Hohe Mieten, teures Eigentum, Pendler im Dauerstau, Mängel bei der Bauqualität, nervige Nachbarn – das Wohnen in Hamburg und Umgebung ist ein Dauerbrenner-Thema. In einer fünfteiligen Serie befasst sich das Abendblatt deshalb mit der Frage: Wie wollen wir eben?

Immer genug Abstand zum Nachbarn (von Elisabeth Jessen)

Es gibt zwei unwiderlegbare Argumente für das Leben in einem Haus. Das Drüber und das Drunter. Da ist nämlich keiner, außer man selbst. Und wenn da jemand ist, dann ist es einer aus der eigenen Familie, dem man sagen kann, dass er die Musik leiser stellen oder nicht so laut durch das Zimmer trampeln soll. Aber da ist keine nachtaktive Nachbarin, die meint, sie müsse ihr Dachbodenabteil nachts aufräumen, wenn sie mal wieder nicht schlafen kann. Es gibt auch keine schwerhörigen Nachbarn, aus deren Wohnung der Fernseher so unüberhörbar durch das Haus schallt, dass man den „Tagesschau“-Sprecher noch in den Etagen drüber und drunter problemlos versteht. Mit Schaudern erinnere ich mich auch an das Musikerehepaar unter uns. Er übte Geige, sie Klavier, aber uns wollten sie verbieten, nach 20 Uhr zu duschen und die Toilettenspülung zu betätigen. Um ihr Ruhebedürfnis zu verdeutlichen, klopften sie gern mit dem Besenstil gegen die Decke. Manchmal gingen sie auch hoch auf den Dachboden und trampelten herum wie Rumpelstilzchen – ihre kindische Retourkutsche, wenn wir wieder mal spätabends auf dem Klo waren.

Nicht, dass das jetzt jemand falsch versteht, ich mag Nachbarn, aber ich habe festgestellt, dass ein gewisser Abstand der Zuneigung füreinander sehr zuträglich ist.

Die Erkenntnis, dass ein Leben im Haus angenehmer ist als das in einer Wohnung, habe ich noch nicht als Teenager gewonnen. Da wollte ich nur weg vom großen Elternhaus, das dummerweise auf dem Land liegt. Als Studentin war es wichtig, mitten in der Großstadt zu wohnen – natürlich in einer Altbauwohnung. Aber drei Wohnungen später (eine davon über einer Kneipe) und zwei Kinder später war klar, dass das nicht die Zukunft sein konnte.

Überzeugten Großstädtern fällt es nicht leicht, ihren Radius über die beliebten Innenstadtviertel hinaus zu erweitern. Da ging es mir und meiner Familie nicht anders als Tausenden Familien, die bezahlbare Wohnungen suchen und ihren Blick dabei nicht weiter als auf Eppendorf, Eimsbüttel und Winterhude richten. Aber wer nicht das Geld hat, in einer Stadtvilla zu wohnen, muss eben Kompromisse eingehen. Und stellt plötzlich fest, dass es ein wesentlicher Gewinn an Lebensqualität ist, wenn die Häuser nicht mehr vierstöckig sind, nicht Unmengen an geparkten Autos die Straßen verstopfen und es einfach rundum gemächlicher zugeht.

Sobald ich die Hauptstraße verlasse und in die 30er-Zone einbiege, senkt sich der Verkehr ab, und man weiß, dass man nicht eine halbe Stunde durch das Viertel gurken muss, um das Auto parken zu können. So ein Stellplatz vor dem Haus ist einfach ein Gewinn. Mit Grausen erinnere ich mich noch daran, dass wir früher nach einem Wochenende an der See oft schon am Sonntagmittag zurückgefahren sind, um in annehmbarer Nähe zum Wohnhaus einen Parkplatz zu ergattern. Tagsüber ging das immer noch, aber abends war die Parkplatzsuche eine Katastrophe. Auch Paketzusteller können in unserer Gegend regulär am Straßenrand parken, ohne den Verkehr zu behindern.

Vom Stellplatz sind es nur ein paar Meter zur Haustür. Und alles, was dahinter ist, geht nur mich und meine Familie etwas an. Kein Ärger mehr über Nachbarn, die ihren Treppenhausdienst monatelang ignorieren, die Schuhe der ganzen Familie vor ihrer Haustür abstellen statt dahinter oder die ihre Mülltüten und Umzugskisten davor deponieren. Aber irgendwie ist es ja auch kein Wunder, dass sich Wohnungsbewohner so gern bis vor die Tür ausbreiten. Wo sollen sie ihren ganzen Kram sonst lassen. Mit Glück haben sie ein feuchtes Keller- oder ein muffiges Dachbodenabteil zur Verfügung. Aber, wer will schon jedes Mal vom Erdgeschoss auf den Dachboden laufen, wenn er zweimal im Jahr den Fonduetopf benutzen will, oder von der vierten Etage in den Keller, um das Gästebett zu holen. Wie herrlich ist es da, wenn sich Keller, Wohnräume und gegebenenfalls Dachboden innerhalb der eigenen vier Wände befinden?

Und erst der Garten. Unserer ist nicht groß, aber ein echter Gewinn. Er ist so viel mehr als ein Balkon oder ein verschatteter Hof oder Hinterhausgarten, in dem nur ein Moosteppich wächst, aber kein Rasen, weil nur selten ein Sonnenstrahl durchdringt. Man verbringt plötzlich sehr viel mehr Zeit draußen und muss trotzdem nicht mehr im Straßencafé um einen Platz kämpfen, sobald es warm wird. Der Platz an der Sonne liegt direkt hinter dem Wohnzimmer.

Die Entscheidung für ein Haus muss keine fürs Leben sein. Aber das Leben, das fühlt sich schon deutlich entspannt an darin. Meinen Nachbarn Walter, der immer die Blumen im Garten gießt, wenn wir Urlaub machen, mag ich übrigens sehr. Er wohnt neben uns. Nicht drüber oder drunter.

Die Wohnung als Sehnsuchtsort (von Jörn Lauterbach)

Ein wenig Bildungshuberei darf ja auch mal sein, selbst wenn die Erkenntnis nur aus Wikipedia entnommen wurde: Das Wort „Wohnung“ hat sich demnach etymologisch aus dem Althochdeutschen wonen entwickelt, was zunächst nicht nach einer zu großen Überraschung klingt, aber dann doch – wonen nämlich hatte damals die Bedeutung „zufrieden sein“. Und damit ist eigentlich schon alles gesagt.

Wer ein Haus hat, hat auch immer Sorgen, so wird es jedenfalls erzählt: Das Dach ist undicht, die Hollywoodschaukel muss geölt werden, der Keller ist vollgelaufen, die Einfahrt müsste mal neu geteert werden. Kann man da langfristig wonen sein? Wohl nicht. In der Wohnung hält maximal der Nagel nicht in der Wand. Dann wird eben gedübelt. Oder auf das Bild verzichtet.

Diese Form des Lebens passt allerdings nicht überallhin. Draußen, in den kleinen Orten, den Dörfern, den Flecken in der Landschaft, da ist das Leben in einer Wohnung völlig deplatziert. Käfighaltung ist dort zwar auch für Tiere blöd, für Menschen aber komplett inakzeptabel. In der Großstadt aber sieht die Lage anders aus, diese ist schließlich nur durch die Wohnungslandschaft überhaupt existent. Hamburg zum Beispiel wird ja nicht durch Hummelsbüttel, Marienthal oder Rissen und ihren gepflegten Vorgärten zur Großstadt, sondern durch das, was die Welt im Innersten zusammenhält: Mehrparteienhäuser mit sechs, acht oder mehr Wohnungen, diese ausgestattet mit einem kleinen Zimmer und Kochnische oder sieben Zimmern und Diele in mittlerer Sporthallengröße.

Und mit Menschen darin, die direktes Zusammenleben mit anderen Wesen im gleichen Haus, in der gleichen Straße, im gleichen dicht bebauten Viertel nicht als Attacke auf die Einzigartigkeit des eigenen Seins begreifen, sondern als Ausdruck des gesellschaftlichen Fortschritts und, ja, auch einer gewissen Lässigkeit. Im Umgang mit sich und den anderen. Nur hier heißen Wohnungen dann auch gern mal Maisonette, Souterrain, Penthouse, Loft oder Appartement, das repräsentiert Weltläufigkeit im kleinen Maßstab.

Die aktuelle Diskussion um die Unterkunftsknappheit in Hamburg soll ja bekanntlich auch nicht dadurch gemildert werden, dass hübsche Einzelhausbebauung in Randlagen gefördert wird; es gibt einen Pakt zum Bauen von Wohnungen. Vielleicht kein vollständig passendes Beispiel, aber schon in der DDR, mit ihren vielen Plattenbauten, wurde so das Minimalziel des Bürgers formuliert, und auch in den 50er- und 60er-Jahren der Bundesrepublik Deutschland wurden Block um Block hochgezogen, um den Menschen ein Zuhause und damit auch Würde zurückzugeben. Größe und Zuschnitt entsprechen hier(meistens) den menschlichen Dimensionen und der jeweiligen Lebenslage; die Anforderungen, die Wohnungen stellen, sind zu bewältigen, für ganz junge und sehr lange auch für ganz alte Bewohner.

Wer bei seinen Eltern im Reihenhaus am Rande der Stadt, im Schatten der Kirche oder des Kreiskrankenhauses, aufwächst, der hat spätestens nach dem ersten Kuss den einen Wunsch im Kopf: Ich will eine eigene Wohnung! Wie groß? Egal. Wovon bezahlen? Wird sich ergeben. Womit einrichten? Findet sich schon was. Die Wohnung ist also zudem der natürliche Sehnsuchtsort, an dem das eigene Leben beginnt, eine Kapsel, die die Abkapselung möglich macht und das Erwachsenwerden (zumeist) manifestiert. Das Einzelhaus, die Villa, der Bungalow (wobei dieser eine ganz schöne Entsprechung zu einer Wohnung sein kann und leider etwas als Bauform unterschätzt wird) sind dann später die konstruierten Orte, in denen das Leben der anderen gedeihen soll. Bis die dann dringend in die Wohnung wollen und von den weinenden Eltern in ihrem zu großen Haus ausziehen. Die bleiben dann zurück mit ihrem Gartenschlauch.

Muss aber nicht so sein, die Lebensplanung auch mit Familie kann ganz anders laufen; ja, es besteht sogar die Möglichkeit, durch das Bekenntnis zur Wohnung der Stadt seinen eigenen Stempel aufzudrücken – und auch die Innenstadtviertel mit ihrem Geschossbauflair haben ein Anrecht auf Kinder. Gemeinschaft unmittelbar mit anderen, wenn die Tür aufgeht, oder eigenes Refugium, wenn sie zugeht – beides kann hier erlebt werden.

In jeder Größe werden die Wohnungen dann schnell so gestaltet werden, dass sie passend sind zum eigenen Ich: kühle Übersichtlichkeit oder verspielter Oasencharme; im Altbau Bürgerlichkeit mit Fortschrittsgeist und Schiebetür, in der grauen Mietskaserne Rückzugsort von der Kälte des Lebens oder wenigstens der Straße. Draußen bleiben muss nur der Vergemütlichungsschrott aus der Baumarkt-Kassenzone – der ist für andere gedacht, die Hausbewohner, aber jedenfalls nicht für das wonen in der Wohnung.