Soll die Binnenschifffahrt den Strom von Hamburg Richtung Tschechien künftig stärker nutzen? Oder siegt der Naturschutz über eine stagnierende Wasserwirtschaft? Klar ist nur eines: Im Moment herrscht auf der Binnenelbe weitgehend Stillstand.
Es gibt diesen einen Streit um die Elbe, den großen Konflikt im Wettbewerb um die dicken Pötte aus Indien oder China, ausgetragen vor dem höchsten Verwaltungsgericht der Republik. Die Vertiefung der Elbe von Hamburg bis Cuxhaven, 100 Kilometer Güter-Autobahn auf dem Wasser. Es geht um einen Meter mehr Tiefgang, um etliche Millionen Euro Kosten, viele Arbeitsplätze einerseits, um den Schutz der Natur auf der anderen Seite. Vielleicht sogar um die Zukunft des Hamburger Hafens.
Doch im Schatten der großen Debatte um die Elbe gibt es einen zweiten Konflikt. Es geht nicht um einen Meter mehr Wasser unter dem Kiel, sondern nur um einige Zentimeter. Die Schiffe fahren nicht mit ihren Containern nach Indien oder China, sie laufen in die Häfen von Magdeburg, Aken und Riesa ein. Manche schleppen die Waren noch weiter bis über die tschechische Grenze. Rund 600 Kilometer fließt die Elbe von Tschechien bis nach Hamburg. Seit vielen Jahren ist ungewiss, wie es weitergehen soll auf diesem längeren Abschnitt der Elbe, der Mittel- und Oberelbe. Nicht weniger verbissen wurde ein Kampf geführt zwischen den Interessen der Wirtschafts- und der Umweltverbände. Wie wichtig ist der Fluss für den Transport von Gütern nach Ostdeutschland und Osteuropa wirklich? Was ist mit der Natur zwischen dem Wendland und dem Elbsandsteingebirge? Geht sogar beides zusammen: Umweltschutz und Binnenschifffahrt?
Zur Zukunft der Elbe flussaufwärts gibt es viele Fragen. Und aus Sicht der Bundesregierung derzeit vor allem eines: einen teuren Stillstand. Zwischen 13 und 30 Millionen Euro pro Jahr hat der Bund als Verantwortlicher für die Wasserstraßen seit 2002 in die Binnenelbe investiert. Zwischen Geesthacht und Dresden führt der Fluss über einen Großteil des Jahres Niedrigwasser, für schwer beladene Schiffe ist der Güterverkehr riskant. Staustufen, Buhnen und Bagger halten den Wasserweg schiffbar. Von der Politik gab es das Versprechen auch an Städte wie Hamburg, den Wasserstand von 1,60 Metern an 345 Tagen im Jahr zu halten.
Doch genau diese Garantie kann der Bund nicht einhalten – trotz teurer Baggerarbeiten. Im „Deutschlandfunk“ gab der Leiter des Verkehrsministeriums für die Wasserstraßen, Reinhard Klingen, zu, die Tiefe von 1,60 Meter sei „illusorisch“. Stattdessen seien nur 1,20 bis 1,30 Meter zu 100 Prozent zu leisten. Laut Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung wurde 2012 die Fahrrinnentiefe von 1,60 Meter an 140 Tagen verfehlt – mit Folgen für den Güterverkehr. Auch der Hamburger Senat stellt in einer Mitteilung an die Bürgerschaft klar, die „notwendige Mindesttiefe“ könne „derzeit nicht zuverlässig garantiert werden“. Verbesserungen hält der Senat für „unverzichtbar“, um die Binnenschifffahrt zu stärken.
Für Umweltschützer ist die Sache klar. Es herrsche flussaufwärts ein „ähnlicher Bagger-Wahn“ wie auf der Elbe zwischen Hamburg und Cuxhaven, sagt Ernst Paul Dörfler, Elbe-Experte beim BUND. „Man kann baggern, so viel man will. Mehr Wasser fließt deshalb nicht die Elbe runter.“ Aufwand und Kosten für den Ausbau der Elbe als Hinterlandanbindung für den Hamburger Hafen stünden „in keinem Verhältnis zur wirtschaftlichen Bedeutung für den Standort Hamburg – und auch für Elbstädte wie Magdeburg oder Dresden“.
Nach Duisburg und Köln ist Hamburg der drittgrößte Binnenhafen Deutschlands. Vor allem Massengüter wie Kohle, Öl, Futtermittel oder Getreide werden mit Frachtern ins Hinterland transportiert. Fast 10.000 Binnenschiffe laufen den Hamburger Hafen jedes Jahr an. Gut zehn Millionen Tonnen Güter schlägt der Hafen auf Binnenfrachtern um – laut Wirtschaftsbehörde zehn Prozent des gesamten Hinterlandverkehrs. Die Binnenschifffahrt habe für Hamburg eine „hohe strategische Bedeutung“, heißt es vom Senat.
Doch 80 Prozent der deutschen Binnenschifffahrt fahren über den Rhein – direkt in Wirtschaftszentren wie das Ruhrgebiet und Baden-Württemberg. Und nur ein kleiner Teil der Schiffe legt in Hamburg flussaufwärts in Richtung Magdeburg und Dresden ab. Der Großteil der Frachter biegt kurz hinter Geesthacht in den Elbe-Seitenkanal ein – und von dort aus weiter in Richtung Mitte der Republik. „Die Elbe hat wirtschaftlich keine Bedeutung für Hamburg. Die zentrale Strecke ist der Elbe-Seitenkanal“, sagt Umweltschützer Dörfler. Noch immer wird im Hamburger Hafen die Masse der Güter auf der Schiene und Lastwagen abtransportiert. Der Chef der HHLA, der Hamburger Hafen Logistik AG, sagte: Beim Ausbau der Transportdienstleistungen setze man verstärkt auf Inlandterminals, Waggons und Lokomotiven.
Vor allem bei der Containerschifffahrt ist der Anteil der Binnenfrachter nur bei zwei Prozent aller Hinterlandtransporte. Zum Vergleich: Rotterdam schlägt 40 Prozent der Ladung auf Binnenschiffe um. Viel ist in Hamburg vom Potenzial die Rede, viel aber auch von Risiken und Unsicherheit auf der Binnenelbe. Laut Prognose des Verkehrsministeriums wächst die Binnenschifffahrt bis 2025 unterproportional zu anderen Transportwegen.
Schließt sich das Verkehrsministerium den Umweltschützern an – und gibt die Elbe für den Güterverkehr auf? Wasserstraßen-Leiter Klingen erklärte seine Äußerungen in einer internen Mail an Staatssekretäre und den Minister. Darin und auch offiziell wird nun beschwichtigt: Das Ziel von 1,60 Meter Mindesttiefe sei für die Strecke bis Hamburg nicht entscheidend. Wichtiger sei, dass an den überwiegenden Tagen im Jahr Wassertiefen bis zu vier Metern gebe, sagt eine Sprecherin dem Abendblatt. Dennoch halte man, anders als im Radiobericht dargestellt, an den 1,60 Metern Tiefe fest.
Wer mit Vertretern der Transportunternehmen spricht, hört auch Klagen. Das Bild der Elbe als trockener und für Verkehr unsicherer Fluss schrecke Kunden ab. Doch bei den Logistikern ist auch Zuversicht zu vernehmen. Bei der Deutschen Binnenreederei AG sei aufgrund niedriger Wasserstände der Linienverkehr bis in den Hafen Aken nur an sieben Tagen im Jahr nicht leistbar, bis Riesa bei Dresden nur an 14 Tagen. Sonst laufe der Betrieb. Und gerade für Unternehmen wie die Werke für Dampfturbinen von Siemens in Görlitz oder aber den Hersteller von Windkraftanlagen Enercon in Magdeburg sei dieser Betrieb wichtig. Der gleiche Ton kommt von Vertretern der Binnenschifffahrt in Magdeburg: Die Elbe sei eine ökologisch und ökonomisch sinnvolle Alternative zum Güterverkehr auf Straße und Schienen. Was man brauche, sei Verlässlichkeit bei der Fahrrinne. Und einen „sanften Ausbau“ um etwa 50 Zentimeter Tiefe.
Doch einen Ausbau nur aus wirtschaftlichen Gründen schließen Bundesländer und Bund aus. Die Bedeutung des Naturschutzes ist nicht nur für Umweltaktivisten gewachsen. Die Elblandschaft ist längst Anziehungspunkt für Touristen geworden. Und das bringt Geld in die Region, viele profitieren davon mehr als vom Güterverkehr. Und: Seit der Flutkatastrophe 2002 herrscht ein Ausbaustopp, zum Schutz der Menschen. Man muss diese Geschichte kennen, um den jahrelangen Streit um die Elbe zu verstehen.
Doch es gibt Hoffnung auf eine Einigung – und damit auch auf Klarheit für die Zukunft der Elbe von Tschechien bis Hamburg. Im März saßen Industrie- und Umweltverbände, Kirchen sowie Vertreter von Bund und Ländern an einem Tisch und erarbeiteten ein Konzept für die Elbe. „Damit kann es gelingen, einen jahrelangen Streit beizulegen und Ökologie und Ökonomie vereinen“, sagt der Hamburger Bundestagsabgeordnete Jürgen Klimke (CDU). Kurz vor den Wahlen verabschiedeten Union und FDP einen entsprechenden Antrag im Bundestag.
Vor allem eines müsse schnell durchgesetzt werden: konkrete Maßnahmen zur Stabilisierung der Sohle. Sie sollen verhindern, dass die Elbe sich immer weiter in ihr eigenes Flussbett eingräbt. Denn langfristig könnten so auch die Elbauen austrocknen, weil das Grundwasser am Ufer mit dem Flusspegel sinkt. Auch Naturschützer wie Dörfler begrüßen das. In einem regionalen Pilotprojekt will der Bund die Stabilisierung der Sohle finanzieren. Im Gegenzug fordern Union und FDP mit Buhnen und Baumaßnahmen auch die Fahrrinnentiefe für die Binnenschiffe zu gewährleisten, gerade an den von niedrigen Wasserständen besonders betroffenen Regionen.
Es gibt einen Fluss, einen jahrelangen Streit – und nun ein paar wenige Seiten Zukunftskonzept. „Gemeinsam einen Fluss gestalten“, diesen Titel gaben Bund, Länder und Verbände ihrem Treffen im März. Ob und mit welchen Schwerpunkten das Konzept für die Elbe von Bund und Ländern umgesetzt wird, hängt nun auch davon ab, wer mit wem in Berlin künftig regiert.