Die deutschen Soldaten leiden nicht nur an schlechter Vereinbarkeit von Familie und Beruf.

„Strukturen brausen um die Wette/von eins nach zwei, von drei nach vier/und bilden schließlich eine Kette/tiefster Verwirrung ringsumher“ hat Mitte der 80er-Jahre schon ein genervter Heeresoffizier gereimt. Die Reformitis hat bei der Truppe seitdem nicht nachgelassen. Im Gegenteil, mit den historischen Umbrüchen seit 1989/90 gab es gute Gründe und dringenden Bedarf für Neuausrichtung und neue Strukturen. Nur eine Konstante blieb: Keine der angefangenen Reformen wurde jemals bis zum Ende durchdekliniert. Was zur Folge hat, dass Unruhe und Unzufriedenheit zum Dauerzustand in der Bundeswehr geworden sind. Der Wehrbeauftragte des Bundestages kann alljährlich ein langes und trauriges Lied davon singen – ohne dass sich bisher etwas grundsätzlich zum Besseren wendet.

Dabei wurden bei der vorerst letzten Neuausrichtung der Bundeswehr zumindest theoretisch Sinn und Zweck der Truppe neu definiert: Nicht aus finanziellen Zwängen, sondern aus den sicherheitspolitischen Anforderungen sollte er hergeleitet werden. Die Bundeswehr müsse zur Übernahme von Führungsverantwortung befähigt sein. Zudem wird die Befähigung zum Kampf als der entscheidende Maßstab für die Einsatzbereitschaft herausgestellt. Statt bislang 7000 sollen jetzt 10.000 Soldaten zeitgleich für internationale Einsätze zur Verfügung stehen. Bei einer Truppenstärke von gut 180.000 Mann immer noch keine berauschende Quote. Und auch die ist schwer zu erreichen. Die Armee fühlt sich überfordert; und selbst eine Aufstockung des Mali-Kontingents um sage und schreibe 70 bis 80 Soldaten gerät zur großen sicherheitspolitischen Diskussion und zur militärischen Herausforderung.

Das ist kein Wunder. Denn in der Praxis ist die Politik noch weit davon entfernt, die selbst gesteckten theoretischen Ziele umzusetzen. Noch immer macht sie die Truppe hauptsächlich zum mit sich selbst beschäftigten Verwaltungsorganismus. Die tatsächlich im Einsatz befindlichen Einheiten klagen dafür über mangelnde Ausrüstung – was nicht weniger als Menschenleben kosten kann – und über zu lange oder zu schnell wiederkehrende Auslandseinsätze. Seit der Aussetzung der Wehrpflicht mangelt es zudem an niederen Dienstgraden.

Die Ankündigung der neuen Verteidigungsministerin, erst einmal für mehr Kinderbetreuung und insgesamt eine bessere Vereinbarung von Beruf und Familie sorgen zu wollen, ist gewiss gut gemeint, sicherlich auch irgendwo wichtig und entspricht ihrer bisherigen politischen und beruflichen Qualifikation. Natürlich haben auch Soldaten ein Recht auf eine Familie und die Familien Anspruch auf eine halbwegs gesicherte Lebensplanung. Ständige Standortwechsel – ob nun aus Gründen des Strukturwandels oder wegen der bisher üblichen Laufbahnanforderungen – können gewiss minimiert werden. Weniger persönlicher und familiärer Stress stärkt gewiss die Truppe insgesamt.

Den Kern der Probleme der Bundeswehr trifft das aber nicht. Jedenfalls nicht, wenn deren Hauptaufgabe tatsächlich die oben beschriebenen sicherheitspolitischen Anforderungen sein sollen. Der Fokus muss auf die materiell und personell optimale Ausstattung gelegt werden. Dazu gehört auch, dass jungen interessierten Menschen schon bei der Anwerbung klargemacht wird, dass der Beruf des Soldaten nicht mit einem normalen Bürojob inklusive pünktlichen Feierabends vergleichbar ist. Auslandsmissionen stellen höchste Anforderungen vor allem an junge Menschen. Unter Umständen bezahlen sie ihren Einsatz mit dem Leben. Das erfordert eine besondere Einstellung zu diesem Beruf – und das verlangt eine entsprechende Wertschätzung durch Politik und Bevölkerung. Ohne diese Voraussetzungen ist die Bundeswehr allenfalls bedingt einsatzbereit.