Nach niedriger Beteiligung bei Bezirkswahl: Bürgermeister will Debatte über Vereinfachung und spricht über SPD-Verluste

Hamburg. Die SPD ist bei den Hamburger Bezirkswahlen am vergangenen Sonntag landesweit von 44,9 auf 35,2 Prozent abgesackt. Einen Tag nach Auszählung der Stimmen bewertet SPD-Landeschef und Bürgermeister Olaf Scholz das Ergebnis.

Hamburger Abendblatt:

Die SPD ist bei der Bezirkswahl um knapp zehn Prozentpunkte abgestürzt und hat fast 40 Prozent ihrer Wählerstimmen gegenüber 2011 verloren. Was haben Sie falsch gemacht, dass die Wähler Sie so abstrafen?

Olaf Scholz:

Ich sehe die Dinge etwas anders. Es hat die Entscheidung gegeben, die Bezirkswahlen statt an die Bürgerschaftswahlen an die Europawahlen zu koppeln. Damit war auch klar, dass es eine geringere Wahlbeteiligung geben würde. Wir waren darauf eingestellt, dass wir nicht das Ergebnis der letzten Bezirkswahl erzielen würden, die parallel zur Bürgerschaftswahl stattfand, sondern dass sich das Ergebnis des letzten Sonntags eher an dem der Europawahlen orientieren würde. Dennoch ist die SPD in allen Bezirken mit Abstand stärkste Partei geblieben. Bei keiner der anderen Kommunalwahlen in Deutschland, die am Sonntag stattgefunden haben, hat die SPD so gut abgeschnitten wie in Hamburg und lag vorne.

Die SPD kommt eben von einem hohen Sockel, Sie haben überproportional verloren. Das lässt sich nicht alles auf die geringere Wahlbeteiligung schieben.

Scholz:

Natürlich nicht. Ich bin allerdings überzeugt, dass die Frage, wer den Senat oder die Regierung stellen soll, für die Wähler von größter Bedeutung ist. Diese Entscheidung stand jedoch jetzt nicht an. Im Übrigen: Die Kombination aus kompliziertem Wahlrecht und der Verschiebung der Bezirkswahlen auf den Termin der Europawahlen hat zu genau dem Ergebnis geführt, das von denjenigen, die diese Veränderungen betrieben haben, beabsichtigt war: Die großen Parteien sollten geschwächt werden.

Hat das komplizierte Wahlrecht Wähler abgeschreckt?

Scholz:

Eindeutig ja. Jeder, der in einem Wahllokal war, konnte sehen, wie viel Mühe einige mit den Wahlzetteln hatten. Die Zahl der ungültigen Stimmen ist hoch.

Sollte das Wahlrecht wieder geändert werden?

Scholz:

Das ist zuerst eine Frage, mit der sich das Parlament beschäftigen sollte. Unmittelbar nach der Wahl will ich mich mit Vorschlägen zurückhalten. Aber angesichts der Klagen vieler Bürger muss darüber geredet werden. Das Interessante ist ja, dass das heutige Wahlrecht das Ergebnis eines Volksbegehrens ist. Würde mit den heutigen Erfahrungen darüber erneut abgestimmt, dürften sich viele Bürgerinnen und Bürger anders entscheiden.

Sind Sie dafür, die Koppelung der Bezirks- an die Europawahlen wieder rückgängig zu machen?

Scholz:

Man muss über alles diskutieren dürfen – allerdings in gebührendem Abstand zu dieser Wahl. Man muss aber wissen, dass Berlin den Weg zurück zur Koppelung der Bezirks- an die Abgeordnetenhauswahlen schon gegangen ist.

Möglicherweise haben auch inhaltliche Gründe beim schlechteren Ergebnis für die SPD eine Rolle gespielt: das Busbeschleunigungsprogramm, die Staus auf den Straßen, die Flüchtlingspolitik ...

Scholz:

Das sind gute Fragen. Aber ich warne vor voreiligen Schlüssen. Ich bin überzeugt davon, dass die geringe Wahlbeteiligung zu gut 75 Prozent die Ursache für unser Ergebnis ist. Übrigens: Wer gegen das Busprogramm und gegen Staus ist, würde kaum Parteien wählen, die den Platz auf den Straßen für Autofahrer weiter verknappen wollen, wie Grüne und Linke. Das ist aber passiert.

Aber es ist doch illusorisch, dass inhaltliche Themen bei einer Wahlentscheidung fast keine Rolle spielen. Und das Baustellenproblem ist für die Menschen praktisch vor der Haustür zu spüren.

Scholz:

Stimmt. Aber die Baustellen sind Ergebnis eines jahrzehntelangen Nichtstuns bei der Instandhaltung der Straßen. Wir sanieren, und wir werden am Ende der Legislaturperiode von den 4000 Straßenkilometern in Hamburg 400 in Ordnung gebracht haben. Ich weiß, dass es viele gibt, die von Baustellen genervt sind – ich zähle übrigens dazu. Aber bei einem Großteil der Bürger ist die Einsicht da, dass man Straßen nicht sanieren kann, ohne dass es Straßenbaustellen gibt.

Heißt das im Umkehrschluss: Inhaltlich haben wir alles richtig gemacht?

Scholz:

Nein, selbstverständlich machen auch wir nicht alles richtig. Daher betrachten wir das Wahlergebnis auch mit Demut. Wir können aber auch in Demut nicht übersehen, dass wir die meisten Stimmen bekommen haben.

Rechnen Sie damit, dass es jetzt Bündnisse in den Bezirken gegen die SPD geben wird, zum Beispiel in Altona?

Scholz:

Ich glaube, dass jetzt in vielen Fällen SPD und Grüne miteinander reden werden. Aber weder Bürgermeister noch Senat haben da Vorschläge zu machen.

Wir haben mit der AfD in allen sieben Bezirksversammlungen eine neue Partei. Ist das für die SPD ein potenzieller Koalitionspartner?

Scholz:

Nein.

Warum nicht?

Scholz:

Für eine internationale Handelsstadt wie Hamburg ist der Zusammenhalt der Europäischen Union von großer Bedeutung. Die SPD steht für diesen Zusammenhalt. Die AfD steht dagegen.

Rechnerisch sind auch rot-rote Bündnisse möglich, zum Beispiel in Mitte oder in Bergedorf. Ist das eine Option?

Scholz:

Ich habe nicht mitbekommen, dass da jemand drüber nachdenkt.

Die nächste Wahlperiode dauert ja sogar fünf Jahre. Dann bin ich erst 62. Das muss ja nicht das Ende sein …

Und prinzipiell?

Scholz:

… ist das kein Thema für die Stadt. Es gilt, was ich vor der letzten Bürgerschaftswahl gesagt habe: Wir wollen eine starke SPD. Und sollte es allein nicht für eine Regierungsbildung reichen, fragen wir als Erstes die Grünen.

Werden Sie den Bürgern vor der Wahl klar sagen, ob Sie für eine volle Amtsperiode antreten?

Scholz:

Die nächste Wahlperiode dauert ja sogar fünf Jahre. Dann bin ich erst 62. Das muss ja nicht das Ende sein …