Leiche in Wohnung, Polizei vermutete „natürliche Todesursache“. Erst Gerichtsmedizin entdeckt Knebel im Hals. Kritik an Umstrukturierung im LKA

Alsterdorf. Drei Tage hatte die Frau bereits tot in ihrer Wohnung gelegen, als Streifenbeamte der Wache 34 die Tür zur Wohnung an der Alsterkrugchaussee am 11. Dezember aufbrachen und die 74-Jährige auf dem Wohnzimmerboden entdeckten. Während der Leichnam äußerlich keine Spuren von Gewalt aufwies, machte das Schlafzimmer einen „durchwühlten, durchsuchten Eindruck“, so die Polizeiakte. Lag hier ein Verbrechen vor?

Die Einsatzkräfte vor Ort schilderten den Fall telefonisch, im Polizeipräsidium wurde dann entschieden: Die Frau sei voraussichtlich eines natürlichen Todes gestorben, die Leiche könne abtransportiert werden. Dass die Rentnerin an einem Knebel im Hals erstickt war, wurde erst viel später entdeckt. Mit deutlicher Verspätung machten sich die Ermittler auf den Weg nach Alsterdorf, wichtige Spuren waren da schon vernichtet, nicht zuletzt durch den Abtransport der Leiche. Der Fall wurde bis heute nicht aufgeklärt.

Die beiden Fachdienststellen wurden zusammengelegt

Dieser bislang unveröffentlichte Fall zeigt, wie schwer es sein kann, die mögliche Todesursache oder Hinweise auf ein Verbrechen zu erkennen. Trotzdem gibt es das Fachgebiet Todesermittlung, in dem zehn ausgewiesene Experten und ein Dienststellenleiter arbeiteten, nicht mehr. Es ist in den vergangenen Monaten in die Mordbereitschaften integriert worden. Die Mordkommission im LKA ist heute eher ein „Gemischtwarenladen“, der Todesermittlung und Aufklärung von Tötungsdelikten bietet. Beamte haben völlig neue Aufgabe übernehmen müssen, die bislang nicht zu ihrem Aufgabengebiet gehörten.

Für viele Kripobeamte zeigt der Fall, wie gefährlich die aktuelle Situation in der Mordkommission ist, bei der Arbeitsüberlastung, fehlendes Expertenwissen, zu wenig Personal moniert wird. Die „Stimmung“ in der Abteilung soll auf dem Nullpunkt sein, berichten Ermittler, rund die Hälfte der 40 Beamten wolle noch die Dienststelle verlassen. Viele seien bereits gegangen.

Dass in Hamburg angesichts der aktuellen Situation ein „unentdeckter Mord“ passieren könne, werde wahrscheinlicher, behaupten Insider der Kripo. Den Grund dafür sehen sie in der laufenden Umorganisation des Landeskriminalamts (LKA), mit der auch die beiden Dienststellen Mordkommission (LKA 411) und Todesermittlungen (LKA 417) zusammengelegt wurden. Die Polizeiführung wollte sich am Freitag dazu nicht äußern.

Was angesichts der anhaltend niedrigen Zahl der Tötungsdelikte, die innerhalb der Gewaltkriminalität nicht einmal ein Prozent aller Fälle ausmachen, zunächst wie ein sinnvoller Zusammenschluss zweier ähnlicher Bereiche aussieht, erscheint Fachleuten aus dem Apparat als schwierig.

Todesermittler haben sich darauf spezialisiert, unnatürliche Todesursachen zu erkennen. Beamte der Mordkommission hingegen haben sich darauf spezialisiert, die Tat zu rekonstruieren und den Täter zu ermitteln.

72 Straftaten gegen das Leben wurden laut Polizeistatistik von der Mordkommission im vergangenen Jahr bearbeitet. In 56 Fällen waren es Delikte wie Mord, Totschlag oder Mordversuche. Getötet wurden dabei 13 Menschen. Das heißt: Rechnerisch hatte ein Beamter vor der Zusammenlegung der aus sechs Mordbereitschaften bestehenden Mordkommission statistisch gesehen „nur“ zwei Leichen vor sich. „Dabei mussten sie nicht einmal selbst erkennen, dass ein Verbrechen vorliegt. Das hatten zuvor die Todesermittler bereits getan. Die Mordkommission wurde erst danach alarmiert“, sagt ein Polizist. Zudem ist an einem Tatort der Mordkommission immer auch ein Gerichtsmediziner dabei.

Anders war es bei den Todesermittlern. Sie wurden immer dann informiert, wenn die Todesursache unklar war, wie im aktuellen Fall, oder wenn zum Beispiel der Hausarzt keinen natürlichen Tod diagnostizierte. 5580-mal war das im vergangenen Jahr der Fall. In deutlich mehr als 300 Fällen rückten sie zudem aus, um die Leichen direkt in Augenschein zu nehmen. „Ein Kollege, der das macht, kann ganz andere Erfahrungswerte vorweisen“, so der Beamte.

Heute gibt es die Todesermittler nicht mehr. Die Mordkommission besteht lediglich aus drei Mordbereitschaften mit jeweils elf Beamten. Allerdings wird eine der Mordbereitschaften im wöchentlichen Wechsel ausschließlich im Bereich Todesermittlung eingesetzt. Damit kümmern sich heute 22 statt wie früher 30 Beamte um Tötungsdelikte.

„Das Problem ist, dass Ermittler der Mordkommission Todesermittlungen machen müssen, von denen sie keine Ahnung haben. Todesermittler sollen Mordfälle aufklären, was bislang überhaupt nicht ihr Geschäft war“, so der Beamte. Erschwerend kommt hinzu: Ab 20 Uhr ermittelt gar kein Beamter der Mordkommission bei unklaren Todesfällen mehr. Dann übernimmt der Kriminaldauerdienst (KDD) die Fälle. Geschult wurden die KDD-Beamten dafür auch – wie es heißt in einem 45-Minuten-Schnellkurs. Die Ermittler der Mordkommission sollen immerhin einmalig zwei Stunden auf ihre zusätzliche Tätigkeit vorbereitet worden sein.

Der Fall der Anfang Dezember getöteten Seniorin wurde erst von Rechtsmedizinern richtig bewertet. In der Gerichtsmedizin an der Universitätsklinik Eppendorf (UKE) wurde der Knebel im Hals entdeckt, an dem die Frau erstickt war. Ein erfahrener Todesermittler hätte das wohl schon am Tatort sehen können. Wie und wo der Leichnam in der Wohnung gelegen hatte, all das wären wichtige Hinweise am Tatort gewesen, die den Hintergrund vielleicht hätten aufklären können. So aber könnten beispielsweise durch den Abtransport der Leiche durch ein Bestattungsunternehmen wichtige Spuren vernichtet worden sein. Die Polizei widerspricht nicht: „Die Ermittler hätten ausrücken müssen“, sagte Polizeisprecherin Ulrike Sweden. „So ist es falsch gelaufen.“

In der Mordkommission soll es 20 Versetzungsgesuche gebe

„Die Gefahr, ein Tötungsdelikt zu übersehen, liegt nicht in dem Bereich der Gewaltverbrechen, bei denen jemand erschossen oder blutig erschlagen wird“, sagt der Beamte. Die Gefahr bestehe bei Fällen, bei denen kleinste Verletzungen oder Anhaltspunkte für ein Tötungsdelikt übersehen würden.

Die Polizeiführung hatte ihre Umstrukturierung intern mit der niedrigen Zahl der Tötungsdelikte und dem Umstand begründet, dass jeder Kriminalbeamte „alles“ können müsse. Die Reaktion: Rund 20 Versetzungsgesuche liegen vor, etwa die Hälfte der Mitarbeiter der Dienststelle wollen nicht mehr bei der Mordkommission arbeiten.