In Wandsbek informiert Sozialbehörde Anwohner bei Infoabend

Wandsbek. Alleinstehende Männer in Sammelunterkünften sind das Schreckgespenst der Nachbarn. Mit der Flasche in der Hand, gaffend, gern mal etwas lauter und durchaus interessiert an Kontakten zum weiblichen Geschlecht. Doch die Klischeefigur des Krakeelers aus den Vorabendserien lässt sich so gar nicht zusammenbringen mit den Flüchtlingen, die neben die Grundschule Bovestraße und das Charlotte-Paulsen-Gymnasium in die weißen Satteldachhäuser ziehen sollen.

„Da kommen völlig unverdächtige Leute mit einer teilweise sehr langen Fluchtgeschichte, die einfach irgendwo andocken und sich etwas aufbauen wollen“, sagt Svenja Gugat von der Sozialbehörde. Die Polizei melde keinerlei Auffälligkeiten aus Flüchtlingsunterkünften. Trotzdem wünschen sich die Anwohner und Nachbarn der geplanten „öffentlichen Unterbringung“ Bahngärten 11 am S-Bahnhof Wandsbek, dass nur Familien einziehen. Sicher ist sicher. 140 Flüchtlinge und Wohnungslose werden kommen.

Die Sozialbehörde hält sich bedeckt. Die Belegung von Einrichtungen sei nicht planbar. „Die Not ist zu groß. Wir suchen händeringend Quartiere, um nicht Zelte aufstellen zu müssen“, sagt Gugat, „wir reagieren nur.“ Die Schulen wollen „Gelingensbedingungen“ formulieren für eine gute Nachbarschaft, eine gute Integration. Schulen und Eltern auf der Informationsveranstaltung am Charlotte-Paulsen-Gymnasium wollen planen können, sie suchen Verlässlichkeit. Gugat versteht, kann das aber nicht bieten. Erst einmal will sie einquartieren, gucken und gegebenenfalls ein bisschen nachsteuern. Mehr kann sie nicht leisten.

Wer hilft den Neuankömmlingen mit den Ämtern? Wer hilft ihnen, die Traumata von Krieg und Flucht zu überwinden? Vor Ort kommt ein Betreuer auf 80 Personen. Die Sozialbehörde spricht deshalb von „Verweisberatung“. Im Klartext: Hilfesuchenden wird eine Adresse genannt, die Hilfe gewähren könnte. Das betrifft auch das Ausfüllen deutscher Formulare. „Zuständig ist die Behörde, aus der das Formular stammt“, sagt Gugat. Wohl dem, der das herausfinden kann.

Im Schnitt sind 20 Prozent der Neuankömmlinge Kinder. Wer beschult sie? Vorschulkinder und Kinder der 1. und 2. Klasse werden ins kalte Wasser geworfen und direkt in die Klassen ihrer Jahrgänge gegeben. Ihnen traut man den schnellen Spracherwerb zu. Ab dem achten Lebensjahr werden die Flüchtlingskinder ein Jahr lang in eigens eingerichtete Integrationsklassen gegeben, die im ersten halben Jahr Deutsch vermitteln und im zweiten Halbjahr an den Unterrichtsstoff heranführen. Sie haben 15 Schüler und werden an Grundschulen oder Stadtteilschulen eingerichtet. Nach Ablauf des Jahres kommt die Überführung in die Regelklassen oder gegebenenfalls in die wohnortnahe Schule.

Die bestehenden drei Integrationsklassen im Einzugsgebiet aber sind voll. Die Schule Bovestraße platzt aus allen Nähten und hat schon 24 statt 23 Schüler in ihren ersten Klassen. Die Eltern glauben, dass mehr als ein Flüchtlingskind pro Klasse die Integration massiv erschwert. Wo könnten die Kinder unterkommen? Ist die Begrenzung der Schülerzahl für Flüchtlingskinder aufgehoben? Gugat weiß es nicht. Die Schulbehörde sei bisher nicht befasst worden mit den Flüchtlingsproblemen. Gugat will das ändern und die offenen Fragen „mitnehmen“ in die Behörde.

Der Elternrat der Schule Bovestraße war schneller. Er hat in einem Brief an Schulsenator Ties Rabe darum gebeten, zusätzliches Geld und Personal für die Beschulung der Kinder bereitzustellen. Die Schulbehörde hat jetzt zum Gespräch eingeladen.

Gibt es Aufenthaltsräume für die Flüchtlinge in den Bahngärten? An der Litzowstraße, knapp zehn Gehminuten von den Bahngärten entfernt, leben seit Januar 110 Flüchtlinge in sehr beengten Verhältnissen und ohne Aufenthaltsraum. Jeweils zwei Leute teilen sich ein Zwölf-Quadratmeter-Zimmer mit Betten, Stahlspinden, Tisch und Stühlen. Die Außenanlage ist eine Baustelle. Ein „Freundeskreis Litzowstraße“ hat sich schon gebildet, der gern auch in der Unterkunft regelmäßig präsent und ansprechbar wäre. Aber es gibt keinen Raum dafür. „Wir haben eher zufällig Kontakt zu einzelnen Familien geknüpft“, sagt Alexander Weil vom Freundeskreis. Wird man aus diesen Erfahrungen lernen und es besser machen an den Bahngärten?

Ende März gibt die Hamburger Arbeit Beschäftigungsgesellschaft mbH (HAB) ihr Gelände an den Bahngärten auf. Die HAB schrumpfte in den vergangenen Jahren von über 200 auf jetzt um die 70 Mitarbeiter und will sich verkleinern. Nach einer kurzen Umbauphase sollen die eingeschossigen Gebäude auf dem 5927 Quadratmeter großen Grundstück für die 140 Flüchtlinge und Wohnungslosen hergerichtet werden. In erster Linie müssen sanitäre Einrichtungen und Gemeinschaftsküchen nachgerüstet werden.

Im Oktober sollen die ersten Bewohner einziehen. Dass das Gelände zu den Schulen hin offen ist und die Kinder auf ihren Wegen zum Bahnhof direkt an den Fenstern der Noch-Büros vorbeilaufen, ist Gugat neu. Das könnte die Kinder stören, aber auch die Flüchtlinge. „Wir haben das Gelände ja noch nicht“, entschuldigt Gugat ihre mangelnde Ortskenntnis. Wieder ein Problem zum „Mitnehmen“ in die Behörde. Auch die Raumfrage bewegt sich im Diffusen. Architektenpläne wären etwas zum Mitbringen gewesen.

Die Grundstücksgröße von 5927 Quadratmetern macht die Anwohner stutzig. Könnten die Behörde da nicht auf die Idee kommen, noch wesentlich mehr Menschen unterzubringen? Plötzlich ist es wieder da, das Schreckgespenst aus der Vorabendserie, und winkt mit der Schnapsflasche. Gugat trinkt Wasser. „Auf keinen Fall“, sagt sie und bietet an, sie im Falle des Falles persönlich zur Rechenschaft zu ziehen.