigert werden. Und vermutlich wird es außer der Stadt keine Kaufinteressenten geben – denn längst ist baurechtlich festgeschrieben, dass die Immobilie nur als Stadtteilkulturzentrum genutzt werden darf. Keine guten Voraussetzungen für Spekulanten. Aber Tischlermeister Kim Ahrens dürfte dann endlich sein Geld kriegen.