Eine Aussage von Edward Snowden in Deutschland birgt auch politische Risiken

Vielleicht liegt es auch an der Vielzahl parteiübergreifender Gespräche in dieser Nach-Wahlzeit, die unsere Politiker derzeit über ihren begrenzten Tellerrand blicken lassen. Denn statt – wie sonst allzu oft üblich – den Vorschlag politischer Kontrahenten reflexartig abzuwehren, signalisieren sogar konservative Unionsvertreter gerade eine bemerkenswerte Beweglichkeit.

Das halb politische Vakuum der nur noch geschäftsführenden Ministeriumsspitzen mag seinen Teil dazu beitragen. Erstaunlich ist jedenfalls die geballte Zustimmung der Christdemokraten auf den überraschenden Vorstoß des Alt-Grünen Hans-Christian Ströbele, den abtrünnigen US-Spionagemitarbeiter Edward Snowden als Zeugen zu befragen.

Die wochenlang aus Regierungskreisen gebetsmühlenartig vorgetragenen Freundesschwüre für die Amerikaner sind fast vollständig verstummt, seit bekannt ist, dass nicht nur die Kommunikationsdaten von Millionen Deutschen abgegriffen wurden, sondern die „Freunde“ nicht mal davor zurückschreckten, das Handy der Kanzlerin abzuhören. Das hat mächtig Bewegung ins politische Tauziehen zwischen Washington und Berlin gebracht. Und Ströbele sei Dank: Mit der von ihm im Alleingang ausgeloteten Bereitschaft des Kronzeugen Snowden, auch in Deutschland auszusagen, hat die Kanzlerin bei diesem Thema erstmals einen echten Trumpf in ihrer Hand.

Für Obama und seine Regierung wäre es nämlich eine peinliche politische Schlappe, wenn ihre deutschen Verbündeten den aus Sicht der USA kriminellen Verräter zur Zeugenvernehmung ins eigene Land ließen. Dazu aber wird es nur kommen, wenn Berlin dem Zeugen Snowden vorab zusichert, ihn nicht an die Amerikaner auszuliefern und damit das Auslieferungsersuchen zu missachten oder möglicherweise trickreich zu umgehen. Kann Deutschland sich das wirklich leisten? Und wird die Kanzlerin Angela Merkel einen solchen Affront gegen die USA in Kauf nehmen?

In der Affäre hängt jetzt viel davon ab, wie Washington auf deutsche Wünsche eingeht. Aber mit einem Ansehensverlust vor Augen fällt es Obamas Unterhändlern offensichtlich leichter, Zugeständnisse zu signalisieren. So sollen die Amerikaner bereit sein, auf Industriespionage schriftlich zu verzichten, meldet der „Spiegel“ an diesem Wochenende. Sicher ist: Die Vorbereitungen eines Regierungs- und eines Geheimdienstabkommens sollen bis Jahresende abgeschlossen sein. An diesem Montag verhandeln auch die Chefs von Bundesnachrichtendienst und Verfassungsschutz in den USA.

Doch in dem politisch gerade spannenden Hin und Her zwischen den beiden Großmächten diesseits und jenseits des Atlantiks sollten die ureigenen Interessen des Informanten Snowden nicht übersehen werden. Er ist der wichtigste Zeuge in der Abhöraffäre um das Kanzlerinnen-Handy. Für die Wahrheitsfindung wäre es aber gleichgültig, ob die deutschen Ermittler seine Aussage in Moskau oder in Deutschland zu Protokoll nehmen.

Snowden aber hat höchstes Interesse daran, seine Detailkenntnisse nur gegen Höchstgebot preiszugeben. Das für ihn Lukrativste wäre ein Asyl in Deutschland. Denn Russland hat ihm nur einen Aufenthalt bis zum Sommer 2014 zugestanden. Von zweifelhafter Dauer muss Snowden auch die Unterstützungsbereitschaft Wladimir Putins erscheinen, für den der abtrünnige Amerikaner eine willkommene Gelegenheit ist, eigene Machtpolitik zu betreiben. Für einen Fürsprecher auf Dauer wird der Geheimdienstenthüller Snowden den Geheimdienstexperten Putin kaum halten. Snowden als Zeugen zu befragen ist verlockend. Aber der Preis, ihm Asyl zu gewähren, wäre zu hoch.