1000 Hamburger ließen bei der Abendblatt-Lieblingsaktion Antiquitäten von Experten dreier Auktionshäuser bewerten

Neustadt. Holger Merten hat das gute Stück, in eine Decke gewickelt und auf Kissen gebettet, mit einer großen Sackkarre ganz vorsichtig in die Axel-Springer-Passage gefahren. Es geht schließlich um ein Erbstück, um einen dunkelbraunen Tisch, dessen Fuß eine geschnitzte, offenherzig bekleidete Frau bildet, die an eine Galionsfigur erinnert. Aus den Kolonien soll der Tisch stammen, denn der Großvater, ein Kapitän, habe ihn aus Übersee mitgebracht, erzählt Holger Merten. Das Urteil der Experten ist nüchterner als die Geschichte: europäischer Historismus, 1200 bis 1500 Euro wert.

Holger Merten war nur einer von mehr als 1000 Hamburgern, die am Sonnabend Antiquitäten und Kunstgegenstände von renommierten Fachleuten aus drei Auktionshäusern begutachten und schätzen ließen. Und wie bei vielen, die ihre Erbstücke mitbrachten, schlugen auch bei Merten zwei Herzen in der Brust: die vielen Erinnerungen auf der einen Seite, die Möglichkeit, das gute Stück gewinnbringend zu verkaufen, auf der anderen Seite. „Ich habe als Kind immer mit den Trotteln gespielt, die an der Tischkante hängen“, sagt Ines Merten, die den Tisch als Ablage für Kerzen und Gläser nutzt. Sie wird wohl dem Rat des Experten folgen und den Tisch behalten.

Auch das zweite Stück, dass sie begutachten ließ, war leider kein Schatz: eine Figur auf einer Liege („Récamiere“), die mit 50 bis 100 Euro als „gehobener Nippes“ eingestuft wurde. „Dabei wurde uns immer erzählt, der Wert sei so hoch, dass man davon die Ausbildung der Kinder bezahlen könne“, sagte Ines Merten lächelnd und wies auf die unversehrten Finger der Figur hin, die dünner als Streichhölzer sind. Als Schatz stellte sich dagegen ein Ölgemälde heraus, das Ballettlehrerin Marie-Christine Csonth mitbrachte.

Das Bild zeigt eine Szene aus dem Zimmer einer Frau. Es stammt vom Budapester Flohmarkt und soll ein Kunstwerk des berühmten Malers Leo Putz sein. „1946 hat es meine Großmutter gekauft und meiner Mutter geschenkt“, sagte Marie-Christine Csonth und betonte, es nie verkaufen zu wollen. „Das bekommt meine Tochter!“ Der Wert wird im „hohen fünfstelligen Bereich“ angegeben. Sie sei froh, dass das Bild sofort als ein Leo Putz erkannt worden sei. „Nun wissen wir es endlich, haben Gewissheit über den Wert.“

Ein Ölgemälde der Schwägerin der berühmten Musikerin Clara Schumann aus der Mitte der 19. Jahrhunderts ist 200 bis 400 Euro wert. Schätzte Christian Gründel vom Hanseatischen Auktionshaus Bolland & Marotz aus Bremen. Sein Tipp: „Behalten – auch weil die abgebildete Frau gut aussieht und einen so liebenswerten Gesichtsausdruck hat.“ Gründel ergänzt: „Der ideelle Wert ist viel höher als ein Schätzpreis.“ Die Frau mit dem liebenswerten Gesicht ist übrigens Sophia Schumann, eine Vorfahrin von Axel Schultz, der das Erbstück mitbrachte.

Viele Erbstücke hätten einen hohen ideellen Wert, seien aber heute kaum gefragt in der „Ikea-Generation“, so die Experten. Das gilt zum Beispiel für bunte Schmuckporzellane, die über Generationen gepflegt wurden, aber bei den Auktionshäusern gerade noch mit einem Wert von 50Euro eingestuft werden. Weißes Porzellan sei heute gefragter. Ungewöhnliche Figuren, kaum fingergroß, brache Günter Fritzsche zur Begutachtung in einer Zigarrenkiste mit. Sogenannte Wiener Bronzen, die eine Negerschule zeigen und die ein eher koloniales Verständnis in der Gestaltung aufweisen: So tragen einige der Figuren lustige Regenschirme oder sitzen auf einem Topf. „Ich habe die Figuren vor Jahrzehnten von meiner damaligen Vermieterin geschenkt bekommen“, sagt Fritzsche. Mit 500 Euro wurden sie bewertet. Günter Fritzsche überlegt nun, dem Rat der Schätzer zu folgen und sie in die Auktion zu geben, um vielleicht einen höheren Preis zu erzielen. „Schade, dass die Wiener Bronzen nicht signiert sind, dann wäre der Preis bestimmt viel höher.“

Ungewöhnliche Klänge kamen von einer Arbeit, die wohl aus Sachsen stammt: Das Lied „La Paloma“ erklang aus einem Christbaumständer, der im Inneren eine Spieluhr beherbergt. 22 Lochplatten hat Hartwig Stecker dazu, darunter „Rigoletto“ und natürlich auch „Stille Nacht, heilige Nacht“. Auf 2000 Euro und ein Entstehungsdatum von 1870 wurde das Stück geschätzt. „Mein Großvater hat es damals gekauft, und ich lasse es in diesem Jahr zu Weihnachten wieder erklingen“, sagte Hartwig Stecker. Vom Urgroßvater stammt eine französische Reiseuhr, die Almut Fischer dem Uhrenexperten Dr. Bernd Schmoller auf den Tisch stellte. Der war überrascht: „So eine Uhr habe ich noch nie in der Hand gehabt, kenne sie nur aus Büchern“, sagte dieser. 3000 Euro sei die Uhr wert. Schmoller: „Es lohnt sich also, das Werk reinigen zu lassen.“