Seit 20 Jahren kämpft die Bürgerinitiative „Ohne Dach ist Krach“. Jetzt verschwinden Teile der A7 in einem Tunnel. Doch der Kampf geht weiter

Othmarschen . Es ist ein Mitarbeiter der Baubehörde, der den Altonaer Bürgern, die vor Gericht für Lärmschutz an der A7 kämpfen, im Jahr 1994 den entscheidenden Hinweis gibt. „So kommen Sie nicht weiter“, sagt der Beamte. „Sie müssen eine Initiative gründen, nicht den juristischen, sondern den politischen Weg gehen!“

20 Jahre ist es jetzt her, dass sich die Bürgerinitiative „Ohne Dach ist Krach“ gründete und seitdem für eine Überdeckelung der Autobahn 7 im Bereich Bahrenfeld und Othmarschen kämpft. Es mag historische Gerechtigkeit sein, dass in diesen Tagen – Anfang Mai – die Arbeiten an Nordeuropas größtem Verkehrsprojekt starten.

Wesentlicher Bestandteil der Erneuerung der A7 vom Elbtunnel bis zum Autobahndreieck Bordesholm werden drei Autobahndeckel sein. Auf Hamburger Gebiet – in Schnelsen, Stellingen und Altona – wird die viel befahrene Verkehrstrasse sozusagen unter der Erde verschwinden und den Stadtplanern die Chance geben, eine verkehrspolitische Sünde der 60er-Jahre halbwegs zu beseitigen.

Bernt Grabow und Hans Breil, die beiden Männer gehören zu den Gründern der Initiative, haben es sich in Grabows Wohnzimmer bequem gemacht. Der Blick in den Garten verrät Ruhe. Das westlich der A7 in Othmarschen gelegene Viertel ist gediegen. Einfamilienhäuser stehen auf gepflegten Gartengrundstücken. Wer hier spazieren geht, hört aber trotzdem das Rauschen der nahen Verkehrstrasse.

„Wir hatten schon vor der Gründung unserer Bürgerinitiative versucht, die Behörden dazu zu bewegen, etwas gegen den Verkehrslärm von der Autobahn zu unternehmen“, sagt Grabow. „Aber wir mussten feststellen, dass man nicht bereit war, mit uns auf Augenhöhe einen Dialog zu führen.“

Grabow lächelt, als er von dem Anhörungsverfahren wegen der 4. Elbtunnelröhre erzählt. „Wir waren davon ausgegangen, dass Behörden und Bürger gemeinsam nach einer Lösung für den Lärmschutz suchen.“ Doch weit gefehlt. „Der Begriff ‚Anhörung‘ war ernst gemeint: wir wurden angehört – mehr aber auch nicht.“

Es waren andere Zeiten, erzählt Grabow. „Als die Autobahn Anfang der 70er-Jahre gebaut wurde, glaubte man wirklich, Stadt und Verkehr miteinander versöhnen zu können.“ Schon damals argwöhnten einige Anwohner, es könnte laut werden. „Die Planer haben den Menschen ernsthaft erklärt, bereits einen Meter neben dem Autobahntrichter würde man vom Verkehr nichts mehr hören.“ Von rund 40.000 Fahrzeugen am Tag sei man bei Baubeginn für den Elbtunnel im Juni 1968 ausgegangen. Bei seiner Fertigstellung Ende 1974 wurden jedoch bereits 60.000 Fahrzeuge gezählt. Heute gehört die A7 zwischen dem Elbtunnel und dem Nordwestkreuz mit bis zu 155.000 Fahrzeugen am Tag zu den meistbefahrenen Autobahnteilstücken Deutschlands. Das bedeutet: alle vier Sekunden ein Lkw und alle 0,85 Sekunden ein Pkw.

Es sei 1994 nicht einfach gewesen, die Arbeit ins Rollen zu bringen, sagt Grabow. „Demonstrationen? Wir waren brave Bürger, da machte man so etwas nicht.“ Hinzu kam, dass die Initiatoren mit den Gepflogenheiten einer politischen Auseinandersetzung nicht vertraut waren und erwarteten, dass jeder der Beteiligten Wert auf Seriosität legte.

Doch dem war nicht so. „Es dauerte eine Weile, bis wir uns mit der Baubehörde auf Zahlen einigen konnten“, erzählt Breil. Die Behörde rechnete anfangs den Autobahndeckel teuer. Viel teurer, als die Bürgerinitiative berechnet hatte. Der Grund: Das behördliche Gutachten setzte für das Aufschütten des Böschungsbereiches Arbeitszeitkosten an, die entstehen, wenn die Arbeiten per Hand und mit einer Schubkarre ausgeführt würden.

Aber auch der inoffizielle Informationsfluss war den Lärmschutzgegnern neu. „Eines Morgens fand ich ein geheimes Gutachten der Baubehörde vor meiner Tür in einer Plastiktüte“, erzählt Grabow. „Als ich dann mit schlechtem Gewissen dem damaligen Bürgermeister Henning Voscherau davon erzählte, meinte der nur: Das ist doch ganz normal.“

Die Mitglieder der Bürgerinitiative lernten jedoch rasch. Über die Medien, mithilfe von Demonstrationen und Flugblättern sowie über politische Kanäle machten sie auf ihre Vorstellungen hamburgweit aufmerksam. „Außerdem ließen wir 1998 selbst ein Gutachten erstellen und fanden so heraus, dass ein Deckel über die A7 sich für die Hansestadt wirtschaftlich rechnen würde“, sagt Grabow.

Genauso wichtig war, dass die Mitglieder der Bürgerinitiative von Anfang an nach einer Möglichkeit suchten, die Kosten für den A-7-Deckel gegenzufinanzieren. „Wir listeten freie Flächen auf, auf denen die Stadt Wohnungen errichten und deren Verkaufserlös sie für den Deckel verwenden konnte.“ Anfangs provozierte diese Art der Gegenfinanzierung Reaktionen wie „Ihr spinnt doch!“. Inzwischen ist sie von allen Parteien – bis auf die Linke – akzeptiert.

Doch zunächst galt es, den Widerstand in der Baubehörde zu überwinden. „Der damalige Bausenator Eugen Wagner saß hier bei mir auf dem Sofa“, erzählt Grabow. „Wir aßen Fisch, tranken Bier und redeten mehrere Stunden über die A7.“ Wagner sollte später erklären, er sei anfangs gegen einen Deckel gewesen, habe sich aber letztlich von der Idee überzeugen lassen. Auch Hamburgs heutiger Erster Bürgermeister, Olaf Scholz, trug seinerzeit dazu bei, dass Behörden und Initiative miteinander ins Gespräch kamen. „Er war ja damals der SPD-Kreisvorsitzende von Altona und regte ein Moderationsverfahren an“, erzählt Grabow. Die beiden Richter, die dem Verfahren vorsaßen, hätten sich dabei von irgendwelchen Tricks der Behörde nicht beirren lassen.

Die Wahlniederlage der SPD im September 2001 bedeutete für das Anliegen der Bürgerinitiative zunächst nichts Gutes. „Als Oppositionsführer hatte sich Ole von Beust mehrfach mit uns getroffen, später als Bürgermeister nicht ein einziges Mal“, erzählt Grabow. Zudem tauchten neue „Berechnungen“ aus der Baubehörde auf, denen zufolge die Kosten für einen Deckel über die A7 „explodierten“.

Doch dann ereignete sich der „Glücksfall Gerhard Fuchs“, wie Grabow es heute beschreibt. Als der Unionspolitiker Staatsrat in der Stadtentwicklungsbehörde wurde, hatte er eine gute Idee. Fuchs sorgte dafür, dass Hamburg als erstes westliches Bundesland einen Anteil an der Deutsche Einheit Fernstraßenplanungs- und -bau GmbH (Deges) erwarb. Die 1991 gegründete Projektmanagementgesellschaft war zu diesem Zeitpunkt für Planung und Bau von Autobahnen lediglich im Osten Deutschlands zuständig.

Doch das sollte sich mit Hamburgs Engagement ändern. „2008 beauftragte Fuchs die Deges, ein Lärmschutzgutachten für die A7 auf Hamburger Gebiet zu erstellen“, erzählt Grabow. Der Grund: Die A7 war in die Jahre gekommen und der Bund wollte, auch wegen der vierten Tunnelröhre, die Verkehrstrasse bis zum Nordwestkreuz achtspurig ausbauen. Damit aber musste das gut zehn Kilometer lange Autobahnteilstück wie ein Neubau behandelt werden und es galten deutlich strengere Lärmschutzregeln als in den 1970er-Jahren.

Die Deges kam zu dem Schluss: Im Bereich Bahrenfeld/Othmarschen sind ein 730 Meter langer Deckel, ein 510 Meter langes Galeriebauwerk auf der westlichen Seite der A7 und über eine Strecke von einem Kilometer Lärmschutzwände notwendig, die der Bund bezahlen muss. „Allerdings schlug die Deges auch vor, Hamburg könne eine Verlängerung des Deckels bezahlen und so Platz für Städtebau schaffen“, erzählt Grabow. Damit aber befeuerte die Deges die Vorstellungen der Initiative „Ohne Dach ist Krach“. Stadtentwicklungssenatorin Anja Hajduk von den Grünen griff diese Anregung auf und erkannte vor allem das Potenzial, die Teilung von Hamburgs Westen zu überwinden und einen Grünzug von der Elbe bis zum Volkspark zu schaffen.

2009 schließlich beschloss der Senat, den Lärmschutzdeckel im Bereich Othmarschen um gut einen Kilometer zu verlängern. „Allerdings hat Hajduk später auch dafür gesorgt, dass unser Deckel im Bundesverkehrswegeplan aus dem ‚vordringlichen Bedarf‘ herausgenommen wurde“, sagt Grabow.

Auch deshalb sehen die Mitglieder von „Ohne Dach ist Krach“ den 20. Geburtstag ihrer Bürgerinitiative lediglich als Zwischenschritt. „Wir hätten uns gewünscht, dass alle drei Lärmschutzdeckel zur gleichen Zeit gebaut werden“, sagt Grabow. Er fürchtet: Der nun ins Auge gefasste Start der Bauarbeiten für den Bahrenfelder Deckel im Jahr 2019 lasse der Politik noch zu viel Zeit für Bedenken und Ausflüchte.

Immerhin – in der kommenden Woche beginnen an der Langenfelder Brücke die ersten Arbeiten zur Erneuerung der A7. Ein Langzeit-Traum wird dann ganz langsam zur Realität.