Im Michel spricht sich die Theologin gegen überbordendes Anspruchsdenken aus – und deswegen auch und gerade gegen Halloween-Feiern

Neustadt . Über den Mönch und Theologieprofessor Martin Luther weiß man, dass er mit dem Anschlag seiner 95 Thesen an das Portal der Wittenberger Schlosskirche die Reformation in Deutschland in Gang gesetzt hat. Dass seine Lehre knapp 500 Jahre später Managern Orientierung bieten könnte, überrascht dagegen auf den ersten Blick. Aber Margot Käßmann schafft es spielend, den Zusammenhang zwischen Reformation und unternehmerischem Handeln herzustellen. „Es geht um unternehmerisches Handeln mit Wertehaltung“, fasste die Botschafterin für das Reformationsjubiläum 2017 am Dienstagabend im Michel ihre Thesen zusammen.

Und weil die Veranstaltung im Rahmen der Evangelischen Akademiewoche kurz vor dem morgigen Reformationstag stattfand, ging es auch um ein Thema, das zwar mit Wirtschaft, aber weniger mit Luther zu tun hat. „Halloween ist erfunden worden, um den Kommerz anzukurbeln“, kritisierte die Reformationsbotschafterin. Schon als Bischöfin in Hannover und Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland war sie immer wieder wortgewaltig gegen Halloween-Trubel und Geschäftemacherei zu Felde gezogen. „Das ist kommerzieller Humbug.“

Viele der knapp 400 Zuhörer in den Kirchenbänken nickten. Zu der Veranstaltung unter dem Motto „Hier stehe ich und kann auch anders“ hatten der Arbeitskreis Evangelischer Unternehmer, der Kirchliche Dienst in der Arbeitswelt, die Hauptkirche St.Michaelis und die Vereinigung des Ehrbaren Kaufmanns zu Hamburg eingeladen. „Heute hängt das Herz der meisten Menschen anscheinend am Geld, am Haben“, kritisierte Margot Käßmann mit deutlichen Worten übertriebenes Konsumdenken. „Konsum wird zur großen Religion: Ich konsumiere, also bin ich.“ Es fehle eine „Ethik des Genug“.

Käßmann wies in ihrer Rede besonders auf die Verantwortung des Einzelnen für die Gesellschaft hin, auch die des einzelnen Unternehmers. „Die Einzelperson hat Bedeutung, sie muss ihr Gewissen schärfen und Verantwortung übernehmen.“ Gerade aus Sicht der Reformatoren sei weltliches Leben nicht etwa weniger wert gewesen als priesterliches oder klösterliches, vielmehr gehe es darum, „im Glauben zu leben, im Alltag der Welt.“ Niemand sei „Macher des eigenen Lebens, des Erfolgs“, sagte die Theologin. Vielmehr solle jeder dankbar sein, dass er leisten und zum Gemeinwohl beitragen könne. Nicht nur diejenigen sollten etwas gelten, die im Erwerbsleben stünden, sondern auch jene, die etwa durch Kindererziehung, die häusliche Pflege von alten und kranken Menschen oder im Ehrenamt für die ganze Gesellschaft notwendige Tätigkeiten verrichten.

An verschiedenen Beispielen schlägt Käßmann einen Bogen von der lutherischen Gedankenwelt in die Gegenwart, und erntete teilweise überraschte Lacher. Etwas als sie die Antwort des Reformators auf die Frage zitiert, ob gestandene Mannsbilder sich lächerlich machen, wenn sie Windeln waschen. „Gott lacht mit allen Engeln und Kreaturen, nicht, weil er die Windeln wäscht, sondern weil er es im Glauben tut.“ Auch Luthers Warnungen vor einer sich verselbstständigenden Geldwirtschaft und am Zinssystem seiner Zeit, die ihm einst den Ruf antikapitalistischer Haltung eingebracht haben, sieht die Botschafterin durch die Finanzkrise bestätigt: „Ich denke, dass durch die bekannten Auswüchse auf den Finanzmärkten verantwortungsvolles unternehmerisches Handeln im Kern ebenso bedroht ist wie die Wohlfahrt eines Landes allgemein.“

Zwar stünden Luthers Vorbehalte ebenso wie die zehn Gebote in ihren historischen Zusammenhängen, dennoch könnten Gebote „auch heute Regeln für ein gutes Zusammenleben sein“ und dabei helfen, „in all den schwierigen ethischen Herausforderungen unserer Zeit Standpunkte zu finden, die vor Gott und der Welt verantwortet werden können“.

Das gilt irgendwie auch für Halloween. „Martin Luther wollte Angst nehmen – vor Geistern, Gespenstern, dem Bösen, dem Teufel“, sagte Käßmann. Halloween sei gegen alle Grundüberzeugungen der Reformation.