Zum 30. Jahrestreffen des Chaos Computer Clubs kamen 8000 Menschen aus aller Welt nach Hamburg. Die neue Datenschutzexpertin ließ sich jedoch nicht blicken.

Hamburg. Jetzt liegt noch dieser Tag vor den rund 8000 Teilnehmern des 30. Jahrestreffens des Chaos Computer Clubs, und einige schwächeln, trotz literweiser Club-Mate, der Limo mit dem hohen Koffeingehalt. Auf den Gängen und Fluren praktizieren einige der Computerexperten Indoor-Camping und haben sich in ihre Schlafsäcke gerollt. Gut 120 von insgesamt 150 Veranstaltungen, Diskussionen und Workshops liegen bereits hinter ihnen, und jede stand unter dem Zeichen: die totale Überwachung des Internets durch insgesamt fünf Geheimdienste, allen voran die amerikanische NSA.

Eines der wichtigsten Themen des Jahres also – Deutsche Politiker, ganz zu schweigen von der neuen Datenschutzbeauftragten, ließen sich jedoch nicht blicken.

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Insgeheim hatten viele auf eine große Überraschung – auf einen Videovortrag des in Moskau untergetauchten Whistleblowers Edward Snowden gehofft, aber der per Video aus Brasilien zugeschaltete Journalist Glenn Greenwald war dann ein mindestens gleichwertiger Ersatz. Schließlich hatte der durch die Veröffentlichung von Snowdens Dokumenten in der britischen Zeitung „Guardian“ den Skandal ins Rollen gebracht.

Das Interesse an seinem Vortrag war so groß, dass beide großen Säle des CCH nicht für den Andrang ausreichten. „Inzwischen ist vielen Menschen klar geworden, wie wichtig Sicherheit bei der Internetkommunikation ist“, sagte Greenwald. „Wenn mich heute Journalisten oder Aktivisten kontaktieren, ist es ihnen peinlich, wenn sie ihre Mails nicht verschlüsseln.“ Er appellierte an die versammelten Hacker, ihre Fähigkeit in den Dienst der Internetfreiheit zu stellen und nicht für Geheimdienste zu arbeiten. Und als er sagte, „einige der größten Länder Europas haben von Snowdens Enthüllungen profitiert, aber ihre Regierungen tun nichts, um ihm zu helfen!“, brandete Applaus auf. „Es kostet immer einen Preis, so etwas zu tun. Aber Edward Snowden hat einen höheren Preis dafür bezahlt, eure Rechte zu verteidigen, und er hat es dennoch getan! Es liegt in eurer Macht!“

Die Computerfreaks, die sich spätestens jetzt ihrer neuen, wichtigeren sozialen Rolle innerhalb der Gesellschaft bewusst werden können, geben sich angriffslustig. „Wir müssen das Netz neu erfinden. Ihr könnt gleich hier damit anfangen! Seid kreativ“, hatte Tim Pritlove in der Eröffnungsveranstaltung von den Kongressteilnehmern gefordert: „Ein Mensch kann den Unterschied ausmachen – das haben wir in diesem verlorenen Jahr gelernt!“

Der 46-Jährige, der im Hauptberuf als Podcaster in Berlin arbeitet und bereits seit 30 Jahren dem Chaos Computer Club (CCC) angehört, sagt, dass „sie es immer gewusst und auch gesagt haben“. Doch die Szene will sich mit dem Spionageskandal keinesfalls „abfinden“, so wie es der amerikanische Präsident Barack Obama jüngst salopp formulierte: „Deal with it.“ („Nehmt es eben hin.“)

Wohl deshalb sind in diesem Jahr auch gut 2000 Hacker mehr zum Jahreskongress des CCC angereist als im Vorjahr. Er findet wieder in Hamburg statt, da es „in Berlin zurzeit schwierig ist, eine Großveranstaltung mit mehr als 3000 Menschen durchzuziehen“, sagt Pritlove, „und darüber hinaus war das Angebot der Hamburg-Messe attraktiv“.

Mehr als 500 freiwillige Helfer, Engel genannt, wurden rekrutiert, die für einen möglichst reibungslosen Ablauf der Veranstaltung sorgen, für die sich übrigens auch über 150 Medienvertreter aus aller Welt akkreditiert haben.

„Die Technik wirkt auf uns zurück, für uns war dieser Fakt schon immer zentral“, sagt Pritlove, „jetzt aber ist die Diskussion in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Wir waren anfangs eine kleine Gruppe von Nerds, deren Ratschläge ignoriert wurden. Mittlerweile sind wir eine große Bewegung. Deren Tipps jedoch noch immer ignoriert werden...“ In diesem Satz schwingt freilich ein wenig Ironie mit, denn die Hacker werden schon seit Längerem als Experten geschätzt. Ein Ergebnis des Jubiläumskongresses dürfte den großen deutschen Anbietern Deutsche Telekom, web.de, GMX und Freenet daher nicht schmecken: Denn die von den Providern als besonders sicher beworbenen „E-Mails made in Germany“ werden offenbar weiterhin unverschlüsselt über das Internet übertragen. Die Hacker hatten die Sicherheitstechniken der Unternehmen einer kritischen Betrachtung unterzogen.

Mit einem großen Spruchband mit der Aufschrift „Stoppt die Vorratsdatenspeicherung“ waren dann am Sonnabend rund 150 meist junge Menschen durch die Hamburger Innenstadt gezogen. Unter dem Motto „Freiheit statt Angst“ hatte die Piratenpartei zu der Protestaktion aufgerufen – auch um gegen die Pläne der Großen Koalition zu protestieren, das Speichern von Computer- und Handydaten im Kampf gegen Kriminalität wieder einzuführen. „Wir sehen Vorratsdatenspeicherung, Überwachung und Kontrolle nicht als probate Mittel der Politik an. Sie sind einer freiheitlichen Gesellschaft unwürdig, da sie Konformität erzwingen und somit Pluralismus und damit Kreativität verdrängen“, hieß es in einem Aufruf zur Protestkundgebung. Die Demonstranten skandierten Parolen wie „Wir sind hier, wir sind laut, weil man uns den Rechtsstaat klaut“ und forderten zudem politisches Asyl für den US-amerikanischen Whistleblower Edward Snowden. Die Demonstration verlief friedlich. Jedoch wurden Straßen zwischen Rathausmarkt und Dammtor kurzzeitig gesperrt, wo es zu erheblichen Verkehrsbehinderungen kam.