Immer mehr Asylbewerber kommen nach Hamburg. Mahmoud Barakat ist einer von ihnen. Wie der Palästinenser und andere Menschen mit ungeklärtem Aufenthaltsstatus leben. Eine Reportage aus dem Pavillondorf Sülldorf

Wieder kein Brief. Der junge Mann mit den sanften braunen Augen lächelt, versucht, die Enttäuschung zu verbergen. Ja, gern könne man über ihn schreiben, sagt er und setzt sich an den Holztisch im Postraum. Rundherum sind etliche kleine, weiße Briefkästen an den Wänden angebracht. Wie die Waben eines Bienenstocks. Mahmoud Barakat steht auf seinem, viele solcher arabisch klingenden Namen liest man auf den Kästen hier im Verwaltungspavillon des Sülldorfer Flüchtlingsdorfs. Ganz im Westen Hamburgs, dort wo die Stadt schon wieder Land ist, stehen die 14 Holzhäuser hinter Bahnschranken am Rand einer Pferdeweide. Seit den 90er-Jahren schon sind hier Flüchtlinge und auch Obdachlose einquartiert. Jetzt soll nebenan ein weiteres Pavillondorf gebaut werden. Wie schon vor 20 Jahren steigen in Hamburg die Zahlen wieder steil an: Noch 2009 musste Hamburg knapp 770 Menschen neu aufnehmen, die Asyl suchten, 2013 waren es rund 3600.

Gut 11.000 Menschen hat die Stadt bereits untergebracht, die meisten sind aus den Krisengebieten dieser Welt gekommen, aus Afghanistan, aus Syrien, aus dem Irak. Rund 3000 sind aber auch Obdachlose, darunter einige Arbeitsimmigranten aus Südosteuropa. 1200 Plätze in öffentlichen Unterkünften fehlen aber immer noch in der Stadt, hat die Sozialbehörde ausgerechnet. In vielen Stadtteilen beherrscht die Bezirkspolitik daher gerade die Diskussion um neue Standorte wie in Sülldorf.

312 Menschen wohnen derzeit in der städtischen Unterkunft, die meisten wie Mahmoud Barakat, 32, sind bei den Behörden als Menschen mit ungeklärtem Aufenthaltsstatus geführt. Asylbewerber, Kontingentflüchtlinge, abgelehnte, aber geduldete Asylbewerber – das deutsche Recht kennt viele Bezeichnungen. Der Palästinenser Barakat hängt schon seit Jahren in einer solchen Duldungsschleife. Er überrascht mit einem fast akzentfreiem Deutsch. Als Kind ist er bereits nach Deutschland, nach Hagen, gekommen, erklärt er. Mit 15 schickten ihn die Eltern zurück, damit er die Muttersprache lernt. Asylbewerber dürfen aber nicht zurück ins Ursprungsland, verwirken so ihren Status. „Das wussten wir nicht“, sagt er.

Er reiste schließlich zu den Großeltern in den Libanon, erlebte die Grauen des Bürgerkriegs, gelangte nach Schweden, dann nach Holland, wieder nach Deutschland. Eine Odyssee, jetzt wartet er auf das Ende seines Asylverfahrens, das in Deutschland auch schon einmal zwei Jahre dauern kann. Arbeiten darf er in dieser Zeit nicht. Verreisen zu seinen Eltern, die nun in Holland leben, auch nicht. Warten, Nichtstun – das macht müde, sagt er. Nur der tägliche Deutschkursus gibt dem Leben Struktur. Obwohl er bereits die Sprache so gut spricht, geht er jeden Tag dorthin. Wie zu einer Arbeit.

Gleich neben dem Postraum liegt das Büro des Dorfes. Holger Norton arbeitet dort schon seit Jahren, ein kräftiger, sportlicher Mann, der sich mit den Bewohnern duzt, wenn sie Münzen für die Waschmaschinen holen, sich über Kurse oder Beratungstermine informieren. Oder, wenn sie die Miete zahlen. So wie der 52-Jährige aus Bangladesch mit den schütteren Haaren, der an diesem Morgen Norton gegenübersitzt. Schon als junger Mann musste er fliehen. „Aus politischen Gründen“, wie er sagt. Lange hat er auf sein Verfahren gewartet. „Verlorene Jahre“, sagt er. Jetzt ist er geduldet und darf arbeiten, allerdings nur, wenn für den Job kein deutscher oder europäischer Bewerber gefunden werden konnte. So soll der Missbrauch von Asylrecht verhindert werden. Er besteht darauf, diesen Monat noch nicht bezahlt zu haben, und reicht Norton 133 Euro – für seinen Platz in den hier üblichen Zweibettzimmern, in denen die Menschen leben. Küche und Bad teilen sich zwölf Bewohner.

Flüchtlingen, die nicht arbeiten dürfen, zahlen die Behörden die Unterkunft und geben den Hartz-IV-Satz von rund 390 Euro für den Lebensunterhalt. Einige der geduldeten Flüchtlinge verdienen aber auch ein wenig Geld. Als Spüler im Restaurant oder als Zeitungsausträger. Auch wenn das schmale Gehalt auf die Unterstützung angerechnet wird, sei den Menschen ein solcher Job sehr wichtig, sagt Norton und lädt zu einem Rundgang ein.

Die zweistöckigen Holzhäuser wirken jetzt kurz vor Mittag wie eine schlichte Feriensiedlung in der Nachsaison. Aufgeräumt, sauber gefegt, verlassen. Nur hin und wieder ist jemand zu sehen, der über die Wege eilt. Spärlicher Rasen wächst zwischen den Pavillons mit der freundlichen gelben Farbe, ein paar einsame Schaukeln und Tischtennisplatten stehen dort, einige Büsche. Die etwa 20 Kinder sind jetzt in der Kita oder in der Schule, sagt Norton. Und die Erwachsenen bei ihrer Arbeit, oder sie lernen in Deutschkursen. Viele gehen schnell aufs Zimmer, wenn sie zurückgekommen sind, sagt Norton. Manchmal ist es einfach Angst, erklärt ein 52 Jahre alter Iraner später den Reportern, nicht, ohne sich vorher mehrfach umgeschaut zu haben. Man erzähle sich im Dorf von Spionen aus den Herkunftsländern. Von Spitzeln, die auf politische Äußerungen achten und so Verwandte zu Hause in Gefahr bringen könnten. Iraner meiden daher Iraner, Syrer Syrer, sagt er.

Vor der Bedrohung konnten die Menschen fliehen, vor der Angst noch nicht.

In den kleinen Schuppen zwischen den Häusern haben die Bewohner einige große Kartons abgestellt, in manchen steht ein altes Mofa, meist mit Zeitungsausträgertaschen. Sie gehören denen, die es mit kleinen Jobs schon geschafft haben, sich die erste Stufen eines neuen, eigenständigen Lebens aufzubauen, erzählt Norton. „So ein Mofa ist dann der ganze Stolz“, sagt er.

Am Nachmittag schlendern dann doch mehr Bewohner zum Gemeinschaftspavillon. Afrikanische Mütter mit kleinen Kindern, junge Männer, alte Männer, Frauen, auch kleine Familien. Mitglieder des Runden Tisches Blankenese sind gekommen, meist ältere Bürger aus der Nachbarschaft, die sich seit Jahren schon für das Dorf engagieren. Schularbeitenhilfe, Kleiderkammer, gemeinsames Kaffeetrinken – das bieten sie hier jeden Dienstag und Donnerstag. Die verlassene Stille im Dorf ist dann zumindest im Gemeinschaftshaus verschwunden. Man trinkt gemeinsam Kaffee und isst Kuchen. Es wird gescherzt, man hört Lachen, Kindergeplapper, Tassenklappern. Selbst die junge Männer mengen sich unter die Familien und Alten. Eine ganze Gruppe ist gerade aus Syrien und Afghanistan angekommen und wohnt nun am Eingang in eilig aufgestellten Not-Containern. Eine „Power-Gruppe“, die ihre geringe Chance nutzen wolle und sich besonders emsig in den Deutschkursen engagiere, sagt Helga Rodenbeck, die den Runden Tisch mitgegründet hat

Vor dem Haus werden Lebensmittelspenden verteilt. Zwei Frauen freuen sich sichtlich über die ungewohnten Blumen, die diesmal dabei sind. Die beiden kommen aus Afghanistan und dem Iran. 14 Jahre habe sie ihren Mann schon nicht gesehen, den die Taliban geholt hätten, sagt die 40 Jahre alte Afghanin, die mit drei Kindern geflüchtet ist und nun stolz von deren guten Schulnoten berichtet. Die junge Iranerin ist allein geflohen. Sie trägt die Haare offen, ist geschminkt. Warum sie hier ist? „Im Iran kann man nicht frei leben“, sagt sie. Und ihre Hoffnung? Ein richtiges Leben in Deutschland, sagen beide. Der tägliche Deutschkurs ist auch für sie der erste Schritt dorthin. Die Stufe B1 für eine einfache Konversation im Alltag haben sie bereits erreicht, nun arbeiten sie an der nächsten. Wie und wann es weiter geht mit ihrem Asylverfahren, wissen sie nicht. Das entscheiden andere. Da bleibt nur das Warten.