Viele Wohnhäuser in Deutschland sollen in den nächsten Jahren energetisch saniert werden. Das kostet Milliarden. Inzwischen zweifeln selbst Befürworter an der Notwendigkeit. Wo liegen die Chancen? Wo die Risiken? Und wer profitiert wirklich?

Es begann mit einer Lampe im Keller. Plötzlich hatte sie einen grünlichen Schimmer auf dem Schirm. Dann fand sich der verdächtige grüne Film auch auf Schuhen und dem ausrangierte Kinderspielzeug im Regal.

Wann immer die Roths in ihren Keller gingen, wunderten sie sich über einen moderigen Geruch – und das in dem Neubau, den sie erst ein Jahr zuvor bezogen hatten. Das ungute Gefühl trog nicht. Binnen weniger Wochen verwandelte sich das Traumhaus im Hamburger Norden in einen Albtraum. Der Schimmel wucherte nicht nur im Keller, sondern überall.

Eine baubiologische Untersuchung erschütterte die Familie: Im Wohnzimmer, im Esszimmer, selbst im Kinderzimmer lagen die Messungen der Sporen zum Teil deutlich über zulässigen Grenzwerten. Der Baubiologe antwortete auf die Frage, was zu tun sei, mit drei Worten: „Ich würde ausziehen.“

Der lang gesuchte und lieb gewonnene Heimathafen entpuppte sich als Gefahrengebiet. Die Familie war plötzlich wohnungslos und musste zu den Eltern flüchten. Binnen weniger Tage brauchten die Roths nicht nur eine neue Bleibe. Zugleich mussten sie den Ursachen des Schimmelbefalls auf den Grund gehen und nachweisen, dass nicht ihr Lüftungsverhalten, sondern Pfusch am Bau für das Desaster im Niedrigenergiehaus verantwortlich ist.

Trotz modernster Bautechnologien ist Schimmelpilz ein bleibendes Problem in deutschen Wohnungen. Waren es früher vorzugsweise in die Jahre gekommene Altbauten, in dem der Schädling siedelte, findet er nun eine neue Heimat in voll gedämmten, hermetisch durch Wärmeverbundsysteme abgeriegelten Wohnkästen.

„Durch die Vorgaben der Energieeinsparverordnung werden die Häuser so luftdicht gedämmt, dass die Feuchtigkeit in den Räumen gefangen bleibt und das Schimmelpilzwachstum gefördert wird“, sagt der Architekt und Baubiologe Klaus Aggen. Früher beispielsweise waren die Fugen an Fensterrahmen oft so undicht, dass sie ständig die Raumluft austauschten und so entfeuchteten – in Zeiten von Dreifachverglasungen ist das Geschichte.

Ein Vierpersonenhaushalt gibt an einem Tag rund zwölf bis 14 Liter an die Luft ab – durch Atmen und Schwitzen, Waschen und Kochen, Duschen und Zimmerpflanzen. Problematisch wird es, wenn dieser Wasserdampf im Haus verbleibt: Dann droht Schimmel. Handwerker erzählen Gruselgeschichten von Schimmellandschaften hinter Bildern und Schränken; in Internet-Foren suchen Betroffene nach Leidensgenossen.

Längst beschäftigt der Streit um den Schimmel die Gerichte. Das Landgericht Konstanz etwa gab vor einigen Monaten einem Mann recht, der wegen Feuchtigkeit und Schimmel in einem neu gebauten Niedrigenergiehaus seine Miete um 20 Prozent gekürzt hatte. Auch ein Gutachten des Vermieters, wonach kein Baumangel vorlag, überzeugte die Richter nicht. Ein übliches Wohnverhalten dürfe nicht zu Schimmel führen, ein fünfmaliges Lüften sei Mietern unzumutbar.

Die Fälle von Schimmelbefall lenken das Schlaglicht auf eine schwierige wie teure Entwicklung – Deutschland wird mehr und mehr zum Land der Dichter und Dämmer. Spätestens seit dem Atom-Ausstieg gilt das Motto, das jeder Umweltpolitiker mantraartig wiederholt: „Die günstigste Energie ist jene, die gar nicht erst verbraucht wird.“ Zu diesem Zweck werden nicht nur die energetischen Anforderungen an Neubauten verschärft, sondern auch Altgebäude energetisch ertüchtigt.

Immerhin fast 40 Prozent des Energieverbrauchs entfallen auf Immobilien. Bis Mitte des Jahrhunderts sollen Gebäude in Deutschland daher 80Prozent weniger Energie verbrauchen. Den größten Anteil zur Senkung des Energiebedarfs soll die Sanierung von bestehenden Gebäuden liefern.

Hinzu kommen höhere Anforderungen an Gebäudequalität und Energieverbrauch. Deshalb werden die Bauten inzwischen technisch hochgerüstet – für den Luftaustausch bekommen die meisten Niedrigenergiehäuser etwa komplexe Belüftungsanlagen mit Wärmerückgewinnung. Mithilfe stromintensiver Haustechnik wird dann herbeigeführt, was in alten Häusern serienmäßig war: die Zugluft.

„Derzeit herrscht ein Dämm- und Steuerungswahnsinn, der den Interessen der Dämmstoffhersteller und der Haustechnikfirmen folgt“, kritisiert der Wiener Architekturexperte Dietmar Steiner. Nach Zahlen des Fachverbandes Wärmedämm-Verbundsysteme wurden hierzulande 769,1 Millionen Quadratmeter Dämmplatten verarbeitet – das ist eine Fläche, die größer als das gesamte Stadtgebiet Hamburgs ist.

Und so soll es weitergehen. Der Vorsitzende des Hamburger Grundeigentümerverbandes, Heinrich Stüven, schüttelt den Kopf über die staatlichen Vorgaben zur energetischen Sanierung. Diese führten zu „unglaublich hohen Kosten“, während die Einsparungen bei den Energiekosten diesen Aufwand nicht ausglichen. Er prophezeit steigende Mieten und Baukosten: „Letztlich müssen die Menschen mehr Geld fürs Wohnen ausgeben.“

Das steht zwar im Widerspruch zu der Forderung der Politik, preiswerten Wohnraum zur Verfügung zu stellen. Doch Energieeffizienz ist derzeit der höchste Wert. Massive Kritik übt Stüven an Fehlsteuerungen durch die Energieeinsparverordnung: Ihm sei ein Fall bekannt, bei dem in einem Hamburger Neubau eine Holzpelletheizung eingebaut worden sei, obwohl es auf dem Grundstück eine Fernwärmeleitung gegeben habe. Der Grund: Für die Pelletheizung gab es im Energiepass „mehr Punkte“ als für einen Fernwärmeanschluss.

Kritiker wie Steiner oder Stüven verweisen darauf, dass die Befürworter des Dichten und Dämmens sich die Energieeinsparung schönrechnen. Steiner beruft sich auf Erfahrungen in Wien. „Passivhäuser und Niedrigenergiehäuser verbrauchen mehr Energie, weil die Menschen meinen, dass sie für Energie praktisch nichts bezahlen und die Heizung aufdrehen.“ Rund zwei Drittel des Energieverbrauchs hängen aber direkt vom Verhalten der Bewohner ab: wie sie heizen, lüften, leben. Und: Gut gedämmte Wohnräume müssen häufiger als weniger gut gedämmte Räume gelüftet werden, um die Bildung von Schimmel infolge zu hoher Luftfeuchtigkeit zu verhindern.

Auch der Verband norddeutscher Wohnungsunternehmen – ihm gehören 312 Wohnungsgenossenschaften an – ist mit den steigenden Kosten infolge staatlicher energetischer Vorgaben unglücklich. „Die Energievermeidungskosten, etwa durch Dämmung, können tatsächlich nur zum Teil auf den Mieter umgelegt werden, die Kosten bleiben also zum großen Teil beim Vermieter“, heißt es in einem internen Papier. Durch die Energieeinsparverordnung sei der Vermieter allerdings zu den energetischen Investitionen verpflichtet. Der Verband spricht von einem „Investor-Nutzer-Dilemma“ und fordert von der Politik, bei den Auflagen für eine energetische Gebäudesanierung die Sozialverträglichkeit stärker als bisher zu berücksichtigen.

Die Hamburger Bundestagsabgeordnete und Ex-Senatorin Herlind Gundelach (CDU) kennt die zunehmende Kritik an der deutschen Energiepolitik und der Effizienz-Ideologie – und widerspricht. „In gewisser Weise war ich Pionier“, sagt sie. „Ich habe eines der ersten Passivhäuser in der Hansestadt bauen lassen. Dabei konnte ich mir selber das lange gar nicht vorstellen.“ Erstmals kam sie mit Häusern, die ohne große Heizungen auskommen, bei der Expo 2000 in Hannover in Kontakt – und war entsetzt.

„Damals waren die Fenster nicht einmal zu öffnen; Luftaustausch funktionierte allein über Belüftungssysteme. Das war für mich als Frischluftfanatikerin ein Graus.“ Ihre Vorbehalte fielen, als ein Bauträger für Passivhäuser sie einlud, und Gundelach entschied sich, ein Passivhaus in Wilhelmsburg zu errichten. 2005 ist sie eingezogen. „Ich bin sehr zufrieden, auch das Lüften ist kein Problem“.

Obwohl sie eine zusätzliche Heizung eingebaut hat, liegen ihre Heizkosten heute bei rund 500 Euro im Jahr. In ihrer Wohnung zuvor, die nur halb so groß war, waren sie fast doppelt so hoch. Gundelach hat die Umwelt- und Baupolitik der vergangenen Jahrzehnte geprägt, zunächst im Bundesumweltministerium, dann in Hessen und schließlich von 2004 an erst als Staatsrätin der Hamburger Stadtentwicklungsbehörde, später als Wissenschaftssenatorin.

„Wir haben in der CDU-Alleinregierung ein Programm beschlossen, um Hamburg zum Vorreiter beim energieeffizienten Bauen zu machen.“ Gemeinsam mit der Handwerkskammer legte der Senat Schulungsprogramme auf, richtete üppige Fördertöpfe ein und wagte sich an Leuchtturmprojekte: Bei der Expo in Shanghai präsentierte sich Hamburg mit einem Passivhaus. „Damals kam richtig was in Bewegung“, schwärmt die Politikerin noch heute. „Viele Architekten der Stadt haben sich unglaublich reingekniet.“

Nicola Beck, Leiterin des EnergieBauZentrums in Harburg, weist darauf hin, dass der Anteil gedämmter Gebäude in Hamburg doppelt so hoch ist wie im gesamten Bundesgebiet. „Hamburg gilt als Vorreiter.“ Die politische Vorgabe lautet, dass jedes Jahr zwei Prozent des Wohnungsbestandes energetisch saniert werden. Die Hamburgische Wohnungsbaukreditanstalt förderte in den vergangenen vier Jahren die energetische Sanierung von 25.000 Miet- und Eigentumswohnungen. In der Hansestadt gelten mehr als 80 Prozent der rund 900.000 Wohnungen als energetisch sanierungsbedürftig. Allerdings hat die Stadt das Tempo von einst beträchtlich gedrosselt. Noch 2008 legte Schwarz-Grün über die Wohnungsbaukreditanstalt ein spezielles Förderprogramm auf, das Öko-Häuser mit insgesamt zehn Millionen Euro förderte. Niedrigenergie-Häuslebauer bekamen bis zu 24.700 Euro überwiesen, für Passivhäuser spendierte die Stadt sogar 31.200 Euro.

Doch seit 2009, als nach Angaben der Stadtentwicklungsbehörde die staatliche Förderung energieeffizienter Neubauwohnungen bei rund 39 Millionen Euro lag, ist sie auf knapp 16 Millionen Euro in diesem Jahr gesunken. Hinzu kommen rund neun Millionen Euro für die energetische Modernisierung von Bestandswohnungen.

Stadtentwicklungssenatorin Jutta Blankau (SPD) spricht von einer Neuausrichtung der Förderung. Es gehe darum, für einkommensschwächere Bürger bezahlbaren Wohnraum zu schaffen. „Die Mittel haben wir für die Ausweitung von 1200 auf 2000 geförderte Wohnungen eingesetzt, statt die energetischen Standards von frei finanzierten Wohnungen zu bezuschussen.“ Darüber hinaus setzt die Senatorin auf Freiwilligkeit. „Investoren können selbst entscheiden, mit welchem energetischen Standard sie bauen wollen.“

Der sozialdemokratischen Senatorin ist sehr wohl bewusst, dass die Schaffung von bezahlbarem und energetisch anspruchsvollem Wohnraum eine Gratwanderung ist. „Wir müssen Energiewende und Klimaschutz voranbringen, ohne dass zu große finanzielle Lasten von Modernisierungen auf den Schultern der Mieter ruhen.“

Gundelach bedauert den Ausstieg der Hansestadt aus der ehrgeizigen Politik von einst. „Das ist schade. Hier hatte die Stadt ein Alleinstellungsmerkmal und verspielt nun ihre Führungsrolle. Städte müssen zeigen, wie man energieoptimiert baut. Aber die SPD tut sich mit dem Umweltschutz manchmal schwer.“ Die anschwellende Kritik an Wärmedämmung und energieeffizientem Bauen hält sie für übertrieben. „Wenn man das einen Fachmann machen lässt, gibt es kein Problem“, sagt Gundelach. „Im Land der Baumärkte bringen auch Laien hochkomplexe Wärmeverbundsysteme in Eigenregie an den Häusern an. Das ist ein Fehler.“

In der Tat führen viele Experten wie das Aachener Institut für Bauschadensforschung die großen Probleme mit Schimmel auf falsche Montage von Dämmmaterialien und Fehler der Bewohner beim Lüften zurück. Bezogen auf alle deutschen Wohnungen liegt der Schimmelbefall bei 9,3 Prozent.

Angesprochen auf fehlerhafte Dämmarbeiten sagt Nicola Beck vom EnergieBauZentrum, der Markt sei durch Herstellerschulungen dominiert. In vielen Fällen werde der gesamte Fachbetrieb zertifiziert, aber nicht der einzelne Mitarbeiter. Wenn der Meister sein Wissen aber nicht richtig an die Mitarbeiter weitergebe, könne es zu Problemen kommen. Die öffentliche Hand hat inzwischen reagiert. So ist die Vergabe von staatlichen Fördermitteln daran gebunden, dass ein zusätzlicher Qualitätssicherer die Installation der Dämmplatten begutachtet. Dieser muss bestätigen, dass alles richtig gemacht wurde, sonst fließt kein Geld von der Förderbank.

Doch die Probleme mit den ungeliebten Sporen und der mangelnden Qualität beim Anbringen von Dämmmaterialien sind nur ein Kritikpunkt. Umstritten sind die Wärmeverbundsysteme auch, weil sie meist aus leicht brennbarem Polystyrol bestehen. Dieser Stoff ist um die Hälfte günstiger als andere Dämmmaterialien wie Steinwolle oder nachwachsende Rohstoffe. „Es gibt inzwischen genügend Fassadenbrände, die belegen, dass Polystyrol brennt wie die Pest“, sagt Stüven. „Das ist ein Erdölprodukt, bei dem letztlich selbst Brandhemmer nicht helfen.“

Doch damit nicht genug: Der vermeintlich ökologische Dämmstoff von heute ist das Umweltrisiko von morgen. Volker Halbach vom Hamburger Bund der Architekten sagt: Letztlich werde mit einem nicht abbaubaren Material ähnlich wie Plastik gedämmt. In 30 bis 50 Jahren müsse man dieses Material als Sondermüll entsorgen.

Doch gedämmte Fassaden belasten schon zu ihren „Lebzeiten“ die Umwelt. Da sie anfällig für Schimmel und Algen sind, werden die Platten mit biozidhaltigen Farben oder Putz beschichtet. Diese Chemikalien sollen eigentlich vor Insekten, Pilzen und Mikroben schützen. Da sie wasserlöslich sind, werden sie nach und nach vom Regen aus den Fassaden herausgespült – und gelangen in die Kanalisation.

Inzwischen schlagen auch Vogelschützer Alarm. Zwar sieht der Gesetzgeber vor, dass der Hauseigentümer vor einer Sanierung oder Dämmung prüfen muss, ob an seiner Fassade oder unter seinem Dach seltene Vögel leben. „Allerdings macht das kaum ein Hausbesitzer, und die Behörde hat zu wenig Personal für die Kontrolle“, beklagt Marco Sommerfeld vom Naturschutzbund (Nabu) Hamburg. Der Vogelschützer hat beobachtet, wie den Vögeln „ganze Straßenzüge“ verloren gingen. „Wenn sieben ober acht Gebäude saniert werden, haben die Tiere keine Heimat mehr.“ Besonders die in Hamburg heimisch gewordenen Mauersegler sind vom Verlust ihrer angestammten Brut- und Nistgebiete betroffen. Marco Sommerfeld schätzt, dass rund 5000 Mauersegler in der Hansestadt leben. Noch.

Doch nicht nur Umweltschützer haben schwere Bedenken; auch Denkmalschützer winden sich mit Grausen. In den vergangenen Jahren verschwanden viele typische Rotklinkerbauten in Hamm, Dulsberg, Barmbek, Winterhude und Altona mehr und mehr hinter eintönigen Wärmeverbundsystemen. Simse und filigrane Fassadenelemente entfielen, Fenster rutschten durch die überdimensionalen Dämmbauten weiter zurück. Es entstand der berüchtigte Schießscharteneffekt.

„Wir erleben da einen Wandel von der roten zur weißen Stadt“, sagte seinerzeit Peter Braun, Professor der HafenCity Universität und Experte für Gebäudetechnik. Hamburg, dem der rote Backstein Identität stiftet, verändert sein Gesicht. Die Bedenken des Denkmalschutzes teilt auch Herlind Gundelach. Als Hamburger Wissenschaftssenatorin hat sie diese in der Debatte aktiv vertreten und in den Förderleitfaden des Bundes hineingetragen.

Damals waren viele Verantwortliche der Stadt bereit, auch denkmalgeschützte Bauten sowie Fassaden mit Dämmplatten zu versehen und so den Charakter der Gebäude grundlegend zu verändern. „Wir müssen mit unseren Denkmälern vorsichtig umgehen und auch einmal mit 30 bis 40 Prozent Energieeinsparung zufrieden sein“, betont Gundelach.

Mehr und mehr Experten raten längst, sich von der einseitigen Konzentration auf Wärmeverbundsysteme zu verabschieden. Das Dämmen des Daches und des Übergangs zum Keller ergebe mehr Sinn. Warme Luft steigt nach oben, weshalb dem Dach besondere Bedeutung zukommt. Zwar sind inzwischen zwei von drei Dächern saniert, aber nur jede fünfte Kellerdecke. Dabei gehen sieben Prozent der Heizenergie durch nicht gedämmte Keller verloren. Vorbehalte gegen das überdimensionierte Dämmprogramm der Politik gibt es inzwischen auch aus finanziellen Gründen. Nach Berechnungen des Prognos-Instituts im Auftrag der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) sind bis zum Jahr 2050 rund 838 Milliarden Euro an Investitionen notwendig, um die klimapolitischen Ziele der Bundesregierung zu erfüllen. Der Pferdefuß daran: Die Wissenschaftler fanden auch heraus, dass dadurch lediglich Energiekosten in Höhe von 372 Milliarden Euro gespart werden. Nicht nur der Kreditanstalt kommen angesichts der erheblichen Differenz von 466 Milliarden Euro Zweifel.

Als Faustregel gilt inzwischen: Sind ohnehin Sanierungsarbeiten am Dach oder der Fassade nötig, rechnen sich Energiesparmaßnahmen in den meisten Fällen. Wer allein aus Gründen der Energieersparnis saniert, für den wird es zu teuer – im Übrigen auch für die Gesellschaft. Die milliardenschweren Fördergelder setzen Fehlanreize. Rainer Scheppelmann, langjähriger stellvertretender Leiter der Leitstelle Klimaschutz bei der Stadtentwicklungsbehörde, hält die gesamte Energieeinsparverordnung daher für wirtschaftlichen Unsinn.

Bis zum Jahr 2002 sei ein Ziegelmauerwerk mit 36,5 Zentimetern als ausreichend wärmedämmend angesehen worden, schreibt er in einem Beitrag. Dann habe die Verordnung festgelegt, dass auch derartige Mauerwerke einer zusätzlichen Fassadenisolierung bedürften. „Durch diese Verordnung wurden per Definition plötzlich ‚gesunde‘ Bestandsgebäude zu ‚kranken‘ Gebäuden“, sagt Scheppelmann. Das Mitglied der Hamburger Grünen macht den Einfluss der Dämmstofflobby für diese kostspielige Änderung verantwortlich. „Nun wurden Fassadendämmstoffe zu einem der umsatzstärksten Produkte der Baustoffindustrie.“

Der Markt bietet in der Tat gigantisches Potenzial: In Deutschland stehen rund 18 Millionen Wohngebäude. Mehr als zwei Drittel wurden vor 1979 erbaut - also vor der Einführung der ersten Wärmeschutzverordnung. Entsprechend groß sind die Unterscheide beim Energieverbrauch. Im Durchschnitt liegt er bei jährlich 177 Kilowattstunden (kWh) pro Quadratmeter, was in etwa 17,7 Litern Heizöl entspricht.

Während ein Viertel aller Gebäude sogar mehr als 205 Kilowattstunden pro Quadratmeter verbraucht, begnügen sich Neubauten mit rund 50 kWh. Um solche Werte zu erreichen, wird gedichtet und gedämmt: 2010 gaben die Deutschen 16,2 Milliarden Euro für die Isolierung von Wohngebäuden aus. Einer Studie der Unternehmensberatung Roland Berger zufolge sollen sich die Ausgaben bis zum Jahr 2020 auf mehr als 32 Milliarden Euro verdoppeln.

Wo so viel Geld zu verteilen ist, wachsen die Begehrlichkeiten. Gerade die Chemieindustrie, aber auch viele Handwerker leben gut vom Dichten und Dämmen. Bis zu 300.000 Arbeitsplätze, so Prognos, könnten in der Bauwirtschaft und dem Handwerk gesichert werden. Die Kritiker haben es da nicht leicht, durchzudringen. Zumal es um ein Ziel geht, das politisch mehr als korrekt ist: Ressourcen schonen, Energie einsparen, Klima retten.

Zu wenig ist die Rede davon, mit welchen Alternativen diese Ziele erreichbar sind – abseits von Styropor und Biozid-Fassaden. „Wir müssen gerade bei der Sanierung von denkmalgeschützten Gebäuden ganzheitlich denken und uns nicht auf Wärmeverbundsysteme fixieren – mit einer neuen Heizung oder neuen Fenstern kann man auch schon eine Menge machen“, sagt auch Gundelach. Bei der anstehenden novellierten Energieeinsparverordnung fordert sie Augenmaß, damit der Bau von Wohnungen bezahlbar bleibe. Für Familie Roth geht nichts mehr. Sie wird aus ihrem Niedrigenergiehaus ausziehen und sucht schon eine neue Wohnung, unbedingt ungedämmt.