Im Vorfeld des ADC Festivals trafen sich fünf Experten aus der Kreativwirtschaft beim Abendblatt, um über die Stärken und Schwächen der Hansestadt als Standort zu diskutieren.

Das Verlegerbüro von Axel Springer ist ein geschichtsträchtiger Ort. Von hier aus hat der Gründer des Hamburger Abendblatts die Medienlandschaft Deutschlands entscheidend geprägt, er hatte großen Anteil daran, dass Hamburg lange als Medienhauptstadt Deutschlands galt. Heute ist die Hansestadt besonders als Hauptstadt der Kreativwirtschaft bekannt. International tätige Agenturen wie Jung von Matt und Thjnk haben hier ihre Zentralen; Facebook hat sich ebenfalls für Hamburg als Standort in Deutschland entschieden. Und auch der Art Directors Club wird sein Festival in dieser Woche nicht in Berlin, sondern bereits zum zweiten Mal in Hamburg feiern. Im Vorfeld des Festivals lud das Hamburger Abendblatt fünf Experten aus der Kreativwirtschaft ein, um mit ihnen über den Standort Hamburg, Gegenwart und Zukunft ihrer Branchen und die Herausforderung, die die digitale Welt stellt, zu sprechen.

Den Titel als Medienhauptstadt musste Hamburg an Berlin abtreten. Doch wie sieht es in der vielgestaltigen Kreativbranche aus? Dörte Spengler-Ahrens, Creative Executive Director der Werbeagentur Jung von Matt, bescheinigt der Hansestadt eine „sehr große Rolle in Deutschland“ und illustriert das am Beispiel ihrer Firma: „Wir haben sieben Dependancen in Hamburg und eine in Berlin. Berlin ist hochinteressant für Kreative, aber nicht im selben Ausmaß für das Business: Hamburg ist da immer noch wichtiger.“ Das bestätigt auch der Geschäftsführende Vorstand des Art Directors Club (ADC), Stefan Preussler: „Als wir damals vor der Entscheidung standen, wo wir mit dem Festival hingehen, haben wir uns sehr bewusst für Hamburg entschieden. Hier ist das größte Zielgruppenpotenzial, und hier bekommt das Festival wahrscheinlich auch am meisten Aufmerksamkeit.“ Und Babette Peters, Geschäftsführerin von Designxport, ergänzt: „Es ist wohl wirklich so, dass die jungen Leute unheimlich gern in Berlin leben wollen, aber wenn es darum geht, Geld zu verdienen, kommen sie nach Hamburg.“

Also gilt auch in der Kreativbranche Hamburg gegen Berlin? Martin Drust, der Chief Digital Officer der Agentur Thjnk, sagt: „Die beiden Städte sind knapp 300 Kilometer voneinander entfernt. In anderen Ländern wäre das eine Metropolregion. Insofern gibt es gar nicht zwingend das Entweder-oder.“ Das sieht auch Marc Wirbeleit, Creative Strategist beim sozialen Netzwerk Facebook, so: „Mit der Bahn ist man in anderthalb Stunden in Berlin. Ich kenne Leute, die brauchen länger zur Arbeit.“ Einen gewissen Mentalitätsunterschied zwischen den Städten sieht Drust, betont aber zugleich, dass Hamburg in Bezug auf die Attraktivität für junge Leute „in den letzten Jahren einiges falsch gemacht“ habe: „Die Subkulturen, aus denen immer wieder Neues hervorgeht, sind in Hamburg von einem Hang zur Eventisierung verdrängt worden. Berlin ist da mehr Schmelztiegel und deshalb attraktiver.“

Dass man tatsächlich von einem Zweikampf Hamburg – Berlin sprechen kann, bezweifelt Peters: „Die sogenannten Subkulturen sind ja genau dann keine mehr, wenn wir sie kennenlernen. Wo siedeln die sich an? Dort, wo es billige Mieten gibt. Das hört in Berlin jetzt auch auf. Dort, wo es interessante Hochschulen gibt. Die gibt es in Hamburg. Aber woanders gibt es mehr. Dazu hat Hamburg auch traditionellerweise eher den Ruf, dass man hier zum Geldverdienen herkommt. Und da es ja Kreativwirtschaft heißt, ist das nicht unwichtig. Alle, die in diesem Bereich arbeiten, haben sich entschlossen, mit ihrer Kreativität Geld zu verdienen.“

Der gebürtige Berliner Wirbeleit, der seit 25 Jahren in Hamburg lebt, sagt: „Kreativität braucht Freiräume, Kultur braucht Freiräume. Ich glaube schon, dass es die in Hamburg gibt. Aber man ist hier sehr leistungs-, erfolgsorientiert. Was wir in Hamburg nicht haben, ist der Mut zum Scheitern. Das Scheitern zu zelebrieren, als Chance wahrzunehmen, das geht uns ab.“ Diese Einschätzung bestätigt Drust: „Gerade in der digitalen Kreativwirtschaft gehört Scheitern zum Entwicklungsprozess. Wenn man nicht oft genug gescheitert ist, hat man nicht genug ausprobiert.“ Warum Hamburg trotz der geringen Entfernung anders tickt als Berlin, das führt Babette Peters auf die Stadtgeschichte zurück: „Es gibt hier einen großen Willen zur Unabhängigkeit, der in der Selbstwahrnehmung als Stadtstaat verwurzelt ist. Man will hier immer alles selbst machen. Alles muss funktionieren, für den Wohlstand der Stadt und der hier lebenden Bürger.“

Die Attraktivität eines Standorts, sie speist sich aber nicht nur aus den Voraussetzungen zur persönlichen Entfaltung, sondern auch aus den Möglichkeiten, sich zukunftsweisendes Wissen anzueignen. Drusts Gebiet ist das Digitale, und da macht er Defizite nicht nur in Hamburg, sondern in ganz Deutschland aus: „Es ist wahnsinnig wichtig, viel mehr Leuten das Programmieren beizubringen, Coding als Form der kreativen Entfaltung zu begreifen. In ganz Deutschland ist es relativ schwer, gute Designer zu finden, die ein großes Technikverständnis mitbringen. Die Ausbildung hier ist einfach nicht auf dem Stand, auf dem sie sein müsste. Bei uns ist Programmierung immer noch etwas, das keine Verbindung zur Kreativität hat.“ Diesen Eindruck hat auch Wirbeleit: „Im Silicon Valley sind Programmierer Kreative, die bestbezahlten Leute, echte Rockstars. Die können sich ihren Job aussuchen, sind total gesucht, total gefeiert.“ Insgesamt vermissen die Kreativen eine Öffnung der Ausbildung in Richtung kreativer, fach- und inhaltsübergreifender Ausprägung. In der schulischen und auch der universitären Ausbildung. Spengler-Ahrens bemängelt beispielsweise, dass es an der HAW Hamburg keinen Studiengang mehr gibt, der sich mit „nennen wir es doch mal ganz profan Werbung“ befasst. Die letzte Professur dieser Richtung sei in eine für Design umgewandelt worden, es fehle „die Auseinandersetzung mit strategischen Konzepten im Auftrag von Kunden“. Peters glaubt, „dass es im Grunde darum gehen muss, thematisch breiter auszubilden. Weil sich die Aufgabenstellungen permanent erweitern und nicht mehr so klar voneinander zu trennen sind.“

Das klingt kaum noch nach eng gefasster Berufsbildung, eher nach einem humanistisch geprägten Bildungsideal – allerdings einem, das die vielfältige Einsetzbarkeit in der Kreativwirtschaft sichert. Eben jene sieht Peters aber auch in der Pflicht, mehr für die Gesellschaft an sich zu tun: „Es geht um die Gestaltung von Dienstleistungen, die Gestaltung dessen, wie wir miteinander leben wollen. Was macht die digitale Welt mit unserem Zusammenleben, und vor welche Aufgaben stellt das die Kreativen? Dadurch, dass man sich diesen Fragestellungen widmet, macht man sich zukunftsfähig.“

Zur Zukunft nicht nur der kreativen Branchen, sondern der gesamten Gesellschaft gehört auch die immer noch steigende Bedeutung digitaler Medien. Werden diese die analogen gänzlich verdrängen? Die Experten glauben nicht daran. Preussler argumentiert mit der Ausstellung der prämierten Arbeiten des ADC: „Die Arbeiten, die wir beim Festival ausstellen, könnte man sich sicherlich auch nur digital ansehen. Aber die Menschen möchten einen Ort, den sie besuchen können. Auch wenn sie sich dort dann vieles digital anschauen, weil es eben nur noch digital vorliegt.“

Bei der stetig voranschreitenden Vernetzung aller möglichen alten und neuen Geräteformen mit dem Internet und der damit einhergehenden immer größeren Verarbeitung von Nutzerdaten gehen die Meinungen auseinander. Zwar gibt Drust den alten Grundsatz „Wer etwas kostenlos bekommt, ist nicht der Kunde, sondern die Ware“ zu bedenken. Gleichzeitig macht er deutlich, dass er in Sachen Datenschutz primär den Gesetzgeber in der Pflicht sieht: „Klar macht man nicht alles, was geht. Aber wenn wir Möglichkeiten haben, dem Kunden noch besser passende Angebote zu machen, ist das für uns erst einmal eine gute Nachricht.“ Und Wirbeleit befürwortet gut gemachte individuelle Werbung entschieden: „Wenn mir etwas gezeigt wird, was ich spannend oder interessant finde, gewinnen doch beide.“ Peters sieht das anders: „Wenn das den Preis hat, dass wir alle unsere Daten preisgeben, sehe ich das kritisch. Die Fragestellung darf man nicht auf der Ebene „Ich hab doch nichts zu verbergen“ beantworten. Man hat schließlich Verantwortung innerhalb seines Jobs: Haltung schadet nicht. Das ist ein Appell, der nicht immer nur an den Privatbürger und den Gesetzgeber gehen sollte.“

Innovation ist auch das zentrale Thema des am Donnerstag beginnenden ADC Festivals. „Auf höchstem Niveau Inhalte von Fachleuten präsentiert zu bekommen, von denen man selbst keine Ahnung hat, obwohl man schon seit 25 Jahren im Job ist“, darauf freut sich Marc Wirbeleit. Den anderen geht es ähnlich. Und Designerin Peters sieht das Festival sogar als eine Art branchenübergreifende Friedenspfeife: „Die Sektion Design hat in diesem Jahr einen größeren Stellenwert bekommen, das freut mich sehr. Es gibt immer noch Werber und Designer, die sich untereinander nicht grün sind: Das Festival kann dazu beitragen, Brücken zu bauen, Kritikern zu zeigen, dass die Zusammenarbeit Spaß machen kann.“ Gastgeber Preussler freut sich „auf die Gastfreundschaft der Stadt“ und Spengler-Ahrens, die ebenfalls im ADC-Vorstand sitzt, blickt voller Vorfreude auf „das größte Festival der Kreativität Europas“. In Hamburg, dieser Stadt, die trotz aller Kritikpunkte immer noch Deutschlands wichtigster Standort der Kreativbranche ist. Und bleiben sollte, wenn es nach den fünf Experten geht.