Sulaiman S. wurde in Hamburg angeklagt. Fahnder suchen ihn in der Türkei. Er soll sich 2009 al-Qaida angeschlossen haben

Hamburg. Im März 2009 hatte Sulaiman S. Deutschland verlassen. Damals brach er mit dem Flugzeug auf – in Richtung Pakistan. Jetzt wirft die Generalstaatsanwaltschaft dem 27 Jahre alten Mann vor, dass er sich im Grenzgebiet zu Afghanistan zuerst der militanten Gruppe Islamische Bewegung Usbekistan (IBU) und dann auch dem Terrornetzwerk al-Qaida angeschlossen hat. Seit Ende Januar steht der in Afghanistan geborene Sulaiman S. als Angeklagter vor dem Hanseatischen Oberlandesgericht in Hamburg.

Doch unmittelbar vor dem vierten Verhandlungstag am heutigen Donnerstag hat er sich nach Informationen des Abendblatts gemeinsam mit seiner Ehefrau in die Türkei abgesetzt. Zielfahnder des Landeskriminalamts suchen nach dem Paar. Die Sprecherin des Gerichts bestätigte am Mittwoch, dass gegen Sulaiman S. ein Haftbefehl vorliegt. Der Angeklagte hatte zu Beginn des Verfahrens die Vorwürfe abgestritten. Er sei niemals in einem Terrorcamp in Pakistan gewesen.

An allen drei Verhandlungstagen war der Angeklagte bisher vor Gericht erschienen. Er saß während des Prozesses nicht in Untersuchungshaft. Ein Haftbefehl wurde vor Prozessbeginn von der Staatsanwaltschaft nicht beantragt. Somit bestand für den Angeklagten Reisefreiheit, es gab keine gerichtlichen Auflagen wie etwa eine Meldepflicht. Nach Informationen des Abendblatts sollen die Sicherheitsbehörden aus dem privaten Umfeld des Angeklagten von dessen Ausreise erfahren haben. Die Hamburger Staatsanwaltschaft erklärte, man habe bisher nicht ausreichend Indizien für „Haftgründe und eine mögliche Fluchtgefahr“ gesehen. Der Angeklagte sei in Deutschland aufgewachsen, hier sozialisiert. Auch seine Geschwister und Eltern leben in Hamburg. Zudem ist laut Staatsanwaltschaft die erwartete Strafe für eine mögliche Beteiligung in den Terrorcamps von al-Qaida „nicht so hoch“ gewesen, dass allein dies eine Fluchtgefahr begründet hätte.

Nun aber hat sich Sulaiman S. offenbar abgesetzt. Laut Plan soll heute vor dem Oberlandesgericht ein Sachverständiger über die terroristischen Vereinigungen IBU und al-Qaida referieren. Die Frage ist, ob der Prozess möglicherweise ohne die Anwesenheit des Angeklagten weitergeführt wird, denn die Behörden rechnen nicht mit seiner Rückkehr. Sein Anwalt sagte dem Abendblatt, dass er prüfen wolle, ob der Prozess ohne seinen Mandanten fortgesetzt werden könne.

In Paragraf 231 der Strafprozessordnung heißt es, dass die Verhandlung ohne den Angeklagten weitergehen könne, „wenn er über die Anklage schon vernommen war und das Gericht seine fernere Anwesenheit nicht für erforderlich erachtet“. Die Anklage war am ersten Prozesstag verlesen worden.

Laut Staatsanwaltschaft soll Sulaiman S. von den Terrorgruppen in Pakistan auch an der Waffe ausgebildet worden sein. Im März 2009 war er nicht alleine aufgebrochen: Mit ihm reisten mehrere Personen aus, auch sein älterer Bruder Ahmad Wali S. – die sogenannte „Hamburger Reisegruppe“. Durch seinen Bruder soll sich der jüngere Sulaiman radikalisiert haben. Sie besuchten regelmäßig die Hamburger Al-Kuds-Moschee, in deren Umfeld sich auch die Attentäter vom 11. September 2001 bewegt hatten.

Sulaiman S. kam mit seiner Familie nach Deutschland, als er drei Jahre alt war. Irgendwann in der Pubertät verlor er den Anschluss an die Gesellschaft. Erst gab es Probleme in der Schule, er hatte Depressionen. Dann suchte er Zuflucht in Drogen. Offenbar war Sulaiman S. erst kurz vor der Abreise Teil des Plans, den der Bruder mit einem Verbindungsmann in Pakistan ausgearbeitet haben soll. Dies zeigten die bisherigen Vernehmungen.

Ahmad Wali S. war 2012 zu sechs Jahren Haft verurteilt worden. Er galt als wichtiger Kontaktmann von al-Qaida in Europa. Allerdings hatte ihm das Gericht seine Inhaftierung unter teilweise menschenunwürdigen Bedingungen in einem US-Gefängnis in Afghanistan angerechnet. Dort saß der ältere Bruder in Haft, bevor ihn die Amerikaner nach Deutschland auslieferten.

Der Prozess gegen den jüngeren Bruder soll klären, ob dieser in den „Heiligen Krieg“ ziehen wollte. Konkrete Anschlagspläne von ihm gab es keine, und auch an Kampfhandlungen hat er sich offenbar nicht beteiligt. Laut Staatsanwaltschaft soll er in einem Propagandavideo der Terroristen mitgewirkt haben, das später ins Internet gestellt wurde. Ein psychiatrischer Gutachter hatte am vergangenen Verhandlungstag erklärt, Sulaiman S. sei voll schuldfähig. Es sei fraglich, dass der Angeklagte – wie von ihm selbst behauptet – jemals an einer schizophrenen Psychose gelitten habe. Dem Angeklagten droht eine Haftstrafe zwischen einem und zehn Jahren. Ursprünglich wollten die Richter schon Ende Februar ein Urteil verkünden.