Marode Straßen, Brücken und Kanäle, fehlende Investitionen in neue Schienenwege. Der Verkehr steckt im Stau. In der fünfteiligen Abendblatt-Serie geht es um mögliche Lösungen.Teil 3: U- oder Stadtbahn?

Wenn es um den Schienenverkehr in Hamburg geht, hat man es bisweilen mit „Dussels“ zu tun. So jedenfalls titulierte Bürgermeister Ortwin Runde (SPD) im Jahr 1998 bei einem Besuch in Warschau seine Amtsvorgänger, als die Rede auf die seinerzeit noch immer fehlende S-Bahn zum Hamburger Flughafen kam. Seit den 1960er-Jahren hatte man den Anschluss geplant, nach diversen „ersten Spatenstichen“ wurde die Bahn schließlich aber erst 2008 in Betrieb genommen. Fast 50 Jahre also hatte die Stadt gebraucht, um eine S-Bahn-Strecke von nicht einmal drei Kilometern zu bauen.

Diese Geschichte des Zögern, Zauderns und Verschleppens scheint symptomatisch für den Umgang der Hamburger Senate mit dem Thema Schienenausbau. Zwar sind sich angesichts der wachsenden Stadt und der stetig steigenden Fahrgastzahlen des Hamburger Verkehrsverbunds (HVV) längst alle Betrachter einig, dass das Schienennetz dringend erweitert werden muss. Und doch ist die politische Klasse seit Jahrzehnten nicht in der Lage, die dafür nötigen Entscheidungen zu fällen und umzusetzen.

So führen die beiden Volksparteien SPD und CDU bereits seit den 1990er-Jahren einen regelrechten Eiertanz um die (Wieder-)Einführung der Stadtbahn auf, bei dem sie unentwegt ihre Positionen tauschen. Erst war die SPD für eine Stadtbahn und die CDU dagegen. Die CDU kassierte die ersten groben rot-grünen Pläne nach der Regierungsübernahme 2001 ein, um sie schließlich ab 2008 in der schwarz-grünen Regierungszeit wiederaufleben zu lassen. Vor der Wahl 2011 legte Übergangsbürgermeister Christoph Ahlhaus (CDU) die Stadtbahnpläne wegen des massiven Widerstands an der geplanten Strecke dann plötzlich wieder ad acta. SPD-Bürgermeister Olaf Scholz stampfte sie dann 2011 gänzlich wieder ein, während die CDU inzwischen wieder mit einem eigenen Konzept für die Stadtbahn wirbt. Die SPD dagegen, die lange Zeit den Bau der U 4 in die HafenCity als vollkommen überteuert kritisiert hatte, setzt nun auf deren Verlängerung – und auf den Bau einer völlig neuen U-Bahn-Linie 5. Die wiederum kritisiert jetzt die CDU als quasi unbezahlbar. Eine klare Linie ließ sich bei all dem Hin und Her zuletzt kaum erkennen.

Nun aber haben in den vergangenen Wochen nicht nur CDU und Grüne, sondern auch die Handelskammer und die SPD mehr oder weniger konkrete Konzepte vorgelegt, wie sie sich den Ausbau des schienengebundenen Personennahverkehrs bis ins Jahr 2030 vorstellen. So ist nun wenigstens eine umfassende Diskussion in der Stadt über den Ausbau der Schieneninfrastruktur möglich – und das Thema dürfte wohl auch in der kommenden Bürgerschaftswahl eine wichtige Rolle spielen. Das Abendblatt stellt die unterschiedlichen Konzept vor.

Die SPD will eine neue U-Bahn – die U 5 von Bramfeld nach Lurup

Auch um angesichts der Mobilisierung der Stadtbahnbefürworter wieder in Vorhand zu kommen, hat der SPD-Senat im April eigene Pläne zum Ausbau des Öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) vorgelegt. Dabei setzt er auf den Bau einer völlig neuen U-Bahn-Linie 5. Sie soll Bramfeld im Osten mit der Innenstadt und mit Osdorf und Lurup im Westen verbinden, eine Länge von 28 bis 32 Kilometern haben und nach letztem Stand bis zu 3,8 Milliarden Euro kosten. Die Hälfte davon werde der Bund tragen, hofft der Senat. Baustart könnte 2020 sein, Fertigstellung gegen Ende des kommenden Jahrzehnts.

Im Osten folgt die kürzlich vorgestellte Trasse vom Hauptbahnhof aus der Buslinie 6 bis Borgweg, zieht sich dann nördlich durch die City Nord und weiter über Rübenkamp, Sengelmannstraße und Steilshoop bis Bramfeld Dorfplatz. Im westlichen Stadtgebiet werden eine Nord- und eine Südvariante diskutiert. Die nördliche würde der Metrobus-Linie 5 bis Siemersplatz folgen und von dort westlich an den Arenen vorbei bis nach Lurup und zum Osdorfer Born führen. Die Südvariante ist noch nicht im Einzelnen ausgearbeitet, soll aber auf jeden Fall die Trabrennbahn einschließen.

Neben dem Bau der U 5 solle es auch „eine neue Haltestelle am östlichen Ast der U 1 zwischen Farmsen und Berne und eine Ausfädelung der U 4 im Bereich Horner Rennbahn in Richtung Horner Geest“ geben. Auch eine zusätzliche Haltestelle Universität auf der U1 ist angedacht.

Die wichtigsten Argumente der SPD für den Bau einer neuen U-Bahn: Sie könne deutlich mehr Menschen deutlich schneller befördern als eine Stadtbahn. Eine Stadtbahn dagegen zerschneide ganze Stadträume, und aufgrund des zu erwarteten großen Widerstands von Anwohnern sei sie nur sehr schwierig zu realisieren.

Weil es eine erste Machbarkeitsstudie aber erst nach der Bürgerschaftswahl 2015 geben soll und über die Finanzierung bisher nichts gesagt werden kann, hält die Opposition die Pläne für unrealistisch und für einen Wahlkampfgag. Denn SPD-Senate hatten bereits mehrfach U-Bahn-Planungen vorgestellt und sie später wegen zu hoher Kosten wieder zurückgezogen.

Die CDU spricht sich für drei Stadtbahntrassen aus

Die CDU hatte bereits Ende Februar den Neubau eines Stadtbahnnetzes von 93,4 Kilometern Länge vorgeschlagen, das 2,7 Milliarden Euro kosten soll. Baubeginn soll 2016 sein, vier Jahre später sollen zwei der insgesamt drei Trassen in Betrieb gehen. 2029 sollen alle Strecken fertig sein. Die CDU rechnet wie die SPD bei ihren U-5-Plänen damit, dass der Bund die Hälfte der Kosten trägt.

Die Pläne sehen drei große Trassen mit 17 Linien vor. Die erste Trasse würde von Burgwedel im Nordwesten Hamburgs über Niendorf und die City bis auf die Veddel führen. Die zweite Strecke soll vom Elbe-Einkaufszentrum über die Arenen am Volkspark in West-Ost-Richtung bis zur Sieker Landstraße östlich von Rahlstedt verlaufen. Im Osten soll es einen Abzweiger gen Süden bis nach Billstedt geben. Linie drei soll vom Volkspark im Westen über Langenhorn und Poppenbüttel bis nach Wandsbek verlaufen. So entstünde eine Ringlinie im Norden Hamburgs.

Wichtigste Argumente der CDU für die Stadtbahn: Sie fahre oberirdisch bei Tageslicht und sei ohne Treppen und Rampen barrierefrei erreichbar. Sie schüttle die Menschen nicht durch wie ein Bus und könne mit bis zu 253 Personen ein Drittel mehr Menschen befördern als ein XXL-Gelenkbus. Eine voll besetzte Stadtbahn ersetze eine Autoschlange von 1,25 Kilometern. Zudem sei sie deutlich schneller als ein Bus, außerdem langlebiger (30 bis 40 Jahre gegenüber zehn bei Bussen), und sie verbrauche kein Erdöl und koste nur ein Zehntel bis ein Viertel einer U-Bahn. Außerdem würden mit einer Stadtbahn viel mehr Teile der Stadt angebunden als mit einer U 5.

Die Grünen fordern insgesamt 130 Kilometer Stadtbahn

Die Grünen haben Ende April ebenfalls ein Stadtbahnkonzept zur Diskussion gestellt. Es umfasst vier Trassen mit einer Streckenlänge von rund 130 Kilometern. Die Kosten sollen bei 20 Millionen Euro pro Kilometer liegen und also für das gesamte Netz 2,6 Milliarden Euro betragen. Die erste Linie soll von Sinstorf über Harburg, die Innenstadt und das UKE bis nach Burgwedel führen, also zu weiten Teilen auch die Strecke des heutigen Metrobusses 5 bedienen. Die zweite Linie fährt von Jenfeld über Altona nach Lurup. Im weiteren Verlauf sollen auch Bramfeld, Steilshoop, Sasel, Jenfeld und Billstedt per Straßenbahnschiene erschlossen werden.

Eine Stadtbahn sei schneller zu realisieren und deutlich günstiger als eine neue U-Bahn-Linie, so die Grünen. Sie sei daher die beste Lösung der Verkehrsprobleme. Zugleich sei ein „Kraftakt beim Ausbau von Fahrradstrecken“ nötig, so die Grünen, die bei all diesen Planungen auf die frühzeitige Einbeziehung der Anwohner setzen.

Die Handelskammer will die Metrobahn, eine Mischung aus U- und Stadtbahn

Neben der Politik hat sich auch die Wirtschaft in die Debatte eingeschaltet. Die Handelskammer hat bereits im Februar ihr Konzept einer sogenannten Metrobahn vorgestellt – eine Art Mischsystem aus U- und Stadtbahn. Würden die U- und S-Bahnen mit einem zweiten Stromabnehmer ausgestattet, könnten sie ebenerdig auf der Straße im Mischverkehr auf eigener Fahrspur, aufgeständert oder unterirdisch im Tunnel geführt werden, so die Idee der Kammer. Ein solches „Hochflurfahrzeug“ könne in das bestehende U-Bahn-Netz integriert werden und die Gleise bestehender Linien mitbenutzen. Diese Mischform sei eine echte Alternative zur Stadtbahn, so die Kammer.

Beim Bau einer Metrobahn sollte laut Handelskammer von dem Grundsatz „So viel unterirdisch wie (aus Akzeptanzgründen) nötig, so viel oberirdisch wie (aus Kostengründen) möglich“ ausgegangen werden. Bei der Metrobahn haben laut Kammer folgende Verbindungen die höchste Dringlichkeitsstufe: U-Bahn Farmsen–Othmarschen, U-Bahn Lokstedt–Grindelviertel–HafenCity–Harburg Rathaus (in Erweiterung der bestehenden U 4 in die HafenCity). „Prioritären Ausbaubedarf“ sieht die Kammer zudem bei den Regionalverkehrsverbindungen mit dem Umland. Vor allem die S 4 zwischen Hamburg und Bad Oldesloe, die S21 von Eidelstedt nach Quickborn sowie die S 1 zwischen dem Flughafen und Burgwedel müssten bald realisiert werden. Auch an den fehlenden Bahnlinien zeigen sich längst die Hamburger Versäumnisse bei Pflege und Ausbau der städtischen Infrastruktur. „Seit Mitte der neunziger Jahre hat ein strategischer Netzausbau kaum mehr stattgefunden“, kritisiert Handelskammer-Präses Fritz Horst Melsheimer. „Im aktuellen Flächennutzungsplan der Stadt sind noch 36 Kilometer nicht realisierte Schnellbahnstrecken verzeichnet.“

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Serienteile

1. Teil, Hamburgs Infrastruktur

2. Teil, Schwerpunkt Straße

3. Teil, Schwerpunkt Schiene

4. Teil, Schwerpunkt Wasserstraße

5. Teil, Bilanz