Reemtsma-Entführer Thomas Drach hat Deutschland verlassen und ist wohl in den Niederlanden. 6,5 Millionen Euro des Lösegelds sind bis heute verschwunden. Eine Fußfessel war Drach noch nicht angelegt worden.

Hamburg. Der Reemtsma-Entführer Thomas Drach ist frei: Um 6.30 Uhr öffnete sich am Montagmorgen für ihn das graue, stählerne Falttor der Haftanstalt Fuhlsbüttel am Suhrenkamp. Auf dem Beifahrersitz des silbernen BMW 650 Cabrio seines Anwalts Helfried Roubicek rollte Thomas Drach in die Freiheit. Nach Informationen des Abendblatts führte die Fahrt quer durch die Stadt zu den Elbbrücken und weiter zur A1 Richtung Bremen.

Nach gut 100 Kilometern hielt der BMW an der Raststätte Grundbergsee. Auf einem Rastplatz wechselte Drach den Wagen. Er stieg zu einem etwa gleichaltrigen Mann, der seine Glatze mit einem Hut kaschierte, in einen Seat Ibiza. Bevor die Fahrt weiter ging, hatte Drach noch seine Taschen durchwühlt. Offenbar hatte er Angst vor einem Peilsender im Gepäck. Eine Tasche ließ er zurück. Dann ging die Fahrt weiter Richtung Niederlande. Am Nachmittag wurde bekannt, dass Drach die deutsche Grenze überschritten hatte. Sein genaues Ziel ist unbekannt.

Die „Flucht“ aus Deutschland überraschte die Behörden nicht. „Bereits im Rahmen der Entlassungsvorbereitungen hat er erkennen lassen, dass er nicht in Deutschland bleiben will“, sagt der Sprecher der Justizbehörde, Thomas Baehr. Damit entgeht Drach auch den strengen Auflagen, die das Oberlandesgericht gegen ihn verhängt hatte.

Demnach hätte Drach nicht nur eine elektronische Fußfessel tragen müssen. Auch eine wöchentliche Meldung bei seinem Bewährungshelfer, ein fester Wohnsitz und die Suche nach Arbeit über die Arbeitsagentur sind Auflagen im Rahmen der Führungsaufsicht, die gegen Thomas Drach verhängt wurden. Zudem darf er keinen Kontakt zu seinem Entführungsopfer Jan Philipp Reemtsma aufnehmen und keine Waffen besitzen. Solche Auflagen sind auch nach der vollständigen Verbüßung der Strafe nach Paragraf 68f des Strafgesetzbuches möglich. Eine Voraussetzung ist, dass das Gericht davon ausgeht, dass der entlassene Strafgefangene ohne Führungsaufsicht erneut Straftaten begehen wird. Die Befürchtung ist nicht unbegründet: Mit 13 Jahren knackte Drach Autos. Als Jugendlicher nahm er Drogen, mit 18 erhielt er seine erste Gefängnisstrafe.

Polizei wollte Fußfessel schnell anlegen

Diesmal greift die Führungsaufsicht nicht. Eine Fußfessel war Drach noch nicht angelegt worden. Das hätte noch in dieser Woche die Polizei gemacht. „Ein unkomplizierter Vorgang“, sagt ein Beamter. „Das hätte man auf jedem Polizeirevier machen können.“ Diese Prozedur entfällt jetzt. Ein Ausreiseverbot, so Baehr, habe gegen Drach nicht verhängt werden können. Ebenso gelten, bis auf das Kontaktverbot zu Reemtsma und das Waffenverbot, die anderen Auflagen nicht im Ausland, da sie praktisch nicht umzusetzen sind. Allerdings könnte das Nichterscheinen zum „Anlegungstermin“, der bereits im Rahmen der Auflagen der Führungsaufsicht festgelegt wurde, zu neuen Ermittlungen führen. Sollte nicht bekannt sein, wo sich Drach aufhält, kann es einen neuen Strafantrag und Ermittlungen der Staatsanwaltschaft zum Aufenthaltsort Drachs geben. Probleme, sich frei in Europa zu bewegen, wird es wegen des Schengener Abkommens für Drach nicht geben. Schwieriger könnte es für Drach dagegen werden, wenn er sich weiter absetzen will, beispielsweise nach Südamerika, wo er nach der Entführung unter anderem längere Zeit in Uruguay untergetaucht war. Dort hatte er sich als der Engländer Anthony Lawlor ausgegeben.

In Südamerika endete auch am 28.März 1998 seine Flucht. Ein Sonderkommando der Polizei stürmte rund 11.800 Kilometer von Hamburg entfernt im Raum Buenos Aires ein Hotelzimmer. Zielfahnder der Hamburger Polizei hatten Drach dort lokalisiert. Ausgangspunkt war ein Telefongespräch, bei dem es um den Besuch eines Konzertes der Rolling Stones ging. Seitdem saß der heute 53-Jährige 5685 Tage, mehr als 15 Jahre, für die wohl spektakulärste Entführung der deutschen Nachkriegsgeschichte in Haft.

Am 26. März 1996 hatte er in Blankenese mit zwei Komplizen den Multimillionär Jan Philipp Reemtsma entführt und ihn nach 33 Tagen gegen die Zahlung der Rekordlösegeldsumme von damals 30 Millionen Mark freigelassen.

Ein Großteil des Lösegelds, umgerechnet 6,5 Millionen Euro, sind noch verschwunden. Darunter ist auch der Teil der Lösegeldsumme, die damals in Schweizer Franken gezahlt wurde. Drach weiß offenbar, wo das Geld ist. Das geht auch aus einer Aussage hervor, die er 2011 gemacht hatte, als er wegen der Bedrohung seines Bruders vor Gericht stand. „Das haben Sie in 15 Jahren nicht erfahren, und das werden Sie auch heute nicht erfahren“, sagte Drach damals. Ermittler sind sich sicher, dass Drach an das Geld herankommen will.

„Es ist ein störender Gedanke, dass er sich von dem Geld, das er auf die Seite gebracht hat, ein gutes Leben machen kann“, sagte sein Opfer Jan Philipp Reemtsma vor einigen Tagen in einem Interview bei NDR Info. „Solche Verbrechen sollten keine Erfolge sein.“ Reemtsma hat eine private Sicherheitsfirma eingeschaltet, die nach dem Verbleib des Lösegeldes forscht. Eine Spur führt dabei in die Schweiz. Dort wurden von der Bundesstaatsanwaltschaft Ermittlungen eingeleitet, weil ein Teil des Lösegeldes über eine Strohfirma in ein Bordell in Frankfurt investiert worden sein soll.

„So sicher lebt es sich ja nicht, wenn andere wissen, dass er über viel Geld verfügt“, sagte Reemtsma gegenüber dem NDR. Im Klartext: Andere Kriminelle könnten sich Drach vornehmen und dabei Methoden wie Folter anwenden, um zu erfahren, wo das Geld versteckt ist.