Dietmar Steiner vom Architekturzentrum Wien übt scharfe Kritik

Er ist einer der größten Kritiker der Dämmindustrie: Dietmar Steiner, Direktor des Architekturzentrums Wien, sagt: „Maximale Dämmung und maximale Technisierung sind ein Irrweg.“ Das Abendblatt sprach mit ihm.

Hamburger Abendblatt:

Kommen Sie noch gern nach Hamburg? Die Stadt versteht sich als ein Vorreiter der energiesparenden Bauweise.

Dietmar Steiner:

Hamburg ist die schönste Stadt Deutschlands, da komme ich immer gern. Nicht nur hier, deutschlandweit gibt es eine unheilige Allianz aus Politik und Baustofflobby, die etwas Gewaltiges verspricht: Energie sparen und Heizkosten senken.

Das ist eine steile These ...

Steiner:

Das Dämmen ist eindimensional – es erinnert mich an einen Autofahrer, der aus Angst vor Winterwetter ständig mit Schneeketten unterwegs ist. Hauptsächlich handelt es sich ja um das Dämmen von Außenwänden mit herkömmlichen Wärmeverbundsystemen. Doch zu welchem Zweck? Will ich CO2 sparen, muss ich auf nachhaltige Energiegewinnung gehen; tue ich das, muss ich aber nicht mehr dämmen. Möchte ich Heizkosten senken, bin ich beim Dämmen. Aber das ist in einer Sackgasse gelandet. Wir haben in Wien eine Passivhaussiedlung gebaut und stellen dort nun fest: Passivhäuser und Niedrigenergiehäuser verbrauchen mehr Energie, weil die Menschen meinen, dass sie für Energie praktisch nichts bezahlen, und die Heizung aufdrehen.

Sind die Menschen zu dumm für die „intelligenten Häuser“?

Steiner:

Dumm sind vor allem die intelligenten Häuser und die statischen Simulationen. 70 Prozent des Energieverbrauchs hängt von den Bewohnern ab. Das wird gern übersehen. Die Passivhäuser sind mit ihrer Haustechnik in eine Dimension vorgedrungen, wie man sie vom Auto her kennt. Häuser sind doch keine Autos. Das System mit Belüftungsanlagen ist so komplex, dass es jährlich gewartet werden muss. Diese langfristigen Kosten fressen jedes Einsparvolumen auf. Hinzu kommt der erhöhte Stromverbrauch.

Was aber ist die Alternative? Der Heizenergieverbrauch soll bis zum Jahr2050 um 80 Prozent sinken.

Steiner:

Wir müssen zurück auf Los. Die Frage ist doch: Wie müssen wir bauen, damit wir uns in den Häusern wohlfühlen, ohne dass sie technisch extrem komplex werden? Es gibt Vorbilder wie das Bürogebäude 2226 in Lustenau, das ohne Heizung, Lüftung und Kühlung auskommt – mit einer ausgeklügelten Architektur, hohen Räumen, wenig Fensterraum und einer Außenwand aus Ziegeln. Das ist günstiger als jede technische Aufrüstung. Maximale Dämmung und maximale Technisierung sind ein Irrweg. Nachhaltigkeit bedeutet, Gebäude zu bauen, in denen wir noch in 100Jahren leben wollen. Dabei sollten wir die alten Werte des Bauens mitdenken.

Rotklinker verschwindet hinter Dämmplatten, Jugendstilhäuser bekommen neue Einheitsfassaden – verändern sich unsere Städte?

Steiner:

Das steht zu befürchten. Dabei sind gerade Gründerzeitbauten mit ihren dicken Wänden und Speichermassen klimatisch besser aufgestellt als die Bauten der 70er. Es bedarf einer genauen Analyse – meist genügt eine Dämmung der Decken, die bringt deutlich mehr als jede Fassadendämmung. Oft reicht das Anbringen von Fensterläden – die halten im Sommer die Hitze ab und im Winter die Kälte. Auch der Backstein ist ein großartiger Baustoff. Es ist eine architektonische Katastrophe und kulturelle Sünde, ihn hinter Wärmeverbundsystemen verschwinden zu lassen. Der Verlust der Klinkerkultur wäre eine so große kulturelle Entwurzelung, dagegen ist jeder energetische Gewinn zu vernachlässigen.

Warum ist der Denkmalschutz so zahm?

Steiner:

Jeder hat Angst, öffentlich gegen das Energiesparen einzutreten. Das gilt mittlerweile als höheres Ziel als alle kulturellen Überlegungen. Es gibt eine regelrechte Dämmungsreligion – die öffentliche Meinung und die Politik sind in Geiselhaft der Styroporindustrie.

Geiselhaft?

Steiner:

Die Förderprogramme sind das Kernproblem. In der Schweiz, in Österreich und Deutschland fließen reichlich Fördermittel, um kubikmeterweise Styropor auf die Fassaden zu kleben. Das ist eine Katastrophe, weil diese Dämmung zu 90 Prozent unsachgemäß aufgetragen wird. Wärmeverbundsysteme sind der vielleicht gefährlichste Baustoff, betrachtet man die Probleme mit Algenbildung, Ausschwemmung von Giften, der Brandgefahr. Und über die Entsorgung des Sondermülls macht sich heute auch noch keiner Gedanken. Übrigens sieht man das Dämmen außerhalb des deutschsprachigen Gebiets viel kritischer, etwa in Skandinavien oder Frankreich. Die Fenster dort sind ein Drittel so stark. Ich sitze in Wien im Beirat für den öffentlich geförderten Wohnungsbau. 99 Prozent der Wohnungen bekommen Dreifachverglasung und Wärmedämmung. Diese Ideologie der Dichte führt dazu, dass wir eigene Lüftungselemente in die Fensterrahmen einbauen. Das ist paradox.

Ist Schimmel ein typischer Begleiter von dichten Häusern?

Steiner:

Beim Schimmel gibt es mehrere Probleme. Oft werden die Häuser zu früh bezogen, wenn sie noch nicht trocken sind, das zweite ist die Dichtheit und falsches Lüftungsverhalten.

Was raten Sie den Bewohnern? Umziehen?

Steiner:

Nein, wie gesagt sind 70 Prozent abhängig vom Verhalten der Bewohner. Da sollten wir ansetzen. Wir sind eine Heizkörpergeneration, für die Wärme selbstverständlich ist. Wir müssen lernen, dass 24 Grad in allen Jahreszeiten zu viel sind – wir können auch bei 19 Grad im Winter leben – man muss ja nicht im T-Shirt durchs Haus laufen. Wichtiger und richtiger als jede Dämmung wäre eine Verhaltensänderung.