Vor knapp einem Jahr hat der Bezirk Mitte der Deutschen Bahn den Bereich unter den Hallenvordächern überlassen. Geändert hat sich wenig

St. Georg. Vor einem Jahr hat der Bezirk Mitte der Deutschen Bahn den Bereich unter den Hallenvordächern und einige Tunnel zur Nutzung als Bahnhofszugangsanlage überlassen – für die Dauer von zehn Jahren. Angeblich hatten sich Beschwerden über die Zustände dort gehäuft: Reisende hätten sich durch die Obdachlosen- und Trinkerszene am Hauptbahnhof belästigt, sogar bedroht gefühlt. Der Bahnhof sollte endlich zur „Visitenkarte“ der Stadt werden. Doch getan hat sich nach Meinung vieler Gewerbetreibende in dem Bereich wenig. Tatsächlich hat sich lediglich eine Art Katz-und-Maus-Spiel zwischen den Obdachlosen und Trinkern auf der einen und dem von der Bahn eingesetzten Sicherheitsdienst auf der anderen Seite entwickelt.

Wenn es nach den Geschäftsleuten am Bahnhof geht, könnte die Bahn jedenfalls konsequenter durchgreifen. „Es müsste noch mehr getan werden“, sagt die Angestellte eines am Eingang liegenden Imbiss-Restaurants. „Ich habe nichts gegen Obdachlose, aber das Betteln, Trinken und Herumgegröle wirkt sich geschäftsschädigend aus“, so die Frau, die nicht namentlich zitiert werden will. Ihre Beobachtungen der vergangenen Monate? „Nur vereinzelt“ habe sie Fälle mitbekommen, bei denen Bettler oder Obdachlose tatsächlich mit Gewalt des Platzes verwiesen wurden. Andere Beobachter teilen diese Einschätzung.

Rückblick: Ein Runder Tisch aus Vertretern von Behörden, Bezirk Mitte, Bahn, Polizei und Sozialträgern hatte im vergangenen Jahr die Bedingungen für die Überlassung festgezurrt, seit Oktober 2012 gilt am Hachmannplatz die Hausordnung der Bahn. Und damit das Wort der privaten Sicherheitskräfte, auch schwarze Sheriffs genannt. Betteln ist genauso verboten wie „übermäßiges Trinken“, Herumliegen oder laute Musik (klassische ausgenommen). Wer sich nicht an die Hausordnung hält, erhält einen Platzverweis. Von Sozialverbänden und Parteien hagelte es dafür Kritik: Die Maßnahme sei unsozial, die Schwächsten der Gesellschaft würden zugunsten einer Platz-Hygiene aus dem öffentlichen Raum gedrängt.

Bis zu zehn Doppelstreifen sind heute im gesamten Hauptbahnhof täglich unterwegs. Wie viele Platzverweise unter den Hallenvordächern ausgesprochen werden, ist nicht bekannt. Darüber führe die Bahn keine Statistik, sagte Sprecher Egbert Meyer-Lovis. Allerdings habe die Zahl der Beschwerden von Passanten „kontinuierlich abgenommen“. Bereits geschlossen ist der schmuddelige Fußgängertunnel zur Spitaler Straße. Hier hatte es besonders viele Klagen gegeben. Und: „Die Reinigung rund um den Hauptbahnhof wurde erfolgreich intensiviert“, behauptet Meyer-Lovis.

Den Vorwurf, dass Sicherheitskräfte häufig zu ruppig gegen Trinker und Obdachlose vorgingen, weist er zurück. Diese verfügten im Gegenteil über „sehr viel Augenmaß“. Auch die Wirtschaftsbehörde, treibende Kraft der Platz-Privatisierung, sieht im Gegensatz zu den Geschäftsleuten nur Positives: „Es war die richtige Entscheidung, der Deutschen Bahn die Bahnhofsvordächer am Hachmannplatz zu überlassen. Sauberkeit und Sicherheit haben sich seitdem spürbar verbessert, Reisende und Passanten finden heute eine für einen Großstadtbahnhof angemessene Situation vor. Der Erfolg beruht auch auf der guten Zusammenarbeit zwischen Sicherheitskräften – die mit Augenmaß vorgehen – und Vertretern der sozialen Einrichtungen vor Ort“, sagt Behördensprecherin Helma Krstanoski.

An dem wohlbekannten Bild des Hauptbahnhofs hat sich allerdings tatsächlich wenig verändert – das ist das Ergebnis mehrerer Begehungen von „Abendblatt“-Reportern. Es wird weiterhin gebettelt, getrunken und herumgelungert. Wenn sich das Sicherheitspersonal der Bahn blicken lässt, leert sich der ansonsten sehr gut besuchte Eingangsbereich rasch und regelmäßig. Sind die Männer mit den blauen DB-Jacken verschwunden, füllt sich der Platz schnell wieder. Bis zum nächsten Mal.

„Es hat sich wenig verändert“, sagt auch Stephan Karrenbauer vom Straßenmagazin „Hinz&Kunzt“. Der Sozialarbeiter berichtet zwar von einigen Platzverweisen und Beschwerden seitens der Betroffenen. Allerdings habe sich nach anfänglicher Unruhe und Unsicherheit die Lage mittlerweile merklich beruhigt. Was nicht zuletzt daran liege, dass mithilfe der Sozialarbeiter Differenzen zwischen Bahn, Geschäftsleuten und Obdachlosen schnell ausgeräumt werden konnten.

Von einer wesentlichen Verlagerung der Problematik kann demnach auch keine Rede sein. Es habe schon immer eine gewisse, „temporäre Verlagerung der Obdachlosen-Szene innerhalb des Viertels“ gegeben, erklärt der Geschäftsführer der Stadtmission, Ulrich Hermannes. „Die Szene verlagert sich seit Jahren vom Hauptbahnhof zum Hansaplatz und dann auch wieder zurück“, so die Einschätzung des ehemaligen Leiters der Bahnhofsmission.

Um die Situation am Hachmannplatz auf Dauer zu ändern, bedürfe es jedoch eindeutig politischer Maßnahmen, sagt Ulrich Hermannes. Es genüge jedenfalls nicht, die Leute vom Hauptbahnhof oder anderen zentralen Orten fernzuhalten. „Es fehlt eindeutig an sozialen Angeboten für Obdachlose und sozial benachteiligte Menschen“, so Hermannes. Dies sieht auch Sozialarbeiter Karrenbauer so: „Man muss das gesamte Problem der Obdachlosigkeit im Blick behalten. Die Verantwortung, hier Lösungen im Interesse aller zu finden, liegt nach wie vor bei der Stadt.“ Jeden Donnerstag trifft sich noch immer die „Mahnwache gegen Bahnwache“ zum Protest vor dem Bahnhof.