Irina Stroh hat an diesem Tag einen Auftritt in der Laeiszhalle. Sie spielt im Philharmonischen Orchester der Hansestadt Lübeck die Erste Violine. Die 29-Jährige hat weltweit schon mehrere Musikpreise gewonnen, sie ist viel unterwegs. In Russland hätte sie diese Möglichkeiten nicht gehabt, sagt Irina Stroh.

Ihre Vorfahren kamen aus der Nähe von Frankfurt am Main und wanderten nach Kemerovo, Sibirien, aus. Ihre Großmutter führte ein deutsches Kulturzentrum, Irina hatte dort als Kind ihre ersten Auftritte.

Sie war sieben, als sie mit ihren Eltern und ihrem Bruder nach Hamburg auswanderte. Das war 1991. „Deutschland war ein Märchenland für mich“, sagt Stroh. Es war kurz vor Weihnachten, es gab Süßigkeiten. In Russland der damaligen Zeit mussten ihre Eltern stundenlang Schlange stehen, um Milch und Brot zu kaufen.

Strohs Eltern bekamen in Deutschland noch zwei weitere Kinder – in Russland hätte die Familie allein aus finanziellen Gründen nie so groß werden können. Mit zwei ihrer Geschwister tritt Irina heute auf – als „Familie Stroh“.

Zu Hause sprechen die Strohs Deutsch und Russisch. „Wir nennen es Mischamaschsprache.“ Sie haben immer russische Filme geschaut. Auf Familienfeiern werden russische Lieder gesungen. Zu essen gibt es Blinchiki (Pfannkuchen) und Piroggen.

Was ist Heimat für sie? „Da, wo meine Familie ist.“ Einen großen Traum hat Irina Stroh: Sie würde gerne eine Reise an die Wolga machen – und ihren Geburtsort besuchen.

Dima Weimer war neun, als seine Eltern nach Deutschland auswanderten. Weimer ist in Usbekistan geboren. Sein Großvater war Deutscher. Als die Familie 1995 in Deutschland ankam, konnte Dima kein Deutsch. Auf der deutschen Schule fiel er durch schlechtes Benehmen auf, er hatte nur Russlanddeutsche als Freunde. Es gab Ärger mit der Polizei, sagt Weimer. Seine Karriere war eigentlich schon festgelegt: Gewalt, Drogen, Arbeitslosigkeit.

Dann kam der Sport in sein Leben. Mit zwölf fing er mit Karate an, als er den schwarzen Gürtel schaffte, fragte ihn sein Trainer, ob er nicht Lust auf Kickboxen habe. Sport, das ist Disziplin. Die Disziplin übertrug Weimer auf sein Leben. Plötzlich wurde Schule wieder wichtig, er rauchte nicht mehr, trainierte, machte Abitur, gewann wichtige Kämpfe im Kickboxen.

Heute ist Dima Weimer 28 Jahre alt, er ist fünfmaliger Weltmeister und studiert an der Polizeiakademie Hamburg. Er ist Kommissaranwärter. Seine Bachelor-Arbeit beschäftigt sich mit dem Thema „Jugendkriminalität zwischen Migranten“. Mangelnde Bildung sei der Hauptgrund für Gewalt unter jungen Menschen.

Dima Weimer findet, dass seine Startmöglichkeiten in Deutschland nicht gut waren. Aber er hat es hier geschafft, weil er sich Ziele gesetzt hat.

In Usbekistan war er der Deutsche, und als er nach Hamburg kam, war er der Russe. „Ich kann selbst bestimmen, was ich bin“, sagt er. Und das sei doch gar nicht so schlecht.