So nennen sich die 2000 Bewohner der Fritz-Schumacher-Siedlung selbst. Ein Verweis auf die Zeit, als auf dem Areal noch ein Born, eine Quelle, war. Der Zusammenhalt ist groß. In den 1960er-Jahren verhinderten die Anwohner einen Abriss ihres Quartiers. Vierter Teil der Serie

Langenhorn. Vor dem Rundgang durch die Gartenstadt der Fritz-Schumacher-Siedlung gibt es Kaffee, Cola und Klönschnack im Konferenzraum der Geschäftsstelle an der Tangstedter Landstraße. Ein altes Foto im Flur zeigt, wer hier früher zu Hause war: eine Apotheke. Wie viele andere Einzelhändler und Handwerksbetriebe ist sie aus der Nachbarschaft verschwunden. Diese Entwicklung geht auch an einer Oase innerhalb der Großstadt nicht vorbei.

Sonst jedoch blieb eine Menge beim Alten – zum Glück und Wohlgefallen der rund 2000 Bewohner. Etwa 800 von ihnen sind Kinder und Jugendliche; darauf wird Wert gelegt. Bilder dokumentieren, dass sich seit der Siedlungsgründung 1920 im Kern äußerlich wenig verändert hat. Die Architektur der von Oberbaudirektor Fritz Schumacher entwickelten Gartenstadtanlage im Norden der Hansestadt besteht nach wie vor aus schmucken Reihen- und Doppelhäusern mit großen Gärten. Mehr als 2000, teils 90 Jahre alte Obstbäume gehören dazu.

Vor allem wurde der Charakter der Siedlung gewahrt. Gemeinschaftsgeist und nachbarschaftliche Hilfsbereitschaft, so heißt es vor Ort unisono, prägen das Dorf in der Stadt. Ein bisschen fühlt sich der Mieter wie ein Eigentümer. In der Regel ist man untereinander per Du. Siedlungsfeste, ein umfangreiches kulturelles Programm im Veranstaltungszentrum vor Ort, eine eigene „Speeldeel“ sowie eine im 94. Jahr erscheinende Zeitschrift prägen den Charakter eines grünen Biotops mit U-Bahn-Anschluss. Der Name des Magazins ist Programm: „De Börner“. So pflegen sich die Bewohner traditionell zu nennen.

Der Name ist eine Anspielung auf ein Areal, in dem Landwirte einstmals saftige Weiden und klares Wasser als Quell, also als Born eines natürlichen, zufriedenen Lebens vorfanden. Zwei Daten gelten als Meilensteine für eine unveränderte Blüte – auch im übertragenen Sinn. Der Grundstein wurde unmittelbar nach dem Ende des Ersten Weltkrieges gelegt. Unter Regie des Architekten und Visionärs Fritz Schumacher plante und realisierte Hamburg städtischen Wohnungsbau für heimgekehrte Soldaten, Kriegsversehrte und kinderreiche Arbeiterfamilien. Sie sollten eine neue Chance erhalten.

Mangels Masse, so und so, konnte der Oberbaudirektor nicht auf die von ihm sonst favorisierten roten Backsteine zurückgreifen. Als Ersatz dienten Lehm, Zement, teilweise Schutt, Stroh und ausgediente Munitionskisten. Für maximal ein halbes Jahrhundert war die Bausubstanz angelegt. Entsprechend mehrten sich Mitte der 1960er-Jahre Stimmen, die einen Abriss der Siedlung forderten.

Doch auch ein aufstrebender Sozialdemokrat namens Helmut Schmidt, der mit seiner Loki „auf der Ecke“ am Neubergerweg wohnte und Vorzüge sowie Verwurzelung der Gemeinschaft kannte, warnte davor, ein Stück Baukultur und Lebensqualität plattzumachen.

Die politische Diskussion fand ein Ende an einem für die Schumacher-Siedlung geschichtsträchtigen Tag im Mai 1990. Vor der Geschäftsstelle hielt ein Lastkraftwagen. Ausgeladen wurden bergeweise Akten. Absender war das kommunale Wohnungsunternehmen Saga, das bis dato für die Siedlung zuständig war – und damit Minus erwirtschaftete. Mithilfe des Senats wurde ein deutschlandweit einmaliges Pionierprojekt geboren: Selbstverwaltung der Mieter als Genossenschaft.

Das ist Marktwirtschaft auf kommunaler Ebene, auch wenn es anders klingt. Im Gegensatz zu früher bleibt unter dem Strich Gewinn: Vertragsgemäß fließen 25 Prozent der gesamten Nettokaltmiete an die Stadt, rund 800.000 Euro jährlich. Den überwiegenden Rest verwaltet die Siedlung selbst. 65 Prozent werden für Instandhaltung ausgegeben, acht Prozent für Verwaltung und Organisation. Die übrigen zwei Prozent dienen als Rücklagen für den Fall von Mietausfällen.

Letztlich geht die Rechnung für alle Seiten auf. Besonders für die Bewohner, denen konkurrenzlos günstige Mieten von 4,54Euro pro Quadratmeter berechnet werden – kalt natürlich.

Dieser niedrige Tarif basiert auf Wohnungen ohne Keller, Heizung und Bad; denn das musste einstmals selbst eingebaut werden. Kein Wunder, dass viele „Börner“ seit Jahrzehnten in der Siedlung verwurzelt sind. Und deren Kinder. Oder sogar deren Enkel. Nach wie vor müssen Eigenleistungen wie Außenanstrich, Fenstereinbau oder Reparaturen selbst erbracht werden.

Im Moment stehen 600 Interessenten auf der Warteliste. Allerdings werden pro Jahr im Schnitt nur 15 bis 20Wohnungen frei. Vergeben werden sie an Bewerber unter 40 Jahren oder Eltern mit Kind. Einmal jährlich tagt eine Generalversammlung. Die Geschäftsführung des Wirtschaftsunternehmens Genossenschaft eG übernehmen drei Vorstandsmitglieder, die von einem siebenköpfigen Aufsichtsrat kontrolliert werden. Alles hat seine Ordnung. Hinzu kommen zwei Mitarbeiterinnen im Büro.

Für den Sommer ist ein Kinderfest mit Blockwagen-Umzug geplant

Genug geredet über die Grundlagen, jetzt folgt der praktische Teil. Die drei Herren des Vorstands bitten zum Rundgang durch die Siedlung. Uwe Baumgarten, 65 Jahre alt und selbstständiger Kaufmann, kennt jeden Meter. 1920 war seine Großmutter Bewohnerin der ersten Stunden. Heutzutage gehören die Enkel Annika und Till in sechster Generation dazu. Bernd Brunhöver, 76, und früher Verwaltungsangestellter in der Innenbehörde, zog 1952 mit seinen Eltern zu. Finanzvorstand Ernst Lautenschläger, 66, zählt quasi zu den Novizen: Er ist „erst“ seit 1977 Mieter. Ehefrau Ulrike wurde in der Siedlung geboren. Ihre Großeltern zogen schon 1920 ein.

Bei jedem Schritt offenbaren sich Detailwissen, aber auch Bodenständigkeit und Herzblut. Passanten werden mit Vornamen und einem kurzen Schnack begrüßt. Alles macht einen sauberen, akkuraten und liebevoll gepflegten Eindruck. Über die Kirschallee führt der Weg zum gelb angestrichenen Herzstück der Gemeinschaft: Vor acht Jahren wurde das ehemalige Siedlungskino zum Börner Kulturhaus umgebaut. Ein buntes Programm des gemeinnützigen Vereins „Kultur-Mix“ lockt Gäste aus der gesamten Region an. Hier legt auch die seit drei Jahrzehnten in der Gemeinschaft beheimatete Börner Speeldeel mit Theater op Platt lustvoll los. Am 25. April steigt die Premiere eines neuen Stücks.

Im Sommer wird ein großes Kinderfest organisiert, Blockwagen-Umzug, Festplatz und Jazz-Frühschoppen für die Großen inklusive. Dieses Vergnügen zählt zum guten Börner-Ton wie der Siedlerball immer im November. Mancher tanzt seit Jahrzehnten mit. Denn wer nicht mag, muss nicht fortziehen. Aus eigenen Mitteln wurde am Kastanienhof ein Seniorenstift errichtet. Es ist wahrlich nicht luxuriös, aber solide. Das passt ins Bild.