Die HafenCity entwickelt sich sehr gut - weil sie sich ständig neu erfindet

Politisch war es tollkühn, was Bürgermeister Henning Voscherau (SPD) Mitte der 90er-Jahre unter höchster Geheimhaltung vorantrieb: Hamburg sollte auf den ehemaligen Freihafenflächen einen neuen Stadtteil errichten. Bei der Präsentation 1987 gab es nicht wenige Bedenkenträger, die vor einem solchen Mammutprojekt warnten: Einige fürchteten um den Hafen, anderen schien das Wachstum der Innenstadt um 40 Prozent kaum steuerbar. Als einige Jahre später die ersten Häuser am Sandtorkai entstanden, fühlten sich die Kritiker bestätigt und ätzten über „Würfelhusten am Wasser“ und eine „Retortenstadt“.

Zur Halbzeit des ambitionierten Bauprojekts – immerhin der zeitweise größten innerstädtischen Baustelle der Welt – wird die Kritik milder, das Lob wächst. Eines haben die Planer und Stadtentwickler in den vergangenen 17 Jahren bewiesen: Sie sind lernfähig – und die HafenCity hat aus ihren ersten Fehlern und der durchaus berechtigten Kritik der Anfangstage gelernt. Mehr noch: Die HafenCity ist längst ein Spiegel der politischen wie stadtplanerischen Debatte der vergangenen Jahre geworden. Dabei haben sich viele Schwerpunkte verschoben.

Die ersten Jahre muss man als missglückt werten: das Hanseatic Trade Center, 1992 noch vor der HafenCity erdacht und doch ihr Entree, zeigt die Dominanz renditefixierten Denkens. Die eher klobigen Bauten aus den Zeiten des Börsenbooms hatten auf 93.000 Quadratmetern vor allem eine Nutzung vorgesehen: Büros, Büros, Büros. Zwei Jahrzehnte, eine Finanzkrise und eine Recht-auf-Stadt-Bewegung später wäre ein solch öder Büroriegel undenkbar. Auch die ersten Entwürfe der HafenCity atmen noch einen anderen Zeitgeist: Repräsentative Solitäre an Sandtor- und Dalmannkai und an der Kehrwiederspitze eines der spektakulärsten Konzerthäuser der Welt. Die Elbphilharmonie ist ein Denkmal hanseatischen Aufbruchs als „wachsende Stadt“ und zugleich Symbol Hamburger Hybris. Aber bei allem Ärger über Fehlplanungen und Kostenexplosionen wird die Stadt am Ende dankbar für dieses Wagnis sein.

Heute fallen der Kultur in der HafenCity längst weitergehende Aufgaben zu: Es geht nicht um Leuchttürme, sondern um viele kleine Lichtblicke: Das Quartier Oberhafen wird zum Zentrum für Kreative und Künstler, das Baakenhöft mit seinem spektakulären Stadtpanorama Heimathafen für eine Veranstaltungshalle und einen Beach-Club.

Über die Jahre haben sich viele Prioritäten verschoben: Die HafenCity rückt Menschen und Mieter stärker in den Mittelpunkt: Überraschend viele Familien sind in Hamburgs Wasserstadtteil heimisch geworden, der Bedarf an Schulen ist längst größer als geplant. Und der Geschäftsführer der HafenCity GmbH muss inzwischen bei jedem Bauprojekt erklären, wie viele Wohnungen dort entstehen. Der Druck des Senats hat massiv zugenommen – zu Recht. Im Baakenhafen werden sogar Sozialwohnungen mit Elbblick entstehen. Was seltsam klingt, zeigt ein neues wie überfälliges Verständnis von Stadt: ein Gemeinwesen, das Arm und Reich nicht in eigene Viertel segregiert, sondern zusammenführt. In der zweiten Halbzeit der HafenCity entscheidet sich gerade in diesen Wohngebieten im Osten Erfolg oder Misserfolg von Stadtentwicklung.

Bis dahin gilt, dass Hamburg mit dem Entstandenen schon sehr zufrieden sein kann: Die Menschen drängen in den Stadtteil, an Wochenenden sind Straßen, Plätze und Cafés bevölkert; die HafenCity präsentiert sich als Stadt der kurzen Wege, der Wasserblicke, der Vielfalt und als Viertel, in dem der Flaneur dominiert, nicht das Auto. Das ist weit mehr, als 1997 zu erwarten war. Voscheraus tollkühner Plan kann aufgehen.