Die Einbürgerung ist ein wichtiges Ziel, die doppelte Staatsbürgerschaft ist es nicht

Manchmal besteht kluge Politik nicht aus der großen Vision, sondern aus der kleinen Geste: Dazu gehören die Einladungen, die Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) an Zuwanderer verschickt hat, die lang genug in Hamburg leben, um die deutsche Staatsbürgerschaft zu erlangen. Das Schreiben zeigt Erfolge. Die Zahl der Einbürgerungen hat sich seit 2008 auf 5736 verdoppelt; bezogen auf seine Einwohnerzahl ist Hamburg damit Spitzenreiter.

Es ist so gut wie richtig, Menschen die deutsche Staatsbürgerschaft zu verleihen, die seit Langem in der Bundesrepublik zu Hause sind. Wer den deutschen Pass bekommt, bekennt sich zu seiner neuen Heimat; er genießt fortan dieselben Rechte – allen voran das aktive wie passive Wahlrecht – und dieselben Pflichten wie früher den Wehrdienst. Wichtiger noch als der formale Akt aber ist die Symbolik: Deutschland, dieser Schmelztiegel im Herzen Europas, der sich lange Zeit gewehrt hatte, „Einwanderungsland“ zu sein, und Zuwanderer als „Gastarbeiter“ behandelte, baut endlich Brücken und bezieht die Ausländer von gestern als Deutsche von morgen ein.

Wer am tieferen Sinn dieser Politik zweifelt, sollte eine Einbürgerungsfeier im Festsaal des Rathauses besuchen: Der Festakt mit der Verleihung der Einbürgerungsurkunde durch den Bürgermeister und dem gemeinsamen Singen der Nationalhymne ist ein Hochamt der bürgerlichen Demokratie.

Die Staatsbürgerschaft ist ein Bekenntnis – und dieses Bekenntnis ergibt Sinn. Bei allem Verständnis für die Betroffenen und ihre Schwierigkeiten, sich zu entscheiden, der Staat darf ein eindeutiges Bekenntnis verlangen – und er sollte es tun. Natürlich gibt es Probleme: Einige Staaten entlassen ihre Bürger nicht, andere verweigern Menschen ohne eigenen Pass eine Erbschaft. Hinzu kommt ein psychologisches Dilemma. Gerade viele Deutschtürken leben in zwei Kulturen, viele Traditionen und Beziehungen binden die Zuwanderer an ihre Herkunftskultur und erschweren die Integration in die neue Heimat.

Aber das alles rechtfertigt eben nicht den Doppelpass als Normalfall oder gar politisches Ziel. Zu Recht haben die Gesetzgeber seit 2000 ein Optionsmodell geschaffen – Kinder ausländischer Eltern, die in Deutschland geboren werden, erhalten automatisch die deutsche Staatsangehörigkeit, müssen sich aber zwischen dem 18. und 23. Lebensjahr für den bundesrepublikanischen Pass oder den ihrer Eltern entscheiden. Das ist, anders als die SPD derzeit in den Koalitionsverhandlungen glauben macht, eben nicht zu viel verlangt.

Eine doppelte Staatsbürgerschaft schafft doppelte Probleme. Diese beginnen bei einem theoretischen Mehrfachwahlrecht etwa bei Europawahlen, erstrecken sich über Schwierigkeiten im Privatrecht und hören bei der Frage nach den Pflichten, etwa dem Wehrdienst, nicht auf. Hinzu kommen rechtliche Probleme: Die Auslieferung des Haupttäters im Mordfall vom Berliner Alexanderplatz etwa scheiterte lange an seiner doppelten Staatsbürgerschaft. Schwierig bleibt die innere Zerrissenheit der Menschen mit multipler Staatsangehörigkeit – wem gehört seine Loyalität?

In der Passfrage sollte sich die Politik am Fußball orientieren, der das Optionsmodell lebt. In der Nationalmannschaft müssen sich die Spieler auch entscheiden. Dass Mesut Özil für die deutsche Auswahl spielt, ist ein Glücksfall in dreifacher Hinsicht: für den Spieler, das Team und den Kampf gegen Rassismus und Ausländerfeindlichkeit. Jedem Fan, der Khedira, Özil oder Podolski zujubelt, dämmert in diesem Moment, dass das multikulturelle Deutschland stärker ist als jedes homogene Team von vorgestern. Eben weil sich diese Spieler für ihre neue Heimat, für Deutschland, entschieden haben.