Offiziell endet die Internationale Bauausstellung am Sonntag. Aber angestoßen ist mit ihr ein Projekt der Stadtentwicklung, an dem viele Hoffnungen hängen. Eine erste Bilanz.

Hier am S-Bahnhof Wilhelmsburg sieht die Internationale Bauausstellung tatsächlich aus wie eine internationale Schau. Wer vom S-Bahnsteig die Treppe erklommen hat und heraustritt, dem sticht als erstes das neue, bunte, kurvige Gebäude der Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt ins Auge. 1500 Menschen arbeiten hier. In Anlehnung an Hamburgs Oberbaudirektor Jörn Walter wird der bis zu 54 Meter hohe Bau im Volksmund bereits „Walterburg“ genannt.

Gleich gegenüber steht eine Ansammlung von bunten, würfelartigen Häusern: Prototypen, mit denen die IBA-Macher die „Zukunft des Bauens“ zeigen wollen. An einer Fassade blubbert in durchsichtigen Elementen eine grüne Masse im Wasser: Darin wachsen Algen, die Wärme produzieren sollen. Ein anderes Haus besteht komplett aus Holz, andere stehen im Wasser. Sonnenkollektoren, drehbare Fassadenelemente, begrünte Dächer – alles sieht ziemlich technisch, aber auch furchtbar ökologisch aus.

Die Gebäude werden künftig so etwas wie ein Denkmal der Ausstellung sein – am Sonntag geht die IBA nämlich offiziell zu Ende. Ein guter Zeitpunkt, Bilanz zu ziehen. Fangen wir mit dem Offensichtlichen an. Um herauszufinden, wie grundlegend – und rasch – an diesem Ort sich das Bild Wilhelmsburgs verändert hat, reicht ein Computerklick auf Google Maps. Wo heute die bunte Mitte Wilhelmsburgs steht, sieht man auf den gespeicherten Satellitenbildern noch alte Schuppen, Gestrüpp und wild wachsende Bäume. Eine Brachlandschaft mitten im Stadtteil.

Welche Bevölkerung hier verdrängt, „gentrifiziert“ sein soll, fragt man sich angesichts derartiger IBA-Kritik. Anders als in Altona gab es hier keine kleinen Gemüseläden oder Altbau-WGs, die neuen schicken Boutiquen und Penthouse-Lofts weichen mussten. Verdrängt wurden allenfalls Brombeersträucher.

Doch die 14 bunten Würfel-Häuser, die „Smart Material House“, „Woodcube“ oder auch „Soft House“ heißen, sind bei Weitem nicht alles, das die Besucher der Bauausstellung erwartete. Die Ansammlung unterschiedlicher Häusertypen verdeckt ein wenig den Anspruch der Ausstellungsmacher: die Internationale Bauausstellung zwischen der Veddel und Harburg wollte stets mehr sein als eine Musterausstellung.

Ein Ziel: der soziale Wandel in dem lange vernachlässigten Stadtteil

Da ist die renovierte, ehemalige Werftarbeitersiedlung des städtischen Wohnungskonzerns Saga GWG, die nun „Weltquartier“ heißt und nach den Wünschen ihrer 1700 Bewohner umgebaut wurde. Zudem gab es eine IBA-Bildungsoffensive mit dem Neubau einer Schule und der Schaffung unterschiedlicher Bildungsangebote.

Auch ein neuer Park im Harburger Binnenhafen bekam den Stempel IBA-Projekt, genauso wie ein Gewerbehof für Kleinstbetriebe am Kanal, ein Seniorenwohnheim für Bewohner verschiedener Nationalitäten, ein Hochbunker mit Aussichtscafé und alternativer Energiegewinnung oder ein schwimmendes Bürohaus auf der Veddel. Selbst die Öffnung einer Elbebucht bei Kreetsand und die Finanzierung von Musikfestivals zählten zu den IBA-Projekten.

Das barg die Gefahr der Beliebigkeit und verwirrte gelegentlich, wenn der Besucher seine Erwartung zu sehr auf das Wort Bauausstellung beschränkte. „Aber die IBA ist mehr als Architektur“, schreibt der Architektur-Kritiker Claas Gefroi im neuen Jahrbuch der Hamburgischen Architektenkammer.

Gefroi distanziert sich von dem Anspruch mancher Kritiker seiner Zunft, eine IBA müsse aus einer Vielzahl von Experimentalbauten bestehen. Das gehe an der Wirklichkeit vorbei. Heute seien derartige Ausstellungen zumeist ein Mittel der Stadtentwicklung, weil sie Ressourcen mobilisierten. „Oberstes Ziel war, mit vielfältigen – auch baulichen – Mitteln, einen sozialen Wandel in diesem lange stigmatisierten und vernachlässigtem Stadtteil einzuleiten“, schreibt Gefroi.

Wir sind mit Hamburgs Oberbaudirektor Jörn Walter verabredet. Er empfängt uns in seinem Büro im zwölften Stock der Stadtentwicklungsbehörde. Der Blick aus dem Fenster des bunten Neubaus reicht weit. „Ich blicke in die Zukunft“, sagt Walter und lacht. Der Besucher hingegen sieht eine 16-spurige Gleisanlage, auf der S-Bahn, Intercityzüge und Güterwaggons dank schalldichter Fenster lautlos aneinander vorbeirattern. Das neue bunte Mitte Wilhelmsburg schließt sich an, die Wohnsilos von Kirchdorf-Süd. Aber auch Grün. Viel Grün.

Der Oberbaudirektor ist sichtlich zufrieden mit dem Ausblick. Er muss es von Amts wegen wohl auch sein. Schließlich liegt ihm zu Füßen mit der IBA ein Teil dessen, das ihn in den vergangenen Jahren viel beschäftigt hat. „Rund 1200 Wohnungen wurden im Rahmen der IBA gebaut und mehr als 500 saniert“, sagt er. Insgesamt pumpte die Stadt seit 2006 rund 300 Millionen Euro an öffentlichem Geld in das Projekt. „Die öffentlichen Gelder lösten private Investitionen in Höhe von 700 Millionen Euro aus.“

Von Beginn an war die IBA das wesentliche Instrument einer politischen Strategie und in die vom damaligen Finanzsenator Wolfgang Peiner vorangetriebene Entwicklung von Hamburgs Süden eingebettet. „Die Internationale Bauausstellung sollte helfen, den ‚Sprung über die Elbe‘ umzusetzen“, sagt Walter.

Dabei ging es um nichts weniger als einen grundsätzlichen Perspektivwechsel. „Gesamtstädtisch betrachtet rückte die IBA zentral gelegene, aber viele Jahrzehnte vernachlässigte Stadtteile Hamburgs in den Fokus der Stadtentwicklung“, sagt der Oberbaudirektor politisch korrekt. Es galt, Wilhelmsburg den Hamburgern, seinen Beamten und seiner politische Elite nahe zu bringen.

Schließlich war gerade dieser Stadtteil ein Ort, an dem Hamburg seine Probleme ablud. Wer die Insel aus der Luft betrachtet, erkennt rasch, dass sie in erster Linie von wirtschaftlichen Interessen geprägt wurde. Der Hafen hat den größten Teil in Beschlag genommen. Drei mächtige Verkehrstrassen – eine Bahnstrecke und zwei Autobahnen – durchschneiden das Eiland. Die Wohnsiedlungen wirken wie zwischen die Trassen gequetscht.

Die Transformation Wilhelmsburgs in einen lebenswerten Stadtteil korrespondierte mit einem weiteren zentralen Auftrag an die IBA. Sie hatte die Frage zu beantworten, wo Hamburg noch wachsen kann. Und, so sieht es Walter: Die IBA hat geliefert. Die viele Jahrzehnte gültige Sichtweise, nördlich der Elbe wird gewohnt, südlich des Flusses gearbeitet, gehört aus seiner Sicht heute der Vergangenheit an. „Wohnungsbau und Wirtschaft haben auf der Elbinsel nur gemeinsam eine Zukunft – das ist jetzt im Bewusstsein der Stadt verankert“, sagt Walter.

Metropolen wie Hamburg könnten eben nicht mehr allein auf Kosten des Umlands wachsen. „Es geht nicht mehr, wie kurz nach dem Zweiten Weltkrieg, darum, Siedlungen in die Landschaft zu setzen“, sagt er. Vielmehr sei es notwendig, die „innere Peripherie“ zu erschließen. „Da liegen die großen Entwicklungsreserven Hamburgs, und die IBA hat diese aufgezeigt.“

Der „Hilferuf aus der Bronx", nachdem ein Junge durch einen Kampfhund starb

Ähnlich sieht es Manuel Humburg, Allgemeinmediziner und Wilhelmsburg-Aktivist seit den 70er-Jahren. Der Müllberg, eine Müllverbrennungsanlage, die Hafenquerspange – gegen vieles haben Humburg und Wilhelmsburger Bürger schon gestritten. In den 90ern haben sie sogar die Köhlbrandbrücke blockiert. Zuletzt gab es 2000 den „Hilfeschrei aus der Bronx“, nachdem zuvor ein kleiner Junge von einem Kampfhund zerfleischt worden war. Die Stadt reagierte mit einer Zukunftskonferenz, die Bürger schrieben ihr Weißbuch mit Forderungen, um die Abwärtsspirale des Stadtteils zu stoppen.

Beides ist, wenn man so will, die eigentliche Grundlage für die spätere Idee der IBA gewesen. Die Bilanz, so sieht es Humburg, ist zwiespältig: „Das historische Verdienst von Walter und der IBA besteht darin, dass sie die Elbinsel als einen Ort zum Wohnen langfristig etabliert haben.“ Aber, und da setzt Humburgs Kritik an: „Wilhelmsburg ist nach wie vor die ‚Unterstadt‘, ein Stadtteil zweiter Klasse.“ Hier habe die IBA keine wesentliche Änderung erreichen können.

Auch Walter ist sich als erfahrener Stadtentwickler bewusst, dass Wilhelmsburg seine über Jahrzehnte geprägte Struktur nicht innerhalb von sieben Jahren – die IBA war offiziell im Jahr 2006 ausgerufen worden – ändern konnte. Aber die IBA habe einen mächtigen Impuls geben können. „Jetzt gilt es, die Potenziale des Stadtteils weiter zu entwickeln“, sagt er und rollt auf seinem runden Konferenztisch eine Karte aus. „Wenn die Wilhelmsburger Reichsstraße verlegt ist, können wir vom Spreehafen in Richtung Süden entlang des Assmannkanals rund 1500 Wohnungen bauen.“ Während Walter das sagt, fährt der Zeigefinger seiner rechten Hand die Strecke auf der Karte nach. Die Verlegung der Wilhelmsburger Reichsstraße – für den Oberbaudirektor ist das eine große Chance.

Humburg ist nicht so optimistisch. „Viele Ideen der IBA-Macher hat die Hafenwirtschaft ausgebremst“, sagt er. Die geplante Entwicklung des Reiherstiegs wurde genauso aufgegeben wie die Idee, auf beiden Seiten des Veringkanals das Wohnen zu ermöglichen. „Immer da, wo Interessen der Hafenwirtschaft berührt wurden, mussten die IBA-Macher den Kürzeren ziehen“, resümiert Humburg.

Der Wilhelmsburg-Aktivist will „den Hafen nicht verjagen“, wie er mit einem feinen Lächeln erzählt. „Aber die IBA scheute sich, den Konflikt zwischen Stadtentwicklung und Hafenwirtschaft auf die Tagesordnung zu setzen.“ Bislang sei Wilhelmsburg Stadt und Hafen zugleich. „Die Stadt muss jetzt entscheiden, was Wilhelmsburg am Ende sein soll: mehr Hafen oder mehr Stadt.“ Weil die IBA-Macher in diesem Konflikt zumeist unterlagen, sieht Humburg die Planungen für die Verlegung der Wilhelmsburger Reichsstraße auch mit Unbehagen.

Das Projekt dürfte der städtischen Entwicklung Schub gegeben haben

„Auf wessen Kosten sollen die Wohnungsneubauten errichtet werden?“, fragt er. Auch Humburg hat eine Karte auf den Tisch des Cafés ausgebreitet, in dem wir uns zum Gespräch getroffen haben. Sie zeigt die gleichen Pläne wie die im Büro von Walter. „Werden für den Bau neuer Wohnungen Gewerbeflächen genutzt oder müssen am Ende Kleingärtner umziehen?“

IBA-Geschäftsführer Uli Hellweg hält von der „Entweder-Oder-Haltung“ Humburgs nichts. „Wir bekommen nur über neues Denken eine positive Entwicklung hin.“ Einen Gegensatz von Hafen und Stadt zu pflegen, „endet nur in Grabenkämpfen“. Ja, sagt Hellweg, es habe bei der Umsetzung der IBA auch inhaltliche Diskussionen mit der Hafenwirtschaft gegeben. Aber auch gemeinsame Projekte, wie etwa das Null-Energie-Haus der Hafenbehörde.

Tatsächlich dürfte die Internationale Bauausstellung der gesamtstädtischen Entwicklung des Stadtteils einen Schub gegeben haben, auch wenn sie von Hafeninteressen gelegentlich ausgebremst wurde.

Ein Schub, der Wilhelmsburg aufwertet, für Familien und Besserverdienende interessant macht, aber möglicherweise angestammte Einwohner vertreibt. Kritiker der IBA haben dieses Szenario von Anfang an gezeichnet und fühlen sich von der Tatsache, dass die Wohnungen in den Häusern am Eingang der Ausstellung für zwölf Euro pro Quadratmeter und mehr vermietet wurden, bestätigt.

IBA-Chef Hellweg entgegnet auf solche Einwände, dass in Wilhelmsburg weder die Zahl der Luxusvermietungen noch der Umwandlungen von Miet- in Eigentumswohnungen merklich gestiegen ist. Zwar kletterten wie überall in der Stadt auch hier die Mieten, „aber der Mietpreis pro Quadratmeter liegt hier drei Euro unter dem Durchschnitt Hamburgs“, sagt er. Gestiegen sei aber vor allem das Image des Stadtteils. „Jüngere Menschen können sich heute wieder sehr gut vorstellen, auf der Elbinsel zu leben“, sagt Hellweg und verweist dazu auf aktuelle Studien. Wilhelmsburg befindet sich also als möglicher Wohnort wieder auf der Landkarte aller Hamburger.

In diesem wichtigen Punkt haben die IBA und ihre Macher also eines ihrer Kernziele offensichtlich doch erreicht. Um so überraschter sind wir, als wir im Foyer der Stadtentwicklungsbehörde vor einem großen Stadtmodell stehen. Der Michel, die Gründerzeitbauten, Bürogebäude – alle sind als kleine, helle, vielleicht zehn Zentimeter hohe Modelle mit einem Blick zu erkennen. Auch die neuen, schicken Häuser der HafenCity sind dabei. Nur die neue bunte Mitte Wilhelmsburgs sucht der Betrachter hier in dem Haus, wo Hamburg geplant wird, vergebens. Das Modell endet an der Norderelbe.