Putin sieht sich in der Ukraine im Recht – und hat kaum Sanktionen zu befürchten

Jeder Vergleich mit den Nazis, deren Truppen im Zweiten Weltkrieg bis zu 27 Millionen Sowjetbürger töteten, ist in der russischen Politik ein Argument von geradezu vernichtender Wucht. Indem Kreml-Chef Wladimir Putin die ukrainische Rebellion in die Nähe des NS-Politikers und SA-Chefs Ernst Röhm und seinen Schlägerbanden rückte, ließ er keinen Spielraum zur abweichenden Interpretation mehr. Für Putin sind die Vorgänge in Kiew ein illegaler Staatsstreich, dessen desaströse Folgen es einzudämmen gilt – notfalls mit militärischen Mitteln. Der ehemalige KGB-Agent zeigte sich in seinem Fernsehauftritt gänzlich ohne jedes Unrechtsbewusstsein.

Für die Bewältigung der schwelenden ukrainischen Krise bedeutet dies nichts Gutes. Vor allem nicht, dass Putin anklingen ließ, es wäre durchaus „legitim“, notfalls Truppen in die Ukraine zum Schutz der dortigen Russischstämmigen zu entsenden. Wladimir Putin weiß genau, dass der Westen ihm allenfalls ein Gebiss zeigen, aber kaum damit zubeißen kann. Wer jetzt vollmundig Wirtschaftssanktionen gegen Moskau fordert, übersieht, dass die zu erwartenden Gegenmaßnahmen Europa – Deutschland vor allem – kaum weniger schaden würden als Russland. Dabei geht es um enge wirtschaftliche Verflechtungen, um die Investitionen vieler deutscher Firmen in Putins Reich. Und natürlich vor allem um die gegenseitige Abhängigkeit vom Gas.

Der Westen muss dieses Gas abnehmen – und Putin muss es verkaufen; die russische Wirtschaft schwächelt. Selbst hartgesottene Neokonservative in den USA fordern jetzt keine militärischen Schritte des Westens. Angesichts der russischen Atomwaffen und der russisch-chinesischen Achse wäre dies auch die Einladung zu einem globalen Totentanz. Geschickt verweist der neue Zar darauf, dass das Mandat der amtierenden ukrainischen Regierung auf recht schwachen Füßen steht. Zudem ist die Scharfmacherei ukrainischer Nationalisten wenig hilfreich. Und Putin zeigt genüsslich auf die zahlreichen Interventionen der USA in ihrem „Hinterhof“ zum Sturz von unliebsamen Regimen – ob in Grenada und Panama mit Militär oder in Chile und anderswo per Geheimdienst. Wenn Putin allerdings anführt, die „Rechtskultur“ sei durch die Revolte in Kiew verletzt worden, ist dies angesichts der russischen Intervention blanker Zynismus. Und er verfolgt unbeeindruckt eine beinharte Interessenpolitik. Die Krim mit dem strategisch wichtigen russischen Kriegshafen Sewastopol hat er bereits de facto von der Ukraine abgespalten und könnte diesen Schritt per Referendum von der mehrheitlich prorussischen Bevölkerung absegnen lassen. Als Vorbild könnten die Regionen Abchasien und Südossetien dienen, die Russland per Krieg aus Georgien herausgebrochen und zu souveränen Staaten erklärt hat.

Putin benötigt die Ukraine als Puffer zum Westen und als entscheidendes Scharnier in seiner „Eurasischen Union“, die als „UdSSR light“ ein russisch dominiertes Gegenstück zur EU werden soll. Doch die Frontlinien verlaufen nicht nur zwischen Putin und dem Westen, sondern auch quer durch die Ukraine. Jeder militärische Übergriff kann einen Bürgerkrieg auslösen. Eine Abspaltung der Krim mag noch angehen, aber eine Aufteilung der Ukraine würde weit mehr langfristige Risiken schaffen als kurzfristige beseitigen.

Dem Westen bleiben derzeit wenig mehr als symbolische Unmutsgesten. Er ist obendrein gefordert, in engem Dialog mit Putin zu bleiben, um eine dramatische Eskalation zu vermeiden, die darin bestehen könnte, dass Moskau nach der ganzen Ukraine greift. Dennoch hat sich Wladimir Putin politisch gesehen ins Knie geschossen – sein rüdes imperiales Vorgehen werden die USA und die EU wieder enger zusammen- und Osteuropa noch weiter von Russland abrücken lassen.