Die Kirche geißelt Halloween. Dabei hat das Fest einiges gemeinsam mit Luthers Reformation

Heute haben Spaßverderber Konjunktur. Wenn Kinder bei Dunkelheit in Gruselkostümen durch die Straßen ziehen und ausgehöhlte Kürbisse tumb leuchtend auf dem Fenstersims stehen, feiert halb Hamburg Halloween. Die spielerische Inszenierung aus der heidnisch-keltischen Geisterwelt in jener geheimnisvollen Nacht vor Allerheiligen ist mitten im digitalen Zeitalter höchst populär. Doch der heidnische Kult ruft mal wieder religiöse Kulturkämpfer auf den Plan. Mit Hinweis auf den heutigen Reformationstag, dem Gedenken an den Thesenanschlag Martin Luthers im Jahr 1517, kanzeln sie – wie jetzt Luther-Botschafterin Margot Käßmann bei ihrem Vortrag im Michel – den Volksbrauch als „kommerziellen Humbug“ ab.

Schade, dass bei den Lutheranern manchmal so schnell Schluss mit lustig ist. Denn eine friedliche Koexistenz zwischen Kürbiskult und Luthers Kirchenreform ist durchaus möglich – und nachdenkenswert. Schließlich spiegeln beide Feste, so grundverschieden sie auch sind, zwei Seiten der kollektiven Psyche. Da ist die dunkle Seite aus dem Schattenreich, das Unbekannte, Bedrohliche, Abgespaltene und Tödliche. Eben Halloween. Es sind letztlich Tod und Vergänglichkeit, die das Drehbuch für das Drama des Makabren schreiben. Und der intuitive Reiz der Grenzüberschreitung in eine längst nicht mehr geglaubte Geisterwelt. Dass die Wirtschaft das seelische Potenzial entdeckt und kommerzialisiert hat, spricht nur für das Funktionieren des ökonomischen Systems.

Und da ist, vereinfacht gesagt, die helle Seite des menschlichen Bewusstseins. Dafür steht das Reformationsfest. Hier geht es weder um Seelen aus dem Totenreich noch um Geister, sondern um den Geist. Geschichtlich betrachtet war es Martin Luther (1483–1546), der aufgrund seiner Geistesblitze und theologischen Erkenntnisse zum Wegbereiter der Aufklärung und „Entdecker“ des Gewissens wurde. „Hier stehe ich und kann nicht anders! Gott helfe mir, Amen!“, soll er vor dem Reichstag in Worms gesagt haben. Die gegenwärtige religiöse Entwicklung zeigt, dass selbst in einer aufgeklärten Epoche die heidnische Facette lebendig ist. Ein bisschen Mittelalter kehrt zurück. Wo das Christentum seine Deutungskraft über das Leben der Menschen verliert, feiern solche Rituale fröhliche Urständ.

Dahinter steckt vor allem das Bedürfnis von Kindern und Erwachsenen, den Übergang in die tristen Tage mit einem Event zu gestalten und dabei auf Kürbisse statt auf Kanzelpredigten zu setzen. Weil Halloween mehr Spektakel entfalten kann als Luthers lateinische Thesen, auch wenn die Kirche mit ihren „Lutherbonbons“ termingerecht dem Gruselkult kontert. Menschen brauchen eben Rituale und Feste, um den Alltag zu unterbrechen und zeitliche Übergänge abzufedern. Gern auch mit dicken Gartenfrüchten.

Doch es geht noch um mehr. Sowohl bei Luther als auch bei Halloween spielt die Frage nach dem Tod und den letzten Dingen die eigentliche Rolle. In der Vorstellung der alten Kelten ist die Grenze zwischen Toten und Lebenden gerade in der Nacht zum 1. November (Allerheiligen) besonders durchlässig. Auch der Reformator Martin Luther hat sich mit Sterben und Tod als Seelsorger und Theologe intensiv auseinandergesetzt.

An einem Punkt scheiden sich freilich die Geister. Während die Funktion von Halloween die kollektive Inszenierung von Gruseln ist und keine individuelle Hoffnung für das reale Leben vermittelt, lebt gerade das Christentum von einer großen Verheißung: Es ist die Auferstehung Jesu, die an Ostern gefeiert wird. Und die Hoffnung auf die Nähe Gottes nach dem Tod. Der Reformator und Biertrinker Luther sagte das einmal so: Die Auferstehung sei wie ein Getreidekorn, das in der Erde zu verwesen scheint ... „ist ein nass Dinglein, kriegt ein Schwänzlein. Wer könnte vermuten, dass daraus jemals Gerste wird – oder gar Bier.“ Solches wird von Halloween jedenfalls nicht überliefert.