Napoleon ist besiegt, doch von politischer Mitsprache wollen die Fürsten nichts wissen. Einige kämpfen für die Freiheit – mit Worten. Und niemand beherrscht das so wie der Verleger Julius Campe.

Der Dichter kann seine Nervosität nicht ganz verbergen. Er stützt sein Gewicht mal auf das eine Bein, mal auf das andere, und wo er die Hände lassen soll, weiß er auch nicht so recht. Dann sind endlich alle da: die Kapelle der Hamburger Bürgerwacht, die Sänger der Liedertafel und des Hamburger Turnerbunds. Sie geben ein schönes Bild ab an diesem sonnigen Herbsttag, wie sie da vor dem Streit’s Hotel am Jungfernstieg Aufstellung genommen haben. Und dann legen sie los: „Deutschland, Deutschland, über alles …“.

Das Lied ist alt, Haydn hat es 1797 geschrieben. Doch der Text ist nagelneu, und der Dichter Hoffmann von Fallersleben ist mächtig stolz, dass es an diesem Dienstag, dem 5. Oktober 1841, zum ersten Mal in der Öffentlichkeit gesungen wird. Wenn auch nicht für ihn, sondern zu Ehren von Carl Theodor Welcker, dem liberalen Politiker aus Baden, der gerade im Streit’s logiert. Ein Mann, der für Einigkeit und Recht und Freiheit in Deutschland kämpft – genau wie er. Und wie Julius Campe.

Der 49 Jahre alte Verleger steht ein wenig abseits bei der Aufführung. Dass er einem historischen Moment beiwohnt, das ahnt er kaum. Doch er spürt, dass er mal wieder den richtigen Riecher hatte. Denn der Text gehört ihm, dem Inhaber des Verlages Hoffmann und Campe. Als Fallersleben nachher zu ihm hinübergeht, da legt er einen Gesichtsausdruck auf, der heißen soll: Na, das ging ja schnell. Und Campe lächelt ihn zustimmend an.

In der Tat ist es nicht einmal sechs Wochen her, dass Julius Campe gemeinsam mit dem Buchhändler Paul Neff aus Stuttgart auf Helgoland eingetroffen war. Im Gepäck hatte der Hamburger den druckfrischen zweiten Teil der „Unpolitischen Lieder“, eine Sammlung von 150 Gedichten, die ungemein erfolgreich werden sollte – und ganz und gar nicht unpolitisch war. Fallersleben ätzte darin gegen Unterdrückung und deutsche Kleinstaaterei, gegen Pressezensur und Obrigkeitsstaat. Am 29. August machen Dichter und Verleger einen Spaziergang am Strand der britischen Insel. „Ich habe ein Lied gemacht, das kostet aber vier Goldmünzen“, sagt Fallersleben. Zurück im Hotel, liest er Campe die drei Strophen vor. Und zu seiner großen Überraschung holt der geschäftstüchtige Verleger die geforderten vier Münzen aus der Tasche, schnappt sich das Manuskript und reist ab.

Julius Campe ist wahrlich kein Zauderer. Eine Woche später ist das Werk gedruckt, versehen mit den Noten des „Kaiserliedes“ von Haydn und einem Porträt des Dichters. Es fällt beim deutschen Bürgertum auf fruchtbaren Boden. Die in späteren Zeiten so missverständlichen (und missverstandenen) Verse sind für die Zeitgenossen eindeutig. Nicht deutsches Überlegenheitsgefühl und Chauvinismus werden hier besungen, sondern die Sehnsucht nach staatlicher Einheit und Freiheit. 1841 ist Deutschland noch immer ein Flickenteppich von großen, mittleren, Klein- und Kleinststaaten. Lose zusammengehalten werden sie seit 1815 vom Deutschen Bund, den die Großmächte Preußen und Österreich beherrschen. Die konkurrieren zwar, sind sich aber mit dem russischen Zaren darin einig, alle Freiheits- und Demokratiebestrebungen notfalls gewaltsam zu unterdrücken.

Julius Campe ist dieses System zuwider. Geboren in der Nähe von Holzminden, schließt er sich als 20-Jähriger dem Lützower Freikorps an, um gegen Napoleon zu kämpfen. Wie so viele seiner Generation ist er tief frustriert, dass die Herrschenden nach dem Sieg nicht etwa Freiheit und Einheit anstreben, sondern das alte System restaurieren. Schon mit 13 war Julius Campe nach Hamburg gekommen, um im Verlag seines Halbbruders August zu lernen. Mit gerade mal 31 Jahren wird er den Verlag übernehmen und fortan mit dem gedruckten Wort seinen politischen Kampf führen.

Die vielleicht 50 Passanten, die das kleine Konzert mitten auf dem Jungfernstieg verfolgt hatten, applaudieren. Welcker bedankt sich gerührt bei den Sängern und Musikern, dann geht er zu Fallersleben, der mit Campe im Gespräch vertieft ist, und gratuliert ihm zu seinem Werk. Johann Marquardt und Steffen Samuelson, zwei junge Kaufmannsgesellen, kommen zu ihnen herüber, und schnell entspinnt sich eine lebhafte Diskussion – über Friedrich Wilhelm IV., der im vorigen Jahr den preußischen Thron bestiegen hat. „Jetzt wird es bald eine Verfassung geben“, sagt Marquardt und schaut Welcker fragend an. Der zögert. „Es gibt zumindest Anzeichen“, antwortet er, doch seine Skepsis allem Preußischen gegenüber kann er nicht verbergen. Die beiden Jungen sind enttäuscht, sie setzen all ihre Hoffnung in den neuen König. In der Tat weht ein neuer Wind: Friedrich Wilhelm hält Reden vor seinem Volk (das hatte es noch nie gegeben); er boykottierte die Bundeszentralbehörde, die Demokraten als Staatsfeinde verfolgt hatte; Friedrich Wilhelm holte auch Professoren wie Jakob und Wilhelm Grimm nach Berlin und gab ihnen eine Stellung, obwohl sie zuvor faktisch Berufsverbot hatten.

Campes ewiger Begleiter war die Zensur, doch er konnte sie austricksen

Während die Bürger aufgeregt diskutieren, hat Campe aufmerksam zugehört, ohne sich zu äußern. Jetzt macht er sich auf den Weg ins Verlagshaus. Fallersleben begleitet ihn. Schweigend schlendern die beiden den belebten Jungfernstieg hinunter und gehen am Johanneum vorbei Richtung Mühlenbrücke. „Die Zensur hat der König nicht abgeschafft“, sagt Campe schließlich, als sie auf der Höhe des Rathauses angelangt sind. „Und ich glaube auch nicht, dass er es tun wird.“

Die Zensur ist Campes treuer Begleiter seit Jahrzehnten, denn sein Verlag steht wie kein anderer für die Autoren des „Jungen Deutschland“: Karl Gutzkow, Ludwig Börne, Georg Büchner und, vor allen, Heinrich Heine erscheinen bei ihm. Demokraten und Vordenker sie alle – gefährliche Radikale in den Augen des Staates. 1835 verbietet Preußen ihre Schriften, und das formell unabhängige Hamburg kann sich kaum dagegen wehren. Campe wendet viele Tricks an, um dennoch publizieren zu können, es ist sein tagtäglicher Kampf. Und oft ist er den Behörden eine Nasenlänge voraus, weil er immer wieder unter Fantasie-Verlagsnamen veröffentlicht, im Ausland drucken lässt oder so schnell ausliefert, dass die Bücher verkauft sind, bevor die Zensur sie verbieten kann.

Als sie im Verlag in der Bohnenstraße 28 ankommen, verabschieden sich die beiden Männer. Julius Campe geht in sein Kontor im ersten Stockwerk, er hat noch viel Korrespondenz zu erledigen. Auch mit Heinrich Heine, seinem Starautor, der ihn mit beißender Ironie gern mal mit „Herr und Gebiether, lieber Campe“ anschreibt und mit dem er leidenschaftlich feilscht („Der Weg von Ihrem Herzen zu Ihrer Tasche ist sehr weit …“). Für Campe sind die beiden Vater und Mutter – und die Bücher ihre gemeinsamen Kinder. Die sehr einträglich sind: von Heines Reisebildern und Gedichtbändern (die 50 Auflagen erreichen) bis zur Gesamtausgabe, die 1861 erscheint. Campe nimmt den Briefbogen aus der Schublade, taucht seine Feder in das Tintenfass, seufzt kurz und beginnt. „Lieber Heine! …“

Campes Skepsis bezüglich der Zensur sollte sich allzu schnell bewahrheiten. Nur ein paar Wochen später verbietet Preußen sämtliche Erzeugnisse von Hoffmann und Campe – und das riesige Preußen, zu dem auch die Rheinprovinzen und das Ruhrgebiet gehören, ist Campes wichtigster Markt. Und es kommt noch schlimmer: Denn der Große Brand 1842 zerstört auch sein Verlagshaus. Doch im Nachhinein erweist sich das als Glücksfall, denn angesichts der Katastrophe hebt Preußen das Verbot auf. Julius Campe schreibt seine Erfolgsgeschichte weiter. Als er 1867 mit 75 Jahren stirbt, ist er ein reicher Mann und eine Legende – man nennt ihn den listenreichen „Odysseus des deutschen Buchhandels“.