Eine Glosse von Alexander Schuller

Als ich neulich meinen Bekannten Paul vom Hauptbahnhof abholte und dabei auf einem praktisch verwaisten Bahnsteig 14 zufällig direkt vor dem Wagenstandanzeiger wartete, bezahlte ich meinen Standpunkt mit einem Rempler; ausgeführt von einem hektischen Reisenden mit Rollkoffer, der in mir offensichtlich eine Menschenmenge sah, durch die er sich nun durchtanken wollte, um nachzusehen, an welchem Bahnsteigabschnitt sein Waggon halten würde. Bis zur Abfahrt seines ICE blieben zwar noch zehn Minuten – Zeit genug also, um selbst den massigsten Körper zu umrunden, doch er setzte zu einem schmerzhaften Bodycheck an, den er mit dem Ruf „Antizipieren Sie gefälligst!“ garnierte.

Dieser Begriff beinhaltet, laienhaft ausgedrückt, die Fähigkeit, Geschehnisse vorauszusehen und entsprechend im Sinne des Geschehens zu handeln. Ich hätte also sehen müssen, dass er in Eile war, wäre dann antizipierend zur Seite getreten – und nichts wäre geschehen. Das leuchtete mir ein, und seitdem antizipiere ich mit Leidenschaft: Für den Weg zur Arbeit verzichtete ich aufs Auto (es ist ja nur Stau, und ich würde ein Knöllchen kassieren). Ich nahm auch nicht den Bus (weil der ja nie zu meinen Zeiten fahren würde) sowie aufs Fahrrad (da der Wind von vorn kommen würde). Zu Fuß wäre es aber auch zu weit bis ins Büro (ich würde bloß den ganzen Tag schwitzen). Also ging ich nicht mehr von zu Hause los. Das Telefon, das seit Tagen klingelt, ignoriere ich ebenfalls. Auf dem Display erscheint nämlich immer nur die Nummer des Chefs (der bestimmt keine Nettigkeiten erzählen würde). Denn ich kann ja jetzt antizipieren!