In einem kleinen Büro an der Böhmkenstraße, unweit des Michel, hat Gottlieb Krune sein Büro. Er ist 81 Jahre alt und Rentner, trotzdem hat er viel zu tun. Krune ist Vorsitzender des Hamburger Vereins der Deutschen aus Russland. Die Initiative will Russlanddeutschen in Hamburg bei Problemen in Hamburg helfen – und die Geschichte der Russlanddeutschen durch Konzerte und Ausstellungen pflegen.

Gottlieb Krune kommt aus einer Stadt an der Wolga: Toliati. Er weiß nicht genau, aber er vermutet, dass seine Urgroßeltern aus Bayern ausgewandert sind. Krune sagt, dass er nichts Schlechtes über das russische Volk sagen will, es gebe überall schlechte und gute Menschen. Es seien sowjetische Politiker gewesen, die die Russlanddeutschen diskriminiert hätten. Er durfte nicht studieren, obwohl er gute Noten in der Schule hatte.

Krune sagt, dass er sich in Russland immer als Fremder gefühlt hat. Sein größter Wunsch: nach Deutschland auszureisen, unter Deutschen zu leben. Mit seiner Frau und seinen beiden Kindern pflegte er in der Sowjetunion die deutsche Kultur: Sie sprachen Deutsch miteinander, hörten deutsche Musik, machten deutsches Essen wie Apfelstrudel.

1994 durften die Krunes als Spätaussiedler endlich nach Hamburg ausreisen, da war Gottlieb Krune 59.

Gottlieb Krune erzählt von den Enttäuschungen vieler Russlanddeutscher. Ihren Dialekt konnte in der neuen alten Heimat niemand verstehen – dabei waren die Russlanddeutschen so stolz darauf, ihre Kultur über Jahrhunderte gepflegt zu haben. „Hait awend“ bedeutet „heute Abend“, „Taitsche Lait“ bedeutet „deutsche Leute“.

Viele sprachen auch gar nicht Deutsch. Eine Arbeit zu finden war schwer, auch für den Deutschlehrer Krune. Er hatte Zweifel, ob er das Richtige gemacht hatte, sagt er. Aber er hatte Glück, fand einen Job als Übersetzer. Vielleicht habe das Glück auch mit seinem Vornamen Gottlieb zu tun, sagt er. „Mein Vorname ist mein Talisman. Gott liebt mich und hilft mir in schweren Situationen.“

Als er in Rente ging, gründete er den Verein. Viele Aussiedler hatten Probleme mit der deutschen Sprache, mit den deutschen Behörden, mit Anträgen.

Die meisten Russlanddeutschen haben ihren Platz in der Gesellschaft gefunden, sagt Krune. Aber nicht alle. Die Probleme bei der Integration führten vor allem in den 1990er-Jahren zu Kriminalität. Schade findet Krune das, denn Integrationsforscher bescheinigen gerade den Russlanddeutschen insgesamt eine vorbildliche Integration. „Das Negative und Abscheuliche bleibt bei den Bürgern hängen und sorgt für einen negativen Ruf der ganzen Volksgruppe, wenn über die Erfolge nicht gesprochen wird“, sagt Krune.

Der Senat unterstützt den Verein, es gibt drei Anlaufstellen in Hamburg. Krunes Mitarbeiter informieren zu Themen wie Rente, Arbeitslosengeld und Ernährung. Darüber hinaus hat der Verein eine Ausstellung zum Katharina-Erlass im Völkerkundemuseum organisiert. 250 Jahre Katharina-Erlass – für Gottlieb Krune ist das Jubiläum eine Erinnerung daran, dass die Geschichte der Russlanddeutschen zu Deutschland dazugehört.