Lars Röhrig ist Anstaltsleiter in „Santa Fu“, dem berühmt-berüchtigten Gefängnis

Hamburg. Acht schwere Stahl- und Gittertüren müssen ins Schloss fallen, bevor Lars Röhrig seinen Arbeitsplatz erreicht. Vom Eingang aus braucht er gute zehn Minuten, bevor er sein Büro im zweiten Stock des rot geklinkerten Baus erreicht und hinter seinem funktionalem Schreibtisch Platz nehmen kann. „Ich gehe jedenfalls nicht ständig vor die Tür, um mir eine Tüte Haribo zu holen“, sagt er. Er hat sich Vorräte in einer Schublade angelegt.

Seit sieben Monaten ist Lars Röhrig der neue Chef einer der weltweit berühmtesten Haftanstalten: der Justizvollzugsanstalt Fuhlsbüttel, besser bekannt als Santa Fu. Doch der 43-jährige Jurist verkörpert nicht gerade den Typ des hartleibigen Anstaltsleiters. Vielmehr wirkt er wie ein moderner Manager: sportlich, einnehmendes Lachen, Dreitagebart, dezent karierter grauer Anzug, feingliedrige Hände. Lediglich das Funkgerät mit dem roten Knopf an seinem Gürtel passt da nicht so recht ins Bild. Drückt er ihn, löst er Alarm aus. Wenn ihn etwa ein Häftling angreifen würde. Denn Röhrig ist für rund 270 Gefangene, darunter 21 Sicherungsverwahrte, verantwortlich. Die schweren Jungs also. Den Knopf musste er aber noch nie drücken – bisher gab es keine brenzligen Situationen.

Hinter den hohen Mauern mit Stacheldraht sitzen die Straftäter ein, die zu Haftstrafen von mehr als drei Jahren verurteilt wurden. Sie haben geschossen, getötet, entführt, vergewaltigt. Es sind Männer, von denen viele nichts mehr zu verlieren haben. „Ich begegne ihnen freundlich, aber mit einer professionellen Distanz“, sagt Röhrig, der zuvor elf Jahre für die Hamburger Staatsanwaltschaft tätig war, unter anderem für komplexe Außenwirtschafts- und Steuerstrafsachen sowie für die Bekämpfung der organisierten Wirtschaftskriminalität. Auch im Gespräch mit einem Sexualstraftäter gilt für den Familienvater die Devise der Professionalität. „Die Tat ist präsent, aber man kann sie sich nicht immer vergegenwärtigen“, sagt er. „In der Gesprächssituation spielt sie keine Rolle.“

Seit Neuestem gibt es eine Anstaltsleitersprechstunde. Die Insassen können Röhrig einmal im Monat persönlich ihre Anliegen vortragen. „Dabei kann ich mir einen guten Überblick verschaffen, wo der Schuh im Einzelnen drückt, und dann Rückmeldungen an meine Kollegen geben“, sagt der gebürtige Bremer, der sich selbst als guten Zuhörer bezeichnet.

Es sind meist ganz alltägliche Dinge, die die Häftlinge an Röhrig herantragen. Einen zusätzlichen Besuchstag. Die Erlaubnis, Geld an die Lebenspartnerin überweisen zu dürfen. „Ich glaube, dass man so das eine oder andere schriftliche Verfahren vermeiden kann.“

Die Sprechstunde im Hafthaus ist natürlich nur eine von vielen Aufgaben, die der Santa-Fu-Chef zu erledigen hat. Er selbst sieht sich eher als Generalisten, als Manager einer Kleinstadt. In seinem Büro, in dem eine große Weltkarte, ein Kalender mit Tauchmotiven und ein Glas mit Bonbons aus seiner Heimat Bremen die einzigen persönlichen Gegenstände sind, sitze er jedoch nicht häufig. An den vergitterten Fenstern liegt das nicht – die stören ihn nicht. „Ich bin einfach nur viel unterwegs. Meine Arbeit ist von Mobilität und Flexibilität geprägt“, sagt er. Mindestens jede zweite Besprechung mit Mitarbeitern führe er vor Ort – im Hafthaus, in den Werkbetrieben oder auf dem Außengelände.

Doch ganz gleich, wo er gerade ist: Das Thema Sicherheit ist in der Knastwelt, wo eben andere Regeln herrschen, immer allgegenwärtig. „Jeder Schritt wird davon begleitet“, sagt er. Schlüssel klappern, Türen müssen geöffnet und sofort wieder geschlossen werden. Und dass er nur wenig über sein Privatleben erzählt, das hat auch mit Sicherheit zu tun, schließlich hat er einen Job, in dem er sich gefährliche Feinde machen kann. Und so spricht er nicht über Familie und auch nicht über den Stadtteil, in dem er lebt.

Jeden Tag hinter Mauern zu arbeiten, abgeschottet von der Außenwelt – das ist nicht gerade das Leben, von dem er als Jugendlicher geträumt hat. Ursprünglich wollte er Ozeanologie an der Universität Hamburg studieren. „Als Kind war Jacques-Yves Cousteau mein großes Idol“, sagt Röhrig, der momentan seinen Segelschein macht. Lange Zeit wollte er ebenso wie der weltberühmte Taucher und Abenteurer aus Frankreich Meeresforscher werden. Doch letztlich machte Röhrig das Tauchen „nur“ zu seinem Hobby und entschied sich für das Jurastudium mit den Schwerpunkten Rechtsphilosophie und Strafrecht. „Die Themen Strafrecht, Strafvollzug und die Frage, wie man mit Straftätern umgeht, fand ich von Anfang an sehr spannend.“ Und so musste Röhrig nicht lange überlegen, als ihm vergangenes Jahr der Job als Anstaltsleiter angeboten wurde.

Es klingt wirklich nicht abgedroschen, wenn der 43-Jährige sagt, dass es für ihn durchaus ein Traumjob sei, in Santa Fu zu arbeiten. „Wenn man darunter versteht, mit wenig Aufwand viel Geld zu verdienen, dann ist es kein Traumjob“, sagt er. Aber Röhrig definiert den Begriff anders: hohe Relevanz, große Verantwortung und einige Gestaltungsmöglichkeiten. „Das alles trifft auf meine Arbeit zu. Und wir haben hier ein Superteam“, sagt er. Und genau deshalb ist er von seinem Job begeistert. Dabei gibt es nur wenig, das ihn aus der Ruhe bringt. Nur eines regt ihn wirklich auf: „Wenn mir mein Gegenüber nicht zuhört und mich nicht aussprechen lässt.“

Er kann sich aber auch über sich selbst ärgern. „Ich bin vor Kurzem in Hamburgs bekanntesten Blitzer gefahren. An der Stresemannstraße.“ Dabei sei er dort schon 1000-mal entlanggeschlichen. Abgesehen von ein paar zusätzlichen Parktickets habe er jedoch eine reine Weste. „Und die Jugendsünden habe ich vergessen“, sagt Röhrig und lacht.

Nach Feierabend schiebt er seine Arbeit konsequent beiseite. Wenn er beim Laufen oder Fahrradfahren entspannt oder sich Filme im Kino anschaut („Am liebsten in Originalfassung“). Wenn er gut gemacht sei, „darf es auch ein Gefängnisfilm sein“, sagt er. Doch die Verbrechen, die seine Häftlinge begangen haben, die nimmt er nicht mit nach Hause. Die lässt Lars Röhrig hinter den Mauern von Santa Fu, sobald die letzte Tür hinter ihm ins Schloss fällt.