Über seltsame Proteste und die Gefahr, die Flüchtlingsfrage auf ein Thema zu reduzieren

Manchmal könnte man in diesen Tagen den Eindruck bekommen, dass Protest- und Widerstandsgruppen in Hamburg ihre Aktionen nicht immer rein nach inhaltlichen Überzeugungen, sondern auch und gerade danach planen, wo gerade das Licht der Scheinwerfer, sprich: das Interesse der Medien am größten ist.

Zumindest war es maximal überraschend, die nackten Oberkörper von Femen-Mitgliedern auf einmal neben Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz zu sehen, wenn man sich daran erinnert, dass diese Organisation in der Vergangenheit eher für Frauenrechte und gegen Wladimir Putin demonstriert hat. Da wirkt der inszenierte Aufschrei gegen Scholz seltsam bis absurd, genauso, wie es die Rassismus-Vorwürfe gegen den Regierungschef sind. Zur Erinnerung: Der Scholz, gegen den sich jetzt unterschiedliche Proteste in diesem Zusammenhang richten, ist derselbe, der die größte Einbürgerungskampagne in der Geschichte der Hansestadt auf den Weg gebracht hat. Und dessen persönliche Briefe viele Tausende Hamburger mit Migrationshintergrund froh und stolz gemacht haben. Scholz und seinem Senat Rassismus vorzuwerfen ist etwa so, als würde man den Planern der Elbphilharmonie Kostenbewusstsein und Schnelligkeit attestieren.

Aber darum, um Fakten und Realitäten, geht es in diesen Tagen voller Emotionen leider nicht durchgehend. Mehrere gut organisierte Gruppen nutzen die Debatte um die Flüchtlinge, die derzeit in einer Kirche auf St. Pauli leben, um auf sich aufmerksam und im Zweifel auch Werbung in eigener Sache zu machen. Themen und Thesen werden in einer Weise verknüpft, die der Sache wenig dienen, die vom eigentlichen, dem wichtigsten Punkt wegführen. Denn natürlich kann es angesichts der jüngsten erschreckenden Bilder gerade von der Insel Lampedusa nicht nur darum gehen, was denn nun mit den 80 Flüchtlingen aus der Kirche wird; im Gegenteil, die Fokussierung auf diese Fälle schadet im Zweifel sogar, weil sie sich eben als Beispiele, als Pars pro Toto, nicht eignen.

Wir müssen uns, in Hamburg und in Deutschland und in Europa, überlegen, wie wir grundsätzlich Flüchtlingen helfen und künftig verhindern können, dass es zu Katastrophen wie jenen vor und auf Lampedusa kommt. Dabei müssen wir uns um alle Menschen kümmern, die aus berechtigten Gründen fliehen, und dürfen nicht Gefahr laufen, in Kontroversen über wenige die große Mehrheit zu vergessen. Oder vielleicht sogar die Frage, wie viele Menschen auf der Flucht eine große Stadt wie Hamburg aufzunehmen bereit und in der Lage ist.

Im Moment könnte der Eindruck entstehen, als gäbe es in Hamburg nur jene Flüchtlinge von St. Pauli, um die sich derart viele kümmern, die Politiker, Künstler und Aktivisten einladen, die präsent sind in dieser Stadt wie niemand. Was ist mit den anderen, mit jenen, die ganz normal in den verschiedenen Einrichtungen über die ganze Stadt verteilt leben, die ebenfalls schwere Schicksale hinter sich haben und darauf warten, dass ihnen geholfen wird? Wer ist bei ihnen, wer kümmert sich um sie? Es ist vor allem jener Staat, der sich auf der anderen Seite, im oben beschriebenen Scheinwerferlicht, vorwerfen lassen muss, unmenschlich, ja rassistisch zu sein. Was für ein Unsinn. Tatsächlich bemüht sich gerade Hamburg, im Rahmen der Vorgaben, schnell zu helfen – und legt dabei Wert darauf, dass für alle, die Hilfe beantragen, die gleichen Regeln gelten. Wie soll man auch sonst fair und vernünftig über die Zukunft entscheiden?

Das Wichtigste ist und bleibt, dass wir allen Flüchtlingen vorbehaltlos begegnen, ohne Vorurteile und ohne Vorverurteilungen. Aber eben auch ohne das Gegenteil.