Die Aufklärung des Todes von Yagmur darf nicht von Wahlkampfkalkül bestimmt werden

Es steht außer Frage, dass die Umstände und die Behördenfehler, die zum Tod der dreijährigen Yagmur geführt haben, restlos geklärt werden müssen. Stirbt ein Kind, noch dazu, wenn es seit seiner Geburt in staatlicher Aufsicht war, kann niemand zur Tagesordnung übergehen. Doch kann der Parlamentarische Untersuchungsausschuss, den CDU, Grüne und FDP nun vereint einsetzen wollen, diesem Ziel wirklich gerecht werden?

Zweifel sind angebracht. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass dieser Ausschuss auch vor dem Hintergrund des Wahlkampfs zu sehen ist, der spätestens in der zweiten Jahreshälfte heraufziehen wird. Ob dies nun das Kalkül der Opposition ist oder nicht: Wenn Woche für Woche im Rathaus – auch öffentlichkeitswirksam – um die Fehler gerungen wird, die den Behörden im Fall Yagmur unterlaufen sind, dürfte die Aufklärung im parteitaktischen Gezerre untergehen. Eine vorbehaltlose Mitwirkung an der Suche nach der Wahrheit ist von der SPD, die im Senat und in den beteiligten Bezirken die Verantwortung trägt, in Wahlkampfzeiten kaum zu erwarten. Allein die Vorstellung aber, dass die Ergründung der Todesumstände eines Kindes vom Wahlkampfgetöse überlagert wird, ist schwer erträglich.

Die Untersuchung dieses Todesfalls greift ohnehin viel zu kurz, denn er ist eben kein Einzelfall. Michelle, Jessica, Lara Mia, Chantal und zuletzt Yagmur: In den vergangenen zehn Jahren sind fünf Kinder in Hamburg gestorben, auch weil Behörden versagten. Jedes Mal versprach der Senat besseren Kinderschutz – ganz unabhängig davon, wer gerade regierte. Jedes Mal suchten die Verantwortlichen eilig nach der jeweiligen Lücke im System, durch die das Kind gerutscht war, und versuchten, dieses Loch zu schließen. Bei Jessica war es 2005 die versäumte Schulpflicht der Siebenjährigen, auf deren Einhaltung nun stärker geschaut wird. Nach dem Tod Lara Mias 2009 wurde das neue Computerprogramm Jus-it entwickelt, das alle Akteure der Jugendhilfe besser vernetzen soll. Chantal starb 2011 in ihrer Pflegefamilie an einer Methadonvergiftung, ihr Tod rückte die Auswahl und Kontrolle von Pflegefamilien in den Fokus. Dieser Blickwinkel erwies sich bei Yagmur Ende vergangenen Jahres womöglich als fatal, denn das Kind wurde seiner Pflegemutter weggenommen und starb schließlich in seiner leiblichen Familie – vermutlich totgeprügelt vom eigenen Vater. Der christdemokratische Bürgermeister Ole von Beust hatte versprochen, dass kein Kind in Hamburg durchs Rost fallen sollte. Auch mit den Grünen an seiner Seite in der Regierung konnte er nicht verhindern, dass es dennoch wieder geschah. Das allein zeigt, wie wenig sich das Thema für gegenseitige parteipolitische Schuldzuweisungen eignet.

Weil er eben kein Einzelfall ist, darf nicht nur der Tod Yagmurs untersucht werden – das Jugendhilfewesen an sich muss auf den Prüfstand. Neben dem Untersuchungsausschuss war im Rathaus in den vergangenen Tagen auch die Einsetzung einer Enquetekommission in der Diskussion. Sie wäre das sehr viel bessere Instrument, um den Problemen im Jugendhilfewesen wirklich auf den Grund zu sehen – der Frage nach Standards und Leitlinien, einer besseren Vernetzung und wirksamen Kontrollen, nach der Ausstattung der Jugendämter und der möglichen Überforderung der Mitarbeiter, nach dem Stellenwert von Kinderrechten. Und anders als ein Untersuchungsausschuss, der sich vor allem nach Fehlern der Behörden sucht, eröffnete eine Enquetekommission den Raum für eine wirklich konstruktive Suche nach einem besseren Jugendschutz, hinter dem sich am Ende möglichst viele Parteien versammeln können. Wie ein Meilenstein, der Orientierung bietet, egal wer gerade regiert. Mit der Enquetekommission zur Schulpolitik ist dies vor Jahren weitgehend gelungen. Der Schutz der Kinder ist zu wichtig, als dass diese Chance vertan werden darf.